Marine Le Pen:Gefährlicher als ihr Vater

Jean-Marie Le Pen war der Provokateur in Person. Seine Tochter Marine ist seine Nachfolgerin an der Parteispitze des rechtsextremen Front National. Sie wirkt deutlich umgänglicher, doch unterschätzen sollte man sie trotzdem nicht, meint Autor Romain Rosso. Mit ihrer "Entteufelungspolitik" spricht sie erfolgreich neue Wählerschichten an.

Lilith Volkert

Romain Rosso ist Reporter beim Magazin L'Express, seit Jahren schreibt er über Rechtsextremismus und die Partei Front National (FN). Er ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt erschien "La fache cachée de Marine Le Pen" (Die dunkle Seite von Marine Le Pen).

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Marine Le Pen will den Front National für alle Franzosen wählbar machen und verzichtet auf die Provokationen ihres Vaters.

(Foto: AFP)

Süddeutsche.de: Nach den Anschlägen in Toulouse hat Marine Le Pen die Regierung scharf für ihre Untätigkeit gegenüber religiösen Extremisten angegriffen. War das nicht ein Eigentor, nachdem gerade das ganze Land in Trauer um die Opfer zusammenstand?

Romain Rosso: Unter den Anhängern des Front National gibt es eine Mehrheit, die so etwas hören will. Also hat Marine Le Pen die Gelegenheit ergriffen, sich kurz vor der Wahl mit ihrem Kernthema zu profilieren. Vorher hatte sie versucht, das klassische Spektrum des Front National - Immigration und innere Sicherheit - um soziale und wirtschaftliche Themen zu erweitern. Sie forderte etwa, dass Frankreich aus der Euro-Zone austritt. Doch diese Taktik hat nicht funktioniert.

Süddeutsche.de: Warum nicht?

Rosso: Offenbar nehmen ihr die meisten Franzosen das nicht ab. Auch viele Front-National-Wähler waren mit diesem Programm nicht einverstanden. Deshalb ist sie wieder zu den Themen zurückgekehrt, die am meisten ziehen, um die Leute aus dem eigenen Lager zu mobilisieren: Die angebliche Überfremdung und die Kriminalität.

Süddeutsche.de: Vor zehn Jahren hat ihr Vater Jean-Marie Le Pen es bis in die Stichwahl gegen Jacques Chirac geschafft. Eine Zeitlang sah es so aus, als könnte ihr das auch gelingen.

Rosso: Inzwischen ist sie in den Umfragen wieder so weit hinter Nicolas Sarkozy und François Hollande zurückgefallen, dass es sehr erstaunlich wäre, wenn sie einen der beiden am 22. April überrunden könnte. Sie liegt gut zehn Prozentpunkte hinter ihnen. Trotzdem: Marine Le Pen wird sicher ein vergleichsweise gutes Wahlergebnis haben.

Süddeutsche.de: Was ist der Unterschied zu 2002?

Rosso: Damals kamen zwei Phänomene zusammen. Jean-Marie Le Pen lag schon seit einigen Jahren bei etwa 15 Prozent und hat wie bei den Wahlen zuvor eine knappe Million Stimmen hinzugewonnen. Gleichzeitig machten sich im linken Parteienspektrum mehrere Kandidaten gegenseitig Konkurrenz, außerdem hatte der scheidende Premierminister Lionel Jospin schwer zu vermittelnde Positionen und eine schlechte Kampagne. Es ist meiner Meinung nach nicht ausgeschlossen, dass auch Marine Le Pen es irgendwann in die Stichwahl schafft - auch wenn das Wahlergebnis ihres Vaters ein unglaubliches politisches Erdbeben ausgelöst hat.

Süddeutsche.de: Marine Le Pen tritt selbstbewusst und manchmal etwas burschikos auf, sie kommt sympathisch rüber. Ist sie harmloser als ihr Vater?

Rosso: Im Gegenteil, sie ist eine größere Bedrohung für die etablierten Parteien. Jean-Marie Le Pen schadete sich selbst mit seinem provokanten Verhalten und seinen Äußerungen zu den "Lagern" und den Gaskammern als "Detail der Geschichte". Er war der Widerspruchsgeist in Person, mehr aber auch nicht. Seine Tochter möchte den Front National nicht als Protestpartei verstanden wissen, sondern als eine Partei, die Lösungen anbietet. Damit könnte sie weiter kommen als ihr Vater.

Wie sie der Partei den Teufel austreibt

Süddeutsche.de: Seit Jahren arbeitet sie an der "dédiabolisation", der "Entteufelung", des Front National. Mit Erfolg?

Rosso: Zumindest in der Mittelschicht wird sie viel weniger verteufelt als ihr Vater. Es ist normal geworden, ernsthaft über sie und ihre Ideen zu diskutieren. Wenn man sie ihm Wahlkampf begleitet, merkt man das auch an der Reaktion der Menschen, die sie trifft. Aufgeholt hat sie vor allem bei den Berufstätigen zwischen 35 und 49 sowie bei den Frauen. Ihr Vater wurde besonders von Arbeitern und Arbeitslosen gewählt. In der Oberschicht und bei gut ausgebildeten Leuten gibt es aber weiterhin eine große Ablehnung gegen den Front National.

Süddeutsche.de: Im Januar 2011 hat Marine Le Pen den Vorsitz des Front National von ihrem Vater übernommen, der die Partei 1972 gegründet hatte. Eine abgekartete Sache?

Rosso: Nein, sie hat sich diesen Posten erkämpft und sich gegen den internen Widersacher Bruno Gollnisch durchgesetzt, der die rigide Linie ihres Vaters weiterführen wollte. Viele Mitglieder haben sie zwar gewählt, weil sie eine Le Pen ist, aber ihr Name war letztlich nicht das ausschlaggebende Element. Ihre Vorstellungen sind einfach zeitgemäßer, sie hört mehr zu.

Süddeutsche.de: Jean-Marie Le Pen ist 83 Jahre alt, er ist Ehrenvorsitzender des Front National und mischt sich immer wieder in aktuelle Debatten ein. Wie groß ist sein Einfluss?

Rosso: Die beiden telefonieren regelmäßig, und sie hört sich an, was er zu sagen hat. Es war zum Beispiel Jean-Marie Le Pen, der ihr geraten hat, wieder mehr auf Immigration und Sicherheit zu setzen. Sie hat aber auch Distanz zu ihm gesucht und sich eigene Büros in Paris genommen, wo er sie nicht besucht. Seit dem letzten großen Streit - sie hat vergangenes Jahr einen Abgeordneten aus der Partei ausgeschlossen, weil er auf einem Foto mit Hitlergruß zu sehen war - sind sie meines Wissens auch nicht mehr heftig aneinandergeraten.

Süddeutsche.de: Wie schon im vergangenen Wahlkampf buhlt Nicolas Sarkozy sehr um rechtsextreme Wähler. Macht er dem FN damit Konkurrenz?

Rosso: Auf alle Fälle hat er als Erster einen Rechtsruck im politischen Diskurs akzeptiert, indem er Themen ansprach, die bis dahin vom FN besetzt waren. Aus einem einfachen Grund: In der Stichwahl ist er auf die Wähler angewiesen, die im ersten Wahlgang für Marine Le Pen gestimmt haben. Ich habe aber auch das Gefühl, dass viele rechtsgesinnte Wähler die Umfragen dazu nutzen, eine Warnung an Sarkozy loszuwerden, indem sie zeigen, dass sie auch bereit wären, den Front National zu wählen.

Süddeutsche.de: Ist es denkbar, dass Sarkozys Partei UMP in naher Zukunft mit dem FN zusammenarbeitet?

Rosso: Le Pens Kalkül ist, dass die UMP nach einer Niederlage Sarkozys auseinanderbricht und sich der rechte Flügel mit dem Front National zu einer populistischen Bewegung zusammentut. Dazu müsste sie selbst bei der Wahl aber mindestens 20 Prozent holen. Bisher sehe ich die Möglichkeit einer baldigen Zusammenarbeit nicht. Nicht zuletzt weil Le Pen und der Generalsekretär der UMP, Jean-François Copé, niemals zusammenarbeiten würden. Die beiden hassen sich.

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