Rechtsextremismus in Deutschland:Neonazis schlagen auch im Westen zu

Demonstration der Rechten in Weiden

Rechtsradikale bei einer Demonstration im oberpfälzischen Weiden.

(Foto: dpa)

Rechte Gewalt ist ein ostdeutsches Problem - so lautet das Klischee. Tatsächlich prügeln rechte Schläger aber immer häufiger auch im Westen. Das liege auch am Staat, der beim Kampf gegen Neonazis versage, beklagt eine Stiftung gegen Rechts.

Von Pascal Paukner und Antonie Rietzschel

Es ist Samstagabend. Endlich hat der Frühling begonnen und so treffen sich in einer Gartenkolonie neun Jugendliche. Ihre Eltern stammen aus der Türkei und aus Italien. Einer der Väter hat sein Grundstück für den Abend zur Verfügung gestellt. Dort wollen die Teenager grillen, nichts weiter. Das ist der Plan. Doch es kommt anders. Nicht weit entfernt findet eine weitere Grillparty statt. 70 Personen sind dort. Darunter zahlreiche polizeibekannte Neonazis.

Als ein türkischstämmiger Junge auf einem Feldweg auf einen der Neonazis trifft, eskaliert die Situation. Die Rechtsradikalen stürmen mit Äxten bewaffnet das Grundstück, auf dem die Jugendlichen feiern. In Panik flüchten sich diese in ein Gartenhaus, das die Neonazis kurz darauf in Brand stecken. Einer der verfolgten Jugendlichen ruft in Todesangst die Polizei. Bevor die Hütte abbrennt, gelingt der Gruppe gerade noch die Flucht.

Genau zwei Jahre ist das nun her. Geschehen ist es nicht in der ostdeutschen Provinz. Geschehen ist es mitten in Westdeutschland, im württembergischen Winterbach. Doch noch immer wird Rechtsradikalismus in Deutschland als ostdeutsches Phänomen wahrgenommen.

Stiftung wirft Staat Versagen vor

Um dies zu ändern, hat die Amadeu-Antonio-Stiftung, die gegen Rechtsradikalismus in Deutschland kämpft, nun einen Bericht veröffentlicht, der den Behörden in Westdeutschland "Staatsversagen" vorwirft und Einzelfälle dokumentiert. "Alle im Report erwähnten Beispiele belegen, dass hierzulande nicht allein der Rechtsterror à la NSU das Problem ist", schreibt Stiftungskoordinator Timo Reinfrank im Vorwort. Während der Osten lange als rechtsradikal wahrgenommen wurde, habe sich die rechte Szene auch im Westen weitgehend ohne Kenntnisnahme der Behörden ausgebreitet, so der Vorwurf der Stiftung.

Auf 30 Seiten beschreibt die Politologin Marion Kraske rechte Gewalttaten in sechs westdeutschen Bundesländern und deren Folgen für Opfer und Täter. Der Gesellschaft will Kraske kein Versagen vorwerfen - Polizei und Justiz hingegen schon.

Dies gilt auch für den Anschlag bei Stuttgart. Den Tätern sei nach Aussage des Gerichts keine Mordabsicht nachzuweisen gewesen. Kraske kritisiert, dass die Täter damit kaum juristische Folgen zu befürchten hätten. Auch bemängelt sie, dass die Neonazis im Vorfeld nicht kontrolliert worden seien. Es sei der Polizei bekannt gewesen, dass sich in der Gartenkolonie eine größere Gruppe von Rechtsextremisten versammelt habe, schreibt Kraske unter Berufung auf einen Richter.

Kein Problembewusstein für rechte Gewalt

Das Problem im Westen sei vielfach, dass es kein Problembewusstsein für rechte Gewalt gebe, heißt es in dem Bericht der Stiftung. Dies führe dazu, dass das Dunkelfeld der Straftaten hoch sei. Außerdem sei die Beratungssituation im Westen schlecht. In Baden-Württemberg gebe es bislang keine professionelle Anlaufstelle für Opfer, so Politologin Kraske.

So sinnvoll die Auflistung der erschreckenden Einzelfälle ist, um das Problem rechter Gewalt in Westdeutschland zu thematisieren, belässt es die Antonio-Amadeu-Stiftung bei deren Dokumentation. Konkrete Vorschläge an die gescholtenen Behörden werden nicht angeboten.

Dabei hat sich - ausgelöst durch die Aufdeckung der NSU-Morde - auch in westdeutschen Bundesländern einiges getan. Die Politik geht dort verstärkt gegen Rechtsextremismus vor. In Schleswig-Holstein zum Beispiel wurde Anfang des Jahres ein neues Landesprogramm gegen Rechtsextremismus aufgesetzt - drei neue Beratungsstellen soll es geben.

Nordrhein-Westfalen greift hart durch

Besonders in Nordrhein-Westfalen versucht das Innenministerium hart durchzugreifen. Denn Dortmund gilt mittlerweile als rechtsextreme Hochburg des Westens. Innenminister Ralf Jäger legte im Dezember 2011 einen Acht-Punkte-Plan gegen rechts vor. Ende August 2012 verbot Jäger die rechtsextremen Vereine "Nationaler Widerstand Dortmund", "Kameradschaft Hamm" und "Kameradschaft Aachener Land". "Durch das Verbot haben wir große Löcher in das Netzwerk der Neonazis gerissen", heißt es dazu in einer aktuellen Erklärung Jägers.

Doch der Erfolg der Aktion hielt nicht lange an: Die Aktivisten der verbotenen Vereine haben sich in der Partei "Die Rechte" reorganisiert. Sie haben einen NRW-Landesverband und mehrere Kreisverbände gegründet. An dieser Stelle ist Jäger machtlos. Er kann keine Partei verbieten, die bisher, zumindest nach außen, den Prinzipien des Grundgesetzes folgt.

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