Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus in der Bundeswehr:Verführbare Soldaten

Strukturell übt die Bundeswehr vor allem auf Rechtsextreme eine stärkere Anziehungskraft aus als auf linke oder liberale Bürger. Durch den Übergang zur Berufsarmee wird sich dieses Phänomen noch verschärfen. Denn nun werden diejenigen angezogen, die auf dem zivilen Arbeitsmarkt weniger oder keine Möglichkeiten finden.

Ein Gastbeitrag von Michael Wolffsohn

Michael Wolffsohn, 65, ist Historiker und Publizist. Von 1981 bis 2012 lehrte er Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Wolffsohn schrieb unter anderem das Buch "Wem gehört das Heilige Land?"

Die gute Nachricht zuerst: Rechtsextremisten waren und sind in der Bundeswehr alles andere als willkommen. Das wird auch so bleiben. Die politische und militärische Führung der Bundeswehr hat, allen gegenteiligen Unterstellungen zum Trotz, nie nach rechts liebevoll geschielt. Im Gegenteil. Auch das wird bleiben. Zur schlechten Nachricht: Strukturell übt die Bundeswehr, wie jedes Militär auf der Welt und in der Weltgeschichte, auf national und nationalistisch Gesinnte und besonders Rechtsextremisten eine stärkere Anziehungskraft aus als auf linke oder liberale Bürger jedweder Ausprägung und jeglichen Landes.

Im Gesamtpersonal der Bundeswehr gab es bislang genügend Idealisten, die bereit waren und sind, die Freiheit, die demokratische und menschliche Lebensordnung der Bundesrepublik Deutschland, zu sichern - "für den Fall der Fälle". Wohlgefühl und Dankbarkeit gegenüber dem Weg der bundesdeutschen Demokratie war und ist ein Motivationsfaktor, der, neben anderen, für das dominant nichtrechtsextreme Bundeswehr-Ethos sorgte. Wenige kamen aus Abenteuerlust, viele, "um zu helfen". Letzteres ist ehrenwert, doch bei einer Interventionsarmee nicht mehr realistisch. Das THW wäre die Alternative.

Aus der Geschichte wissen wir: Freiwillig kommen Menschen "zu den Waffen" nur dann, wenn sie diese drei Belohnungen, und zwar alle drei zusammen, bekommen: Macht oder Machtbeteiligung; Geld, daher Sold-aten; Ansehen beziehungsweise Wertschätzung, Achtung oder Ruhm.

National- und welthistorische Herausforderung

Solange die Wehrpflicht allgemein galt, konnte man auf diese Sonderkonditionen verzichten. Im Prinzip musste jeder zum Nulltarif Waffen tragen. So gesehen, war die Allgemeine Wehrpflicht eine gesellschafts-, militär- und wirtschaftshistorische Revolution. Der Staat bekam fast unentgeltlich seine Kämpfer. Der Sold war entfallen; abgesehen vom eher kümmerlichen Wehrsold.

Politisch betrachtet waren Volksbewaffnung und Volksherrschaft, sprich "Demokratie", Wehrpflicht und Wahlrecht, seit jeher zwei Seiten derselben Medaille. Zumindest tendenziell und strukturell. Diese welthistorische Regel galt seit dem Hoplitenheer des Alten Athen, über die levée en masse der Französischen Revolution bis zur jüngsten Vergangenheit. Seitdem stehen Politik, Gesellschaft und nicht nur unser Militär vor einer neuen national- und welthistorischen Herausforderung: Die Volksherrschaft ohne Volksbewaffnung zu bewahren und zu verhindern, dass die im Volk Bewaffneten, das Militär, die Volksherrschaft abschafft.

Wehrunwillige gab es zu allen Zeiten und an allen Orten, denn freiwillig sterben wollte und will kaum jemand, und das Todesrisiko ist im Militär erheblich größer als bei jedem zivilen Arbeitgeber. Ohne (guten!) Sold beziehungsweise Bezahlung schrumpft des Menschen Risikobereitschaft.

Ohne die Allgemeine Wehrpflicht, bei einer Berufsarmee, müssen die Streitkräfte mit anderen, zivilen Arbeitgebern konkurrieren. Die Geschichte lehrt: Zu den Streitkräften kommen, neben wenigen Idealisten, nur diejenigen, die auf dem zivilen Arbeitsmarkt weniger oder keine Möglichkeiten finden.

Was wissen wir über diese Bevölkerungsgruppen, unabhängig davon, ob sie zur Bundeswehr gehen oder nicht? Wir wissen, dass diese Menschen in der Regel perspektivlos und, weil perspektivlos, gegen "das System" verführbar sind - zum Beispiel für rechtsextremistische Ideologien. Das ist seit Jahren durch Umfragen und Wahlergebnisse belegt. Nicht nur in Deutschland. Rechtsextreme Parteien haben dort den größten Erfolg, wo der zivile Arbeitsmarkt schwächelt. Diese Regionen gibt es auch im Westen unseres Landes, doch im Osten sind sie zahlreicher.

Vor allem aus den wirtschaftlich strukturschwachen Regionen Deutschlands kamen bis 2011 die meisten Berufs- und Zeitsoldaten der Bundeswehr. Auf der Ebene der Mannschaftsgrade war (ist?) diese Tendenz offenkundig, weniger auf der Offiziersebene. Die skizzierten Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass, gemessen an der Gesamtbevölkerung, Ostdeutsche häufiger zur Bundeswehr stoßen als Westdeutsche. Unter den Ostdeutschen sind es wiederum diejenigen, die in ihrer Heimatregion auch bei guter Ausbildung keinen zivilen Arbeitsplatz finden.

Das Problem sind nicht die Ostdeutschen, sondern die innerdeutsche Gerechtigkeitslücke. Statt arbeitslos zu werden oder zu bleiben, lassen sich die ärmeren Bevölkerungsschichten als Soldaten anwerben. Historisch betrachtet ist das ein Rückfall in vormoderne Zeiten, als die Ärmsten der Armen als Sold-aten geworben, meist zwangsgeworben und im wahrsten Sinne des Wortes "gefasst" beziehungsweise "gepresst", wurden - weil sie arm waren.

Die Bürger dieses Landes sind gefordert

Noch etwas lehrt die Allgemeine Gesellschafts- und Militärgeschichte: Zu den Streitkräften kommen außerdem die Ideologen. Keine linken oder liberalen Ideologen, sondern eher national und nationalistisch Gesinnte, Rechte beziehungsweise Rechtsextremisten. Sie wären auch ohne das Berufsfeld Offizier/Soldat weder perspektiv- noch arbeitslos, aber sie "wittern Morgenluft": dass sie in den Streitkräften gezielter Nachwuchs werben und an sich binden können. Wie in jedem Militär, ist hierfür auch in der Bundeswehr als Berufsarmee das Potenzial größer als in der allgemeinen Gesellschaft.

Strukturell und historisch betrachtet entstand somit seit 2011 in Deutschland das Großproblem einer selbstgeschaffenen Herausforderung: die neue Bundeswehr, wie die alte, als Garant und Garantie der bundesdeutsch demokratischen Republik zu erhalten und auszubauen - Volksherrschaft ohne Volksbewaffnung, Wahlrecht für alle ohne Wehrpflicht für alle, wobei es politisch leichter durchsetzbar ist, eine Berufsarmee der Wenigen als eine Wehrpflichtarmee aller in Kriege zu schicken. Diese dem Todesrisiko auszusetzen, ist politisch heikler als gegenüber Berufssoldaten, die in den Augen der Allgemeinheit für diese vermeintliche "Dienstleistung" bezahlt und nicht geehrt werden.

Fazit: Bislang, als Wehrpflichtarmee, konnte die Bundeswehr Binnenangriffe von Rechtsextremen erfolgreich abwehren. Durch den Übergang zur Berufsarmee wird diese selbstgestellte Aufgabe erheblich schwerer. Wir alle, Bürger dieses Landes, sind gefordert. Wie kann es das Zivil vom Militär fordern, wenn es das Militär nicht fördert? Mehr Ansehen verleihen und mehr Geld geben kann das Zivil dem Militär - mehr Macht nicht. Sonst wäre es nicht die Berufsarmee eines demokratischen Staates. Ein neuer Abschnitt der allgemeinen und deutschen Militärgeschichte hat begonnen. Wir alle sind gefordert.

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SZ vom 03.01.2013/woja
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