Rechtsextremismus:Hass aus der Parallelwelt

Bundeskanzlerin besucht Flüchtlingsunterkunft Heidenau

Pfiffe, Pfui- und Buh-Rufe: Die Kanzlerin wurde am Mittwoch in Heidenau mit Rufen wie "Volksverräterin" empfangen.

(Foto: Arno Burgi/dpa)
  • Es gibt eine Form der Gewalt, der Übergriffe, der Bedrohung, die in keiner Polizeistatistik vorkommt.
  • Vor allem Politiker mit Migrationshintergrund bekommen immer wieder Droh-Mails vom rechten Mob.
  • Wissenschaftlern zufolge nimmt die Gewaltbereitschaft aus dem rechten Spektrum zu.

Von Hans Leyendecker, Nico Fried und Christoph Hickmann

Die Bundesregierung lädt am Wochenende die Bürger wieder mal zum Tag der offenen Tür ein. Mehr als 100 000 Besucher werden erwartet. Bürger fragen - Politiker antworten. Seit Jahren ist die Veranstaltung ein großer Erfolg.

Aber da gibt es auch die anderen, die gar keine Fragen mehr haben, sondern nur Feindschaft und Hass zeigen. Die Wutbürger, die rechtsextremistischen Kader, oder Gruppen wie die obskure "Deutsche Widerstandsbewegung" (DWB). Aus diesem Dunstkreis stammen oft die Kriminellen, die Flüchtlingsunterkünfte attackieren. Im ersten Halbjahr verzeichnete das Bundesinnenministerium 173 Straftaten rechter Täter gegen Asylheime.

Und es gibt eine Form der Gewalt, der Übergriffe, der Bedrohung, die in keiner Polizeistatistik vorkommt. In der Kriminologie steht das Wort "Dunkelfeld" für etwas, das statistisch nicht bekannt ist oder nicht erfasst wird. Das Gegenteil ist das "Hellfeld". Für Angriffe auf Politiker gibt es kein eigenes Parameter, weil Opfer in keiner Kriminalitätsstatistik unter ihren Berufsbezeichnungen geführt werden.

Im Visier des rechten Mobs stehen aber, das ergeben Recherchen bei Opfern und Institutionen, zunehmend Politiker und politische Einrichtungen wie Wahlkreisbüros oder Parteihäuser. Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erhält nach eigenen Angaben immer wieder Morddrohungen, Oberbürgermeister im Osten, aber auch im Westen mussten unter Polizeischutz gestellt werden.

Viele hetzen jetzt schon mit ihrem richtigen Namen

Gegen Kommunalpolitiker wird besonders oft gehetzt. Die Nation merkte kurz auf, als im Frühjahr der Bürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt zurücktrat, weil Neonazis vor seinem Haus Randale machen wollten und er sich im Stich gelassen fühlte, aber dann war das Thema schon wieder weg. Dabei wird die Flut, die aus Hetzportalen und aus Facebook-Gruppen strömt, immer stärker. Viele hetzen jetzt schon mit ihrem richtigen Namen.

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) erhält immer wieder Droh-Mails: Einen "langsamen, qualvollen Tod", wünschte ihm ein Absender. "Der Türke verdient den Museltod. Kopf abschneiden der Drecksau", stand auf Facebook über Grünen-Chef Cem Özdemir. "Du gehörst am nächsten Baum aufgehängt", schrieb ein Anonymus der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özuğuz (SPD). Vor allem Politiker mit Migrationshintergrund bekommen immer wieder Droh-Mails.

"Das Maß und die Art an Verrohung unserer Sprache und unseres Umgangs mit- und untereinander macht mir Sorgen", sagt Innenminister Thomas de Maizière der Süddeutschen Zeitung. Wo Menschen nicht dafür einstehen müssten, was sie sagen oder schreiben, weil sie es anonym tun, sei das oft noch extremer. "Gerade im Internet in geschlossenen Gruppen, in denen sich die Menschen gegenseitig in ihren Ansichten bestätigen und aufstacheln, glauben die Menschen dann auch noch, sie würden die Meinung einer schweigenden Mehrheit zum Ausdruck bringen, wenn sie gegen Ausländer hetzen oder Presse und Politik verteufeln", so de Maizière. Denen könne er nur deutlich entgegenhalten: "Ich bin froh, dass dem nicht so ist und stolz darauf, dass Deutschland ein offenes und tolerantes Land ist."

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