Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus:Warum ein NPD-Verbot geboten ist

Die wehrhafte Demokratie wehrt sich zu wenig. Von einem Parteiverbot darf man sich allerdings nicht zu viel erwarten.

Kommentar von Heribert Prantl

Wenn es um Hass und Hetze geht, fallen einem heute ganz andere Kürzel ein als "NPD"; es redet ja derzeit kaum einer von ihr; alle reden von der AfD und von Pegida. Das wird sich aber in der kommenden Woche ändern: Die NPD wird in aller Munde sein - und zwar nicht deswegen, weil diese Partei etwa am Montag in ganz Deutschland fremdenfeindliche Demonstrationen anführt; sondern deswegen, weil am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine historische Verhandlung beginnt.

Das höchste deutsche Gericht prozessiert drei Tage lang darüber, ob die NPD wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten werden muss. Es geht um Grundfragen der Demokratie, es geht um das dritte Parteiverbot in der Geschichte der Bundesrepublik: 1952 wurde die rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei SRP verboten, 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands KPD.

Hinkt die Klage gegen die NPD der Wirklichkeit hinterher?

Das ist lange her; das war in den jungen, in den wackeligen Jahren der Bundesrepublik. Ist die NPD, sechs Jahrzehnte später, diesen Aufwand wert? Wäre es nicht besser, die wehrhafte Demokratie würde ihre Wehrhaftigkeit auf andere Weise und an anderen Objekten beweisen? Ist der nun beginnende große Karlsruher Bohei nicht ein großer Irrtum, eine Aberratio?

Ist dieses Verbotsverfahren nicht ein untauglicher Versuch am untauglichen Objekt, am falschen Ort und zur falschen Zeit? Hinkt nicht die Klage gegen die NPD der Wirklichkeit hinterher? Ist dieses Verbotsverfahren, wegen der großen Aufmerksamkeit, zu der es der NPD wieder verhelfen wird, womöglich gar eine Art Gebrechlichkeitspflegschaft für eine Partei, die schon einmal stärker war als heute?

Das Verfahren ist wichtig und richtig

All diese Fragen sind nicht von der Hand zu weisen. Trotzdem ist dieses Verfahren wichtig und richtig: Die NPD bildet nach wie vor die Kernorganisation des Rechtsextremismus in Deutschland. Und das Karlsruher Verfahren wird ja nicht nur über das Verbot dieser Partei entscheiden; das Urteil wird auch aufzeigen müssen, wie weit eine rechtsextreme Partei in Deutschland gehen kann, bis sie das Parteienprivileg verliert.

Wie lange kann eine Organisation unter dem Mantel und Schutz dieses Privilegs aggressiv kämpferisch gegen das Grundgesetz auftreten? Darf es sein, dass unter diesem Mantel Gewalttaten gegen Flüchtlinge Vorschub geleistet wird? Auch dazu muss dieses Verbotsverfahren gegen die NPD Aussagen treffen. Und das hat Bedeutung für neue Parteiengebilde rechts außen.

Das Gericht beantwortet eine demokratische Schicksalsfrage

Es geht darum, wo der Schutz für eine Partei endet, weil der Schutz für die Menschen beginnen muss, gegen die diese Partei agitiert. Es geht darum, ob und wann die Repression gegen eine Partei aus Gründen der Prävention für deren Opfer notwendig ist; das ist vorbeugender Opferschutz. In einer Zeit, in der in Deutschland jeden Tag drei Anschläge gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte verübt werden, hat das höchste Gericht incidenter eine demokratische Schicksalsfrage zu beantworten.

Entweder es urteilt "Bis hierher und nicht weiter". Oder es urteilt: "Bis hierher und noch weiter". Also: Wann beginnt der Missbrauch der Parteienfreiheit? Wie stellt man diesen Missbrauch fest - und wie reagiert man darauf? Mit der gelassenen Dickfelligkeit eines Staates, der seit den tapsigen Anfangsjahren um einiges gereift ist? Oder besser mit der Sensibilität einer Demokratie, die weiß, dass sich ein starker Staat dadurch auszeichnet, dass er die Schwachen schützt?

Es wird derzeit viel über Obergrenzen bei den Flüchtlingszahlen diskutiert. Auf der nach oben offenen Skala der politischen Abstrusitäten gibt es eigentlich keine Obergrenzen für die Meinungsfreiheit und für die Demonstrationsfreiheit; auch der größte Unsinn genießt den Schutz der Grundrechte. Aber der Schutz endet dort, wo rechtsextreme Agitation rechtsextreme Gewalttaten befördert. Ist das Parteiverbot zugleich die Stigmatisierung einer politischen Meinung? Ja, das ist so. Aber: Ein gewaltbereiter und gewalttätiger Rassismus muss stigmatisiert werden.

Es wäre gut gewesen, wenn das Verfassungsgericht das schon 2003 getan hätte. Damals lief das erste Verbotsverfahren gegen die NPD; damals wurde es aus formalen Gründen eingestellt, ohne dass Karlsruhe zu inhaltlichen Fragen Stellung genommen hätte.

Womöglich gehört das zum Beginn der verheerend politordinären Entwicklung, die Deutschland heute quält. Die rechtsradikale Szene fühlt sich seit dem gescheiterten NPD-Verbot von 2003 besonders stark, sie fühlt sich heute zur Notwehr gegen Flüchtlinge berufen. Ein NPD-Verbot schon im Jahr 2003 hätte vielleicht eine gewisse rezivilisierende Wirkung gehabt.

Die Demokratie schläft und hält das Schnarchen für Aktivität

Der Staat hat dem neonazistischen Treiben so lange zugeschaut, bis sich der Neonazismus mit dem aggressiven Rechtspopulismus vermischt hat. Volksverhetzende Pegida-Parolen können heute folgenlos gebrüllt werden; die meisten fremdenfeindlichen Anschläge bleiben unaufgeklärt.

Die wehrhafte Demokratie wehrt sich zu wenig; sie schläft zu viel und hält das Schnarchen für Aktivität. Sie tut so, als wäre Meinungsfreiheit auch die Freiheit zur Gewaltvorbereitung. Aber: Den Gehässigkeiten darf man in einem demokratischen Rechtsstaat nicht nachgeben. Pöbler dürfen nicht den Eindruck haben, sie müssten nur lange genug pöbeln, bis ihnen die Politik um den Bart geht.

Ein NPD-Verbot ist geboten. Aber man darf sich davon nicht zu viel erwarten; vor dem Rechtsextremismus wird man in Deutschland auch nach einem Verbot der NPD nicht sicher sein. Ein solches Verbot schaltet das braune Programm nicht ab; es verhindert allerdings, dass dafür auch noch Steuergelder bezahlt werden. Die Kader der verbotenen Partei werden sich künftig bei AfD und Pegida engagieren. Aber: Sie werden dann künftig unter einem Damoklesschwert agitieren.

Das Parteiverbot ist kein Ersatz für eine Politik, die um Wähler wirbt, auch um die am rechten Rand. Es ist auch kein Ersatz für eine lebendige Zivilgesellschaft, die sich dagegen wehrt, dass Deutschland zur Dresdner Republik wird. Aber: Man vermisst in diesen Wochen den starken Staat, der die Schwachen schützt. Vielleicht wacht er in Karlsruhe auf.

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Quelle:
SZ vom 27.02.2016/sih
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