Rechtsextremismus:Der "Aufstand der Anständigen" verläuft sich

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Aussteiger-Programme kämpfen um ihre Existenz, denn die mit großem Einsatz gestarteten Initiativen gegen den Rechtsextremismus stehen wegen mangelnder Zuschüsse vor dem Aus.

Von Mike Szymanski

Es gäbe gute Gründe für Bernd Stracke, den Kampf gegen Rechtsextremismus aufzugeben: die Fensterscheiben in seinem Haus im sächsischen Kittlitz zum Beispiel, die sie zweimal eingeschlagen haben, erst an Heiligabend und dann am zweiten Weihnachtstag. Oder die Neonazis, die den 41-jährigen Sozialarbeiter nach einem Vortrag über Toleranz und Demokratie Neonazis einkesseln.

Nein zum Hakenkreuz! Aber Aussteigerprogrammen droht das finanzielle Aus. (Foto: Foto: dpa)

Ihm unmissverständlich klar machen, dass er nicht erwünscht sei, und ihn als "Vaterlandsverräter" beschimpfen. Und es gibt einen schlechten Grund, weshalb Stracke tatsächlich bald gezwungen sein könnte, das Handtuch zu werfen: dass für seine Arbeit kein Geld mehr da ist.

Stracke arbeitet für die Initiative "Augen Auf!" - ein Projekt, das unter anderem im südöstlichen Sachsen gegen rechte Unkultur kämpft, die dort besonders tiefe Wurzeln hat. Der Sozialarbeiter vernetzt Vereine und Gruppen, die Ausstellungen, Festivals und Theateraufführungen über Fremdenfeindlichkeit organisieren.

Das Geld für die politische Bildungsarbeit erhält Stracke, wie bisher insgesamt 3600 Projekte gegen Rechtsextremismus in Deutschland auch, vor allem von der Bundesregierung. Mit mehr als 154 Millionen Euro hat der Staat seit 2001 das ambitionierte Programm im Kampf gegen Rechtsextremismus angeschoben. Ein Jahr zuvor hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder den "Aufstand der Anständigen" ausgerufen - eine Reaktion auf die zunehmenden fremdenfeindlichen und antisemitischen Straftaten in Deutschland.

Rüge vom Rechnungshof

Doch ausgerechnet jetzt, nach den Erfolgen der rechtsextremen NPD, bröckelt die Front der Anständigen: Ende kommenden Jahres läuft die Förderung aus. Und schon jetzt sind viele Initiativen in finanzieller Not.

Bernd Stracke zum Beispiel ringt noch um das Geld für seine Arbeit. "Ich habe sehr viel damit zu tun, meine Stelle am Leben zu halten", klagt der Sozialarbeiter. Finanziert wird sie über "Civitas", neben "Xenos" und "Entimon" eines von drei öffentlichkeitswirksam aufgelegten Programmen der Bundesregierung. Etwa 35 Prozent der Kosten muss der Sozialarbeiter dieses Jahr über Drittmittel einwerben, weil sich der Bund aus der Finanzierung zurückzieht. Länder und Kommunen, so will es die Regierung, sollen einspringen.

Doch die sind skeptisch - nicht nur mit Blick auf ihre klammen Haushalte. Von Anfang an war das millionenschwere Ertüchtigungsprogramm für die Demokratie umstritten. Gut gemeint, aber nicht gut gemacht - zu diesem Schluss kam 2003 ein Gutachten des Politikwissenschaftlers Roland Roth aus Magdeburg für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.

Steilvorlage für die Opposition

"Halbherzig" nannte er die Umsetzung. Mit dem Geld werde "ein unverbundenes Nebeneinander unterschiedlicher Maßnahmen und Akteure" gefördert. Mancherorts, so vermutete Roth, würde einfach die bereits bestehende Jugendarbeit finanziert, es fehle an qualifizierten Mitarbeitern, wichtige Gruppen, etwa Haupt- und Realschüler, würden nicht erreicht.

Selbst der Bundesrechnungshof befand damals die Mängel als so gravierend, dass er eine Rüge mit der Empfehlung verband, die Finanzierung auszusetzen - eine Steilvorlage für die Opposition, die gegen die Programme wetterte.

Seitdem haben es die Initiativen besonders schwer, bei Ländern und Kommunen um Zuschüsse zu werben, ob der Verein "Opferperspektive" in Brandenburg, der sich um Opfer rechter Gewalt kümmert, oder die mobilen Beratungsteams in Sachsen, die Bürgermeistern helfen, wenn Rechte im städtischen Jugendzentrum den Ton abgeben.

"Das können wir auf Dauer nicht finanzieren", heißt es im brandenburgischen Justizministerium. Sachsen hat zwar zwei Millionen Euro für ein eigenes Programm gegen Rechts im Haushalt berücksichtigt, doch den Initiativen will der Freistaat nur wenig davon geben. Nach ersten Planungen sind 750.000 Euro für eine Image-Kampagne vorgesehen, weitere 500.000 für externe Sachverständige. Für die Basisarbeit, wie sie die Initiativen leisten, bliebe dann nur etwas mehr als ein Drittel.

Die Zukunft vieler dieser Projekte sei ungewiss, sagt Anetta Kahane, Mitglied im Beirat des Civitas-Programms und Vorsitzende der "Amadeu Antonio Stiftung", deren Name an den in Eberswalde ermordeten Familienvater erinnert. "Kleine Initiativen sind schon weggebrochen", klagt sie, größere stünden vor enormen Schwierigkeiten. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die überleben, ist nicht sehr hoch."

Das hat die Bundesregierung erkannt: Bereits im vergangenen Jahr wollte sie die Förderung der Projekte für 2005 um fünf Millionen Euro zurückfahren. Schon damals hätte dies das Aus für viele Initiativen bedeutet, so setzte die Regierung ihre Sparpläne erst einmal aus. Auf Dauer aber kann der Bund die Förderung nicht aufrechterhalten. "Wir dürfen nur Modellprojekte finanzieren", heißt es im Bundesfamilienministerium, das zwei der drei Programme steuert. Irgendwann müssen in solchen Fällen die Länder oder Kommunen einspringen.

Immunisierung der Gesellschaft

Anetta Kahane fürchtet das Ende eines beispiellosen Programms. Nie zuvor sollte so breit angelegt die Zivilgesellschaft im Kampf gegen den Rechtsextremismus gestärkt werden. Anders als in den 90er Jahren, als akzeptierende Jugendarbeit das Problem mit Rechten lösen sollte, setzt die Bundesregierung diesmal auf die Immunisierung der Gesellschaft.

Die Geschichtswerkstätten, Theatergruppen, Festivals und Beratungsteams sollen das Vertrauen in die Demokratie stärken, für Toleranz und ein friedliches Miteinander werben. Wenn das funktioniert, finden Rechtsextremisten keinen Nährboden mehr, lautet die Hoffnung.

Der Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer hält die Projekte für besser als ihren Ruf. Sie hätten sich in vielen Bereichen positiv entwickelt, sagt der Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, das mit der wissenschaftlichen Bewertung des Civitas-Programms beauftragt ist. "Es sind Anfänge gemacht, die ermutigen," sagt er und: "Wenn man zivilgesellschaftliche Strukturen verändern will, dann dauert das eben sehr lange - man hat Rechtsextremismus noch nicht als Dauerproblem begriffen."

Bürokratische Hürden und eine Förderpraxis, wonach die Initiativen Jahr für Jahr ihr Geld neu beantragen müssen, hätten viele Mitarbeiter mürbe gemacht. Zudem hätten sie oft gegen Widerstände in den Kommunen zu kämpfen - Vereine, die öffentlichkeitswirksam auf Neonazis aufmerksam machen, gelten oft als rufschädigend.

Wie sehr diese Arbeit gebraucht werde, belegten aktuelle Umfragen aus seinem Institut, sagt Heitmeyer: Jeder vierte Bundesbürger stimme heute rechtspopulistischen Aussagen zu, 2002 sei es noch jeder fünfte gewesen. Stärker als bisher müssten sich Initiativen nun um vernachlässigte Zielgruppen kümmern. Vereine vor Ort sollten mehr in die Arbeit einbezogen werden. Und auch auf rechte Jugendlichen, glaubt Wilhelm Heitmeyer, müsse man wieder zugehen. "Auch die sind Teil der Zivilgesellschaft."

Selbst Vorzeigeprojekt in Gefahr

Sogar so bekannte und erfolgreiche Projekte wie "Exit" sind mittlerweile in Gefahr. Das Aussteigerprogramm, gegründet vom Ex-Kriminaloberrat Bernd Wagner und dem Ex-Naziführer Ingo Hasselbach, gilt als Vorzeigeprojekt im Kampf gegen Rechtsextremismus. Wer aber heute die Hotline wählt, muss sich oft mit dem Anrufbeantworter begnügen.

Im August lief nach drei Jahren regulär die Förderung aus; "zur Zeit leben wir nur von Spenden", sagt Exit-Leiter Wagner. Er musste vier Mitarbeiter entlassen, jetzt arbeitet er als Einziger Vollzeit und beschäftigt zwei Mitarbeiter stundenweise. Ausstiegswillige könne er meist nur noch am Telefon beraten - um sie zu treffen, fehle das Geld.

Dabei kann sich die Bilanz sehen lassen. Seit dem Programmstart im Jahr 2000 konnten Wagner und sein Team 190 Neonazis aus der Szene holen. Die Zahl der Hilfesuchenden ist zwar zurückgegangen, doch auch jetzt melden sich 30 Ausstiegswillige im Jahr. Zahlen, von denen das Bundesamt für Verfassungsschutz nur träumen kann.

Es hat wenige Monate nach dem Start von Exit ein eigenes Aussteigerprogramm aufgebaut; seitdem konnte es 70 Neonazis zum Ausstieg bewegen. Bei den Kollegen in Sachsen meldete sich das ganze Jahr über nur ein Einziger, den das Aussteigerprogramm interessierte.

Inzwischen wächst in Regierungskreisen die Einsicht, dass man nicht auf die Länder setzen könne, um die Projekte überleben zu lassen. Sebastian Edathy (SPD), Sprecher der Arbeitsgruppe Rechtsextremismus, schlägt eine Bundesstiftung vor.

"Wir brauchen eine langfristige Perspektive für die Initiativen", sagt er. Um jährlich zehn Millionen Euro ausschütten zu können, müsste diese Stiftung über ein Kapital von 200 Millionen Euro verfügen, rechnet er vor. Edathy setzt dabei auf den Bund und private Stifter - doch für diese Idee muss er noch viel Werbung machen.

© SZ vom 15.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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