Rechtsextremes Netzwerk in Nordrhein-Westfalen:"Das trifft die Polizei bis ins Mark"

Nordrhein-westfälische Beamte tauschten sich jahrelang in einem rechtsextremen Netzwerk aus. Innenminister Reul spricht von "übelster Hetze" und rechnet mit weiteren Tätern.

Von Christian Wernicke und Ronen Steinke, Düsseldorf/Berlin

Als "Schande für die Polizei" hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) das jahrelange Treiben von 29 Polizisten gegeißelt, die in fünf Chatgruppen rechtsextreme Propaganda verbreitet und gespeichert haben. Die 23 Männer und sechs Frauen wurden am Mittwoch vom Dienst suspendiert. Per Razzia suchten mehr als 200 ihrer Kollegen in 34 Polizeidienststellen und Privatwohnungen in sechs Städten nach weiteren Beweismitteln. Gegen elf Beamte wurden Strafverfahren wegen Volksverhetzung und wegen der Verbreitung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet. Innenminister Reul sprach von "übelster und widerwärtigster neonazistischer, rassistischer und flüchtlings-feindlicher Hetze".

Entdeckt wurde das rechtsextreme Netzwerk, als Ermittler in Bochum bei Untersuchungen in einem anderen Fall gegen einen 32-jährigen Kollegen zufällig auf Bilder in fünf Whatsapp-Gruppen stießen: Darunter waren Fotos von Adolf Hitler sowie das Hakenkreuz auf Fahnen und einer Geburtstagstorte. Eine von bisher 126 Bilddateien, so Reul, sei die "fiktive Darstellung eines Flüchtlings in der Gaskammer eines Konzentrationslagers," eine andere zeige die Erschießung von Menschen schwarzer Hautfarbe. Der Minister wollte zwar "kein strukturelles Problem" unter seinen 50 000 Polizisten in NRW ausmachen, aber: "Ich kann heute nicht mehr von Einzelfällen sprechen." Reul befürchtet, "dass weitere Fälle dazukommen".

Die Ermittler erwarten bei der Auswertung der am Mittwoch gesicherten Handys und Computer einen "Schneeballeffekt". Erst dann könne man sehen, wie sich etwa die 15 Polizisten konkret verhalten hätten, die bisher nur als Empfänger, nicht aber als Versender der Propaganda gelten. Fast alle Beschuldigten kannten sich aus dem gemeinsamen Streifendienst in Mülheim/Ruhr, auch ihr Dienstgruppenleiter soll mitgechattet haben.

Reul warf den Polizisten vor, sie hätten ihren Diensteid auf das Grundgesetz gebrochen: "Das trifft die Polizei bis ins Mark." Er schulde es den Bürgern und allen anständigen Polizisten, diesen Skandal aufzuarbeiten, aufzuklären und Konsequenzen zu ziehen. Im Polizeipräsidium Essen arbeite daran nun eine Sonderinspektion. Zudem schuf Reul den Posten eines Sonderbeauftragten, der ein Lagebild rechtsextremistischer Tendenzen in der NRW-Polizei erstellen soll. Bisher, so Reul, gebe es keine Hinweise auf Verbindung der 29 Polizisten zu Neonazis, Reichsbürgern oder zum in Hessen aufgetauchten "NSU 2.0".

Der Fall fügt sich in eine Reihe ähnlicher Vorfälle in anderen Bundesländern ein. So kam vor zwei Jahren heraus, dass fünf Beamte einer Frankfurter Innenstadtwache eine Chatgruppe betrieben hatten, in der sie ebenfalls Hitler-Bilder sowie rassistische und NS-verherrlichende Witze geteilt hatten. In München waren im März vier Polizisten suspendiert und neun versetzt worden - wegen teils rechtsextremer und antisemitischer Chats. Und in Baden-Württemberg wurden im Februar sieben angehende Polizisten wegen ähnlicher Vorwürfe suspendiert.

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