Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremer V-Mann "Primus":"Mann ohne Hals"

Lesezeit: 6 min

In Zwickau, der Stadt, in der sich der NSU versteckte, lebte ein umtriebiger rechtsextremer Skinhead. Zudem arbeitete er für den Verfassungsschutz. Was wusste V-Mann "Primus" von den Taten der NSU?

Von Hans Leyendecker und Tanjev Schultz

Die Paulchen-Panther-Melodie mögen Kinder gern, und die Erwachsenen freuen sich darüber. Sie hört sich ein bisschen unheimlich an, und doch so harmlos, so unbeschwert. Die Melodie hatte mal etwas unschuldig Verschmitztes. Die Unschuld ging verloren, weil die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) die Musik auf ihrem Bekennervideo verwendet haben. Warum mochten die Neonazis diese Musik?

Eigentlich passt sie auch nicht zu einem heute 42 Jahre alten Mann, der in einer Band sang, die "Westsachsen-Gesocks" hieß. Ein Mann, der Glatze und einen Kampfhund hatte und sich mit dickem, weißem Bauch und Pumpgun fotografieren ließ. Als "Mann ohne Hals" hat ihn ein anderer Neonazi bezeichnet. Lange Zeit lebte diese unangenehme Gestalt in Zwickau, wo zuletzt auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wohnten. Er war sehr gut vernetzt in der rechten Szene. Und auf einem seiner alten Computer entdeckten Ermittler eine interessante Musikdatei: die Paulchen-Panther-Melodie.

Er hing wie eine Spinne im rechten Netz

"Manole" war der Spitzname des Mannes in der rechten Szene. "Primus" hieß er beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Unter diesem Decknamen hat er ein Jahrzehnt lang, bis mindestens 2002, als Informant gearbeitet. Er kannte viele Leute aus dem Umfeld des NSU; 2008 zog er in die Schweiz. Im Oktober 2010 wurde seine Akte beim BfV geschreddert. Zweimal ist er später von Ermittlern zum NSU vernommen worden, und seltsamerweise wurde er dabei nicht nach der Melodie befragt.

Vielleicht hätten die Beamten eine ähnlich schnippische Antwort bekommen, wie er sie vor ein paar Tagen der SZ gab: "Ich habe viele Musikdateien auf meinem PC." Und: "Erwarten Sie von mir keine weitere Unterstützung." Was meinte er damit?

Wegen dubioser V-Leute wie Primus denken Abgeordnete der Grünen, der Linken und sogar der CDU mittlerweile darüber nach, ob es im Bundestag einen zweiten Untersuchungsausschuss geben sollte. Er könnte sich mit den offengebliebenen Fragen zur Rolle der Geheimdienste im NSU-Komplex beschäftigen. Im Mittelpunkt müsste das BfV stehen, das durch seine Schredderaktionen und durch erstaunliches Nichtwissen aufgefallen ist.

Bei der Suche nach den Ursachen des staatlichen Versagens stieß man auf Strukturfehler, auf Korpsgeist, Inkompetenz und Pech. War da vielleicht mehr? Wusste eine Behörde oder einer ihrer geheimen Informanten mehr über die Terroristen, als sie heute zugeben? Der Fall des Mannes, den die einen "Manole" und die anderen "Primus" nannten, macht besonders misstrauisch. Bereits 1992 wurde er als V-Mann vom Verfassungsschutz angeworben. Der rechte Mann am ganz rechten Fleck.

Verbindungen zum Neonazi-Netzwerk "Blood & Honour"

Er hatte Verbindungen zum Neonazi-Netzwerk "Blood & Honour", das die drei untergetauchten Neonazis aus Jena auffing. Er kannte erstaunlich viele der mutmaßlichen Helfer des NSU. Thomas S., der mit Zschäpe ein Techtelmechtel gehabt haben soll, kannte er von Konzerten und dem Vertrieb rechtsradikaler Musik. Thomas S. soll das Trio zunächst in Chemnitz untergebracht haben. Hat Primus davon nichts mitbekommen, wie er behauptet?

Vor Gericht, im Münchner NSU-Prozess, spielte vor Kurzem eine Zeugenvernehmung von Thomas S. eine Rolle. Er war gefragt worden, ob auch Manole das Trio kannte? Vielleicht sei mal die Telefonnummer weitergegeben worden, gab S. zu Protokoll. Er überreichte den Ermittlern alte Fotos. Auf einem Bild ist eine Frau in Bomberjacke zu sehen, die aus Blood & Honour-Kreisen stammt, daneben ein Skin-Mädchen, das zu Manoles Umfeld gehört habe; daneben Uwe Mundlos. Am Bildrand sind noch die Haare und die Nase einer Frau zu erkennen. Thomas S. meinte, das sei Beate Zschäpe gewesen.

Manole kannte auch Jan W. und Hendrik L., die sich im Umfeld des Trios bewegten. Jan W. sollte angeblich mal eine Waffe für die Terroristen besorgen (was er bestreitet). Manole hat mit ihm noch 2012 über Facebook kommuniziert.

Und der frühere V-Mann kennt auch die Familie E. aus Zwickau. André E. ist einer der Angeklagten im NSU-Prozess. Er ist der Mann, der sich auf den Bauch "Die Jew Die" tätowieren ließ - "Stirb Jude, stirb". Manole sagte den Ermittlern, er habe André E. in den Neunzigerjahren im Erzgebirge bei Partys kennengelernt. Es sei viel getrunken worden: "1000-Dosen-Partys".

Susann E., die Ehefrau, ist eine der Beschuldigten im NSU-Verfahren. Sie hielt offenbar ganz engen Kontakt zu Beate Zschäpe. Im Wohnzimmer der Familie E. fanden die Ermittler eine Art Schrein zum Gedenken an die toten Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt: eine Zeichnung mit den Gesichtern dieser beiden Mörder.

Zwickau ist nicht die Welt. Hier leben wenig mehr als 90 000 Menschen. Hat "Primus" wirklich keine Ahnung gehabt, dass die Untergetauchten dazugehörten? Er habe das Trio nicht gekannt, sagte er der Polizei. "Ich habe diese drei nie in meinem Leben gesehen", teilte er der SZ mit.

Muss man das glauben?

Ein Zeuge meldete sich bei den Ermittlern, der meinte, Zschäpe habe früher als Aushilfe in einem von Manoles Läden in Zwickau gearbeitet. Dort kauften Neonazis gerne Klamotten. Die Polizei hat eine Reihe anderer Zeugen befragt. Eine Tätigkeit Zschäpes für Manole ließ sich nicht belegen.

Ist es vorstellbar, dass er das Trio nicht kannte? Dass er gar nichts über die Untergetauchten erfuhr, die in der Szene ja keine Unbekannten waren? Ging die Übersiedlung des Trios von Jena nach Chemnitz und dann nach Zwickau ausgerechnet an dem Mann vorbei, der wie eine Spinne im rechten Netz hing?

Auf einer Festplatte, die Manole in Zwickau hinterließ, als er 2007 ins Ausland verschwand, ist ein Schreiben abgespeichert, in dem einem gewissen Tino Brandt bestätigt wird, dass er sich im Januar 2003 zu einem Vorstellungsgespräch in einem von Manoles Läden eingefunden habe.

Brandt war ein führender Kopf der Thüringer Neonazi-Szene - und bis zur Jahrtausendwende einer der wichtigsten Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes, Deckname "Otto". Er kannte das Trio gut. Was hatte die Ex-Quelle Primus mit der Ex-Quelle Otto zu tun? "Es gibt nicht nur einen Tino Brandt auf dieser Welt", antwortet Manole alias Primus der SZ.

Zu diesen Episoden aus dem braunen Sumpf kommt dann noch die Autogeschichte: Bis heute ist nicht in allen Fällen klar, wer die Autos angemietet hat, mit denen die NSU-Terroristen zu den Tatorten fuhren. Die Mordserie begann im September 2000 in Nürnberg. V-Mann "Primus" betrieb von 2000 bis 2002 in Zwickau eine Baufirma, die auch in München und in der Nähe von Nürnberg tätig war. Er mietete viele Autos an, auch zu verdächtigen Zeitpunkten. Die Wagen sind für lange Fahrten genutzt worden. Am 13. Juni 2001 beispielsweise - dem Tag, an dem der NSU in Nürnberg einen türkischen Schneider niederschoss - mietete Manole einen Wagen an, für den 980 Kilometer abgerechnet wurden. Als weiterer Fahrer wurde ein Mann eingetragen, der den Behörden als Rechtsextremist bekannt war und der nur drei Hausnummern entfernt vom Trio in der Zwickauer Polenzstraße wohnte. Zufall?

Vielleicht sind es Zufälle. Vielleicht war Primus so ahnungslos wie das Amt, dem er vieles verriet, nur nicht die wirklich wichtigen Dinge. Darf man nicht erwarten, dass die Behörde nun alles tut, um zur Aufklärung beizutragen? Im Fall "Primus" drängt sich ein anderer Eindruck auf: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mauert.

In einem Vermerk hat das Bundeskriminalamt (BKA) die Korrespondenz mit dem BfV über einen Zeitraum von 14 Monaten zur Quelle "Primus" zusammengefasst. Die erste "Erkenntnisanfrage" vom 9. Januar 2012 blieb unbeantwortet. Deshalb schickte das BKA die Anfrage erneut; am 21. Februar kam eine Antwort: allgemeine Personenangaben, die bereits in der Anfrage des BKA gestanden hatten. Darüber hinaus wurde mitgeteilt, dass die sogenannte P-Akte zu der Quelle gelöscht worden sei - die Akte zur Person. Weil die jetzt in der Schweiz lebe, habe man den dortigen Partnerdienst gebeten, etwas zum Verbleib des früheren Informanten mitzuteilen. "Eine Übermittlung der Erkenntnisse erfolgte nicht", notiert ein BKA-Beamter später.

Schließlich teilte das BfV ein paar Splitter mit, die als "geheim" eingestuft wurden, was dem Anlass nicht entsprach. Dann war wieder Pause. Nachdem BKA-Ermittler "Primus" selbst befragt hatten, sprachen sie über ihre Erkenntnisse mit dem BfV. In einem "kryptierten" Telefonat mit abhörsicheren Geräten. Das BfV bestätigte eine bestimmte Angabe von Primus, mehr war nicht.

Am 9. November 2012 fragte das BKA erneut beim BfV nach, um mehr über die Kontakte von Primus zu erfahren. Wieder kam nur der Hinweis, die Akte sei gelöscht worden. Man wolle übrigens gern das Vernehmungsprotokoll vom BKA bekommen.

Fünf Tage später bittet das BKA um "Treffberichte", die sich auf Kontakte von Primus mit heutigen Beschuldigten beziehen. Im Dezember reichte das BKA eine Anfrage wegen der Fahrzeuganmietungen nach, schickte im Januar 2013 die Zeugenvernehmung und erhielt dann am 16. Januar und am 8. März zwei Schreiben des BfV. Nichts, was man nicht wusste. Primus sei im Jahr 2000 auf einem Skinheadkonzert in Chemnitz mit seiner Band Westsachsen-Gesocks aufgetreten und im selben Jahr am Berliner Ring, was allerdings nicht näher konkretisiert werden könne.

Zu allen Kernfragen dieses Falles hatten die Verfassungsschützer nichts beizutragen. So viel Ahnungslosigkeit macht ratlos oder verleitet zu Interpretationen, die, hoffentlich, nur Hirngespinste sind.

Die Feststellung, dass Primus, der bislang nicht mal als Zeuge für die Hauptverhandlung im Gericht vorgesehen ist, so nah dran war und angeblich doch so fern, ist nicht sehr beruhigend.

Der ehemalige Informant des Inlandsgeheimdiensts hat sich übrigens im Schweizer Kanton Graubünden niedergelassen, ganz in der Nähe der Gegend, in der die Schriftstellerin Johanna Spyri Heidi, den Geißenpeter und den Alm-Öhi ansiedelte. Manole trägt nicht mehr die alte Szenekluft, sondern Handwerkerkleidung, und das Haar ist ein bisschen gewachsen.

Er war in der Schweiz Kleiderverkäufer, Sicherheitsmann, Konzertveranstalter, Lastwagenfahrer. Derzeit versucht sich der ehemalige V-Mann als Selbständiger im Entrümpelungsgeschäft und als Antiquitätenhändler. Sein Angebot ist reichhaltig und bizarr: ein Hexengesicht aus Keramik gehört dazu, ein Miniatur-Segelschiff aus Holz und ein Feldstecher der "US Army", angeblich aus dem Jahre 1943.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2014
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