Rechtsextremer Pogrom 1992:Die furchtbaren Tage von Rostock-Lichtenhagen

Im August 1992 attackierten Neonazis und Anwohner ein Haus, in dem Ausländer wohnten - der Staat zeigte sich hilflos. Fotos eines Pogroms, der fast zur Katastrophe führte.

Rückblick.

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Rostock-Lichtenhagen:Tage der Schande

Clashes - After heavy clashes in Rostock Monday evening, August 24, 1992...

Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PR

Die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen gehören zu den schlimmsten ausländerfeindlichen Übergriffen in der Bundesrepublik. Neonazis und Anwohner belagerten und attackierten 1992 ein Haus, das von Asylbewerbern und Gastarbeitern bewohnt wurde. Polizei und Politik waren mit der Situation völlig überfordert.

Die Bilder gingen um die Welt: Im August 1992 griffen Neonazis und Anwohner im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen ein Asylbewerberheim sowie eine Unterkunft für Gastarbeiter an. Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen dauerten vier Tage an und beschädigten nicht nur das Ansehen der gerade wiedervereinigten Bundesrepublik im Ausland. Wieso konnte die Situation damals so eskalieren? Ein Rückblick.

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Rostock-Lichtenhagen:Symbol Sonnenblumenhaus

Ausländerfeindliche Krawalle in Rostock

Quelle: picture alliance / dpa

Das Sonnenblumenhaus ist ein elfstöckiger Plattenbau mit Wandmosaik im Nordwesten Rostocks. Polizei und Bundesgrenzschutz schützten das Gebäude und seine Bewohner im August 1992 nur unzureichend vor brutalen Angriffen von Anwohnern und Neonazis. In dem Hochhaus waren damals die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) und ein Wohnheim für vietnamesische Gastarbeiter untergebracht. Der Wohnblock steht immer noch und ist inzwischen ein Symbol für eine der dunkelsten Stunden der Bundesrepublik.

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Rostock-Lichtenhagen:Angespannte Situation in der Flüchtlingsunterkunft

Reportage Ausschreitungen Rostock Lichtenhagen 1992 auf dem Gehweg ausharrende Flüchtlingsfamilie

Quelle: imago/Rex Schober

Bereits Wochen vor den Krawallen war die Lage in Rostock-Lichtenhagen angespannt. Die ZAst war im Sommer 1992 völlig überfüllt. Neue Bewerber, meist Roma und Sinti, waren gezwungen, tagelang vor dem Gebäude zu campieren. Die Anwohner forderten von der Stadt ein Ausweichquartier, das aber nicht zur Verfügung gestellt wurde. Die Nachbarschaft beklagte sich massiv über die hygienische Situation um das Asylbewerberheim. In der Politik schien sich dafür niemand zuständig zu fühlen.

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Rostock-Lichtenhagen:Der Hass bricht sich Bahn

Police in riot gear run away as rightist rioters throw molotov cocktails...

Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PR

Politik und Polizei hätten gewarnt sein können: Wenige Tage vor Beginn der Krawalle hatte ein Anrufer bei einer Rostocker Tageszeitung angekündigt, dass es eine "heiße Nacht" geben werde. Außerdem kursierten Zehntausende Flugblätter mit fremdenfeindlichem Inhalt in Lichtenhagen und Umgebung. Ihr Titel: "Schluss mit dem Asylschwindel". Trotzdem trafen die Behörden keinerlei Vorkehrungen, um die Flüchtlinge zu schützen.

Am Abend des 22. August eskalierte die Situation: Wütende Anwohner versammelten sich vor dem Asylbewerberheim, Steine flogen gegen das Haus, Fenster gingen zu Bruch. Zuschauer johlten und applaudierten. Etwa 300 Randalierer wüteten auf dem Vorplatz des Asylbewerberheims. Gerade einmal 30 Polizisten waren zunächst vor Ort, überfordert und schlecht ausgerüstet.

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Rostock-Lichtenhagen:Überforderte Polizisten

20 Jahre Lichtenhagen

Quelle: dpa

Erst am frühen Sonntagmorgen trafen Wasserwerfer aus Schwerin ein. Mit ihrer Hilfe gelang es der Polizei, den Mob auseinanderzutreiben. Doch nicht für lang: Schon am nächsten Abend versammelten sich erneut etwa 900 Randalierer und etwa doppelt so viele, oft applaudierende Zuschauer vor der ZAst. Wieder flogen Steine, Autos brannten - bis in die frühen Morgenstunden.

In einer dieser pogromartigen Nächte war auch der stellvertretende Oberbürgermeister Rostocks, Wolfgang Zöllick, vor Ort. TV-Bilder zeigten, wie er versuchte, die Umstehenden zu beruhigen. "Aber es sind doch Menschen, die hier sind", rief er. Doch er wird überbrüllt: "Hör auf mit dem Scheiß!" und "Das sind Diebe", lauten die Antworten auf seinen hilflosen Vorstoß.

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Rostock-Lichtenhagen:Flüchtlinge müssen aus Rostock fliehen

Reportage Ausschreitungen Rostock Lichtenhagen 1992 Flüchtlinge werden in einen Bus gebracht

Quelle: imago/Rex Schober

Erst am Morgen des 24. August ordnete das Landesinnenministerium an, das Gebäude zu evakuieren. Die Flüchtlinge wurden mit Bussen in eine andere Unterkunft gebracht. Am Mittag war die Aslybewerberaufnahmestelle im Sonnenblumenhaus vollständig geräumt. Die Randalierer setzten ihre Angriffe dennoch weiter fort.

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Rostock-Lichtenhagen:Angriffe auf die leere ZAst

Right-wing extremists run through spray from water cannons during clashes...

Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PR

Am Abend des 24. August 1992 waren etwa 1000 Randalierer auf der Straße. Sie griffen zunächst das leere Asylbewerberheim an. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Angreifer zu vertreiben, zu denen auch mehrere hundert Neonazis aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen gehörten.

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Rostock-Lichtenhagen:Lichtenhagen brennt

Police with water cannons during heavy clashes in Rostock...

Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PR

Die Polizei brach ihren Einsatz am 24. August um 21 Uhr ab. Die Schicht der Einsatzkräfte war damit beendet, eine weitere sollte nicht folgen. Der Abbruch des Polizeieinsatzes wurde zunächst mit Erschöpfung der Einsatzkräfte erklärt. Später führte der damalige Vize-Polizeidirektor Jürgen Deckert den Abzug auf ein "Missverständnis meiner Untergebenen" zurück.

Vietnamesische Gastarbeiter und ihre Familien, die in einem Wohnheim im Sonnenblumenhaus lebten, waren dem Mob nach dem Rückzug der Polizei schutzlos ausgeliefert. Die rechtsextremen Randalierer warfen Steine und Molotowcocktails durch die Fenster des Wohnheims.

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Rostock-Lichtenhagen:Wohnheim in Flammen

Neun Jahre nach 'Lichtenhagen' nun Prozess

Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb

Die Zimmer des Wohnheims fingen sofort Feuer. Die Flammen breiteten sich in den unteren Etagen rasant aus. Mehr als 100 Männer, Frauen und Kinder waren zu der Zeit in dem Gebäude eingeschlossen. Erst in letzter Sekunde konnten die Eingeschlossenen über das Dach auf ein Nebengebäude fliehen. Nur diesem Umstand ist es zu verdanken, dass niemand verletzt oder getötet wurde. Die Gewalttäter wurden auch in dieser Nacht von Tausenden Zuschauern angespornt und beklatscht. Die Menschenmenge behinderte den Einsatz von Polizei und Feuerwehr immens.

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Rostock-Lichtenhagen:Das zerstörte Wohnheim

Ausländerfeindliche Krawalle in Rostock 1992

Quelle: dpa

Das ganze Ausmaß der gewalttätigen Übergriffe am Sonnenblumenhaus wurde erst am nächsten Tag sichtbar. Die vietnamesischen Gastarbeiter wurden per Bus in eine andere Unterkunft gebracht. Das Gebäude stand also leer. Der Mob löste sich deshalb aber immer noch nicht auf.

In der Nacht zum 26. August kam es ein letztes Mal zu Ausschreitungen. Die Angriffe der etwa 1000 Randalierer konzentrierten sich auf die Einsatzkräfte. Die Bilanz: Etwa 65 Polizisten wurden verletzt. Erst nach dieser Nacht beruhigte sich die Lage in Lichtenhagen.

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Rostock-Lichtenhagen:Die letzte Nacht der Gewalt

20 Jahre Lichtenhagen

Quelle: dpa

Nach den Pogromen setzten sowohl die Rostocker Bürgerschaft als auch der Schweriner Landtag einen Untersuchungsausschuss ein. Rostocks Bürgermeister Klaus Kilimann (SPD) trat nach Veröffentlichung des Bürgerschafts-Berichtes zurück, ebenso Mecklenburg-Vorpommerns damaliger Innenminister Lothar Kupfer (CDU). Ministerpräsident Berndt Seite (CDU) blieb im Amt, er sagte im Sommer 1992: "Die Vorfälle zeigen, dass die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird."

Das unkoordinierte Eingreifen der Polizeikräfte, aber vor allem auch die zögerliche Reaktion von politischer Seite, ließ schon bald den Verdacht aufkommen, dass die CDU-Regierung des Landes und des Bundes der Situation in Lichtenhagen ganz bewusst ihren Lauf gelassen hatte, um die Notwendigkeit eines verschärften Asylgesetzes zu untermauern. Bis heute ist er nicht aus der Welt geräumt. Nur wenige Monate nach den Vorfällen in Lichtenhagen wurde mit dem sogenannten "Asylkompromiss" das uneingeschränkte Grundrecht auf Asyl beseitigt.

© sueddeutsche.de/jum/joku/gal/odg
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