Süddeutsche Zeitung

Rechtsextreme Musik:"Kamerad, ich weiß, wie du dich fühlst"

Rockmusik als Kampf? Der verurteilte Rechtsrocker Lunikoff ist wieder frei und hat mehr Fans denn je - Verfassungsschützer bezeichnen seine Musik als rechtsextreme Einstiegsdroge.

Marc Felix Serrao

Dem Mitarbeiter des Hennigsdorfer Musik- und Bekleidungsgeschäfts "On the Streets" tut es leid, er kann auch nicht weiterhelfen. Ob und wann es ein neues Album der Lunikoff Verschwörung geben werde, wisse er nicht. "Luni", das wisse man ja sicher, stehe noch unter strenger Aufsicht. "Sobald es da was Neues gibt, sagen wir sofort Bescheid", verspricht er.

Es ist offenbar nicht die erste Anfrage dieser Art in dem Neonaziladen nordwestlich von Berlin. "Luni", der Sänger mit dem knuffigen Spitznamen, ist Deutschlands bekanntester rechtsextremer Rockmusiker. Ende Februar wurde der frühere Chef der Band Landser aus dem Tegeler Gefängnis entlassen, in dem er 1052 Tage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung einsaß. "Der Kampf geht weiter!", hat er auf seiner Internetseite angekündigt.

Rockmusik als Kampf? Der Verfassungsschutz nimmt solche Drohungen sehr ernst. "Rechtsextremistische Musik vermittelt in ihren Texten offen oder unterschwellig rechtsextremistische Feindbilder und nationalistische, fremdenfeindliche, antisemitische und antidemokratische Ideologiefragmente", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2007, den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstag vorgestellt hat.

Lieder vom Anwalt geprüft

Die NPD und Neonazi-Kameradschaften ließen bei ihren Veranstaltungen immer öfter Rechtsrock-Gruppen und Liedermacher auftreten und lockten damit erfolgreich auch szenefremde Jugendliche an. Das Genre, das von völkischen Balladen ("Opa, ich vermisse dich") bis hin zu brachialem Black Metal reicht, habe für die Bewegung heute eine "herausragende Bedeutung".

Wie Rechtsrock versucht, das Gefühl des Ausgegrenzt- und Unverstandenseins vieler Jugendlicher zu bedienen, zeigt das Lunikoff-Lied "Fels in der Brandung", das auch auf einer der kostenlosen "Schulhof-CDs" der NPD zu hören ist: "Kamerad, ich weiß, wie du dich fühlst", singt Michael "Luni" Regener: "wie ein Fels in der Brandung, von einer Flut von Dreck umspült. Wie ein Ruf in der Wüste, der ungehört verhallt, während sich am Horizont der Sturm zusammenballt..." Dazu jault die E-Gitarre.

Vergleicht man die drei Alben der Lunikoff Verschwörung, die allesamt legal zu kaufen sind und die der Sänger noch vor seiner Verurteilung produzierte, mit Regeners alter Band Landser, erkennt man, wie sich der Rechtsrock seit den neunziger Jahren gewandelt hat. Landser-Musik war brutal und dumpf, unverhohlen rassistisch. "Kanake verrecke, verfluchter Kanake. Du bist nichts weiter als ein mieses Stück Kacke", heißt es in einem Lied des ersten Albums "Das Reich kommt wieder", das 1992 als Kassette auf den Markt kam. Solche Texte würde der inzwischen 43-jährige Regener sicher nicht mehr veröffentlichen - aus Vorsicht. Seine neue Band lässt ihre Liedtexte vor dem Verkauf vom Anwalt überprüfen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Auswirkungen das Lachser-Urteil auf die Szene hat ...

Beim Berliner Verfassungsschutz, der seit Jahren eine rege Rechtsrock-Szene beobachtet, ist zu hören, dass die Vorsicht von Lunikoff (der Name stammt von einer Wodkamarke) keine Ausnahme sei. "Die meisten Bands bemühen sich darum, dass ihre Texte nichts strafrechtlich Relevantes enthalten", heißt es - "schon um kommerzielle Schäden zu vermeiden". Selbst auf den konspirativen Konzerten verhielten sich die Musiker zurückhaltender. Gegrölt und gesoffen werde wie eh und je, doch der Hitlergruß sei selten geworden. Verbotene Passagen stimmten die Bands oft nur noch an, den Rest brülle das Publikum.

Das Versteckspiel ist simpel, aber effektiv: Wir wissen, dass ihr uns beobachtet, ist die Botschaft - und unsere Fans wissen, wie wir es meinen.

Das Landser-Urteil hat der Szene nicht geschadet. Die Zahl der Bands und Konzerte hat zugenommen, und Michael Regener hat mehr Fans denn je. Denn anders als seine früheren Bandkollegen kooperierte der Sänger damals nicht mit der Justiz, sondern stand zu seiner rechtsradikalen Gesinnung. "Die Freiheit teuer erkauft - um den Preis der Ehre", warf Regener den anderen Landsern vor. Seine Sturheit verschaffte ihm in der Szene Respekt, auch unter rechtsextremen Politikern.

Die NPD, die bei aller Verfassungsfeindlichkeit lange um einen Rest an Biederkeit bemüht war, hatte den öffentlichen Kontakt zur wilden Rechtsrock-Szene bis zum Landser-Urteil gemieden. Nun setzte sie sich vehement für Regener ein. Sein Abschiedskonzert fand im Rahmen des thüringischen Landesparteitags statt. Im Oktober 2006 dann lud die NPD zu einer Solidaritätsdemo vor der Justizvollzugsanstalt Tegel ein. "Freiheit für Lunikoff - Lasst unsere Kameraden raus" stand auf den Transparenten.

Heute bietet die NPD rechtsradikalen Bands überall im Land Auftrittsmöglichkeiten. Michael Weiss, Rechtsrock-Experte vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum ("Apabiz") schätzt, dass 2007 bereits über die Hälfte der etwa 200 bekanntgewordenen Neonazi-Konzerte unter dem Deckmantel politischer Veranstaltungen und Feste stattgefunden habe: "Da redet dann für fünf Minuten ein Parteivertreter, und dann spielen hintereinander drei Bands", erklärt er. Die NPD gelte in der Szene als "bewährter Partner".

Und Regener? Der berüchtigte Rechtsrocker ist seit elf Wochen frei - und noch ist es still. Auf die Frage, wann denn die erste Parteiveranstaltung mit der Lunikoff Verschwörung geplant sei, antwortet NPD-Sprecher Klaus Beier: "Momentan ist mir nichts bekannt."

Neonazis im Pfadfinderlook

In Neonazi-Foren im Internet wird seit Wochen aufgeregt über Regeners ersten Auftritt nach der Haft diskutiert. Doch der Sänger selbst bremst auf seiner Seite die Euphorie: "Achtung: Sämtliche momentanen Ankündigungen angeblicher Konzerte von uns sind Blödsinn." Laut Berliner Verfassungsschutz hält sich der Musiker seit seiner Entlassung tatsächlich bedeckt.

Rechtsrock-Experte Michael Weiss zufolge hat Regener allerdings schon wieder an mindestens einer NPD-Veranstaltung teilgenommen: Am 15. März hätten Augenzeugen ihn bei einem Auftritt des rechtsextremen Politikers und Liedermachers Jörg Hähnel im brandenburgischen Bernau gesehen. Ob der ehemalige Häftling dort auch selbst auf der Bühne stand, sei unbekannt.

Das Versteckspiel passt zum Erscheinungsbild des deutschen Rechtsextremismus. Der ist längst nicht mehr so leicht zu erkennen wie früher. Statt brauner Einheitskluft aus Springerstiefeln und Bomberjacke, gibt es heute eine bunte Szene, in der "autonome Nationalisten" Baseballkappen und Palästinensertücher tragen und die rechtsradikalen Naturfreunde der "Heimattreuen Deutschen Jugend" aussehen wie Pfadfinder.

Auch der stark tätowierte Chef der Lunikoff Verschwörung sieht nicht aus wie ein typischer Nazi. Die letzten bekannten Bilder stammen vom 2. April 2005, dem Abschiedskonzert vor der Haft im thüringischen Pößneck. Damals waren Regeners Haare abrasiert, um den Mund hatte er einen "Henriquatre"- Bart, wie ihn Gewerkschafter früher gerne trugen. Am linken Ohr baumelten silberne Ohrringe, auf der Nase saß eine Sonnenbrille mit knallorangenen Bügeln. Dass er für so ein Erscheinungsbild im Dritten Reich vermutlich mindestens mit Berufsverbot bestraft worden wäre, ist seinen Fans egal. "Ganze Klassenzimmer hat er allein durch seine Musik für den nationalen Widerstand rekrutiert", schwärmt einer von ihnen auf der "Altermedia"-Internetseite: "Nur davor habt ihr Angst - und diese ist begründet."

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SZ vom 17.05.2008/cag
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