Süddeutsche Zeitung

Rechtsextreme:Fällt Cottbus an die AfD?

Am Sonntag wird in Brandenburgs zweitgrößter Stadt ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Der AfD-Kandidat hat gute Chancen, in die Stichwahl zu kommen. Es wäre ein ideologischer Rückschritt für eine Region, die gerade vor dem Aufbruch steht.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Mit 100 000 Einwohnern ist Cottbus zwar eine Großstadt, aber auch nicht so groß, dass seine Geschichte nicht in ein kleines Museum passen würde. In dem Gebäude an der Bahnhofstraße geht es viel um die guten Tage dieses von der Wende geprügelten Ortes. Um die Tuchmacher Mitte des 19. Jahrhunderts und um die Hochzeiten im Tagebau. "Besuchet Cottbus" wirbt ein farbenfrohes Plakat aus den 1920er Jahren für "Die Pforte zum Spreewald". Dass es von dem Künstler Ludwig Hohlwein stammt, der schon vor 1933 viel für die NSDAP arbeitete, ist nicht vermerkt. Auch die Gegenwart der Metropole der Brandenburgischen Region Lausitz wird im Stadtmuseum eher knapp abgehandelt. Der freundliche Mann an der Kasse versichert jedoch, dieser Teil werde bald ausgebaut.

Wie die Geschichte von Brandenburgs zweitgrößter Stadt dann weitererzählt wird, hängt auch von den nächsten Tagen ab. Am Sonntag soll ein neuer Oberbürgermeister gewählt werden, und es könnte sein, dass die AfD zum ersten Mal die Macht in einer Großstadt gewinnt. "Schreiben wir Geschichte!", heißt es auf der Homepage der Partei. "Der erste alternative Oberbürgermeister einer Großstadt wäre nicht nur für Cottbus ein Zeichen der Wende."

Verlässliche Umfragen dazu, ob das tatsächlich gelingen könnte, gibt es nicht. Die meisten Beobachter gehen jedoch davon aus, dass der AfD-Kandidat Lars Schieske zumindest in die Stichwahl kommt. Der 45-jährige Berufsfeuerwehrmann ist eng verbandelt mit dem als rechtsextrem eingestuften Verein "Zukunft Heimat". Bei der Landtagswahl 2019 gewann Schieske den Wahlkreis Cottbus II mit 27, 3 Prozent der Stimmen; Cottbus I holte eine Parteikollegin. Auch der stärkste politische Gegner, die CDU, hält einen Sieg der Rechten offenbar für denkbar: In den vergangenen Tagen wurden die Wahlplakate ihres Kandidaten Thomas Bergner noch schnell mit einem Aufkleber versehen. "Blaues Rathaus? Nicht mit uns!", steht darauf.

Jona Adamski könnte jetzt so richtig wütend sein, doch sie wirkt vor allem ernüchtert und auch etwas abgekämpft. Am vergangenen Sonntag hat sie mit ein paar Dutzend Mitstreitern eines unseligen Jahrestages gedacht: Bewaffnet mit Messern, Steinen und Molotow-Cocktails waren 1992 an die 200 Rechtsextreme in den Ortsteil Sachsendorf gezogen, um die Asylbewerberunterkunft zu stürmen. Baseballschlägerjahre werden diese Zeiten genannt. Und nun, 30 Jahre später, sitzt Adamski in einem Café am Cottbusser Altmarkt und muss feststellen, dass die Stadt "immer wieder an so einen Punkt kommt". Deshalb möchte sie ihren richtigen Namen auch nicht veröffentlicht sehen. Vor ein paar Jahren wäre das noch anders gewesen.

Eine Stadtführung ohne klares Bekenntnis gegen Rechts

Die 32-Jährige stammt aus dem Spreewald und lebt seit zehn Jahren in Cottbus. Sie hat erlebt, wie sich die Zivilgesellschaft gemeinsam mit der Stadt erfolgreich gegen die Rechtsextremen gestellt hat. Wie die Stadt aufblühte. "2015 war dann so der Wendepunkt." Auch in Cottbus wurden damals Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan aufgenommen. Die AfD bekam Zulauf - und Holger Kelch, seit 2014 Oberbürgermeister von der CDU, stellte sich nicht gegen die Ausländerfeinde. Er forderte lautstark einen Zuzugstopp.

Seitdem sei die Zivilgesellschaft im Kampf gegen Rechts geschwächt, meint Adamski. Eine Stadtführung ohne klares Bekenntnis und ein größerer Teil der Bevölkerung, der nach rechts offen sei: "Wir befinden uns seit fünf Jahren in einer Art Lähmungszustand." Den von den Rechtsextremen befeuerten Demonstration gegen die Corona-Politik mit mehreren tausend Menschen habe man kaum mehr etwas entgegensetzen können. Die Szene sei zudem inzwischen sehr gut organisiert, sagt Adamski. "Die haben Cottbus gezielt als Standort ausgewählt."

Eine Einschätzung, die der Verfassungsschutz Brandenburg bestätigt. Die rechte Szene in der Stadt gilt als besonders gewaltbereit und zugleich als sehr gut vernetzt. Ein "toxisches Gebilde" nennen das die Verfassungsschützer. Ein Gebilde aus AfD, dem Verein "Zukunft Heimat", der Identitären Bewegung, rechtsextremen Vordenkern und Hooligans, aber auch aus einer Reihe von Tattoo-Studios, Security-Unternehmen, Restaurants und Musiklabels.

Die AfD und ihr Kandidat Lars Schieske ziehen seit Wochen mit dem "Mobilen Stammtisch" durch die Stadt. Für ihren letzten Auftritt vor der Wahl haben sie sich den Ortsteil Sandow ausgesucht. Es gibt Freibier, Bratwurst und Zuckerwatte. Sandow sei einmal als roter Bezirk verschrien gewesen, beginnt Schieske seine Rede. Jetzt habe er den Eindruck, man laufe durch "Klein-Aleppo". Das wolle er als Oberbürgermeister ändern, Schieske will Geflüchtete wieder in "Massenunterkünfte" unterbringen und alle Ausgaben zur Eingliederung stoppen. "Integration ist eine Bringschuld."

Eigentlich steht Fortschritt an: 17 Milliarden Euro fließen in die Region

Ob er als Stadtoberhaupt dazu überhaupt die Befugnisse haben würde, ist an diesem Abend nicht so wichtig. Mehr als 100 Menschen sind gekommen, Junge, Alte, Männer, Frauen, auch zwei, drei Familien. Sie sitzen auf Bierbänken und klatschen. Als der Kandidat ruft, sie würden um jeden Straßenzug kämpfen, rufen einige laut "Jawoll" zurück. Schieskes Rede ist wie die gesamte AfD-Kampagne ein plumpes, aber auch effektives Spiel mit den Ängsten der Leute. "Damit Cottbus Heimat bleibt", lautet der Hauptslogan. "Ich bin nicht rechtsextrem, weil ich das sage", meint Schieske. "Und Ihr seid es auch nicht."

Der Erfolg der Rückschrittlichen kommt zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt, steht doch gerade der Fortschritt vor der Tür. Der Tagebau, jahrzehntelang Motor der Lausitz, wird in den nächsten Jahren abgewickelt werden. 8000 Menschen arbeiten dort noch, doch die meisten seriösen Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass der Verlust dieser Arbeitsplätze in den kommenden Jahren weit mehr als ausgeglichen wird. An die 17 Milliarden Euro fließen in die Region, die Bahn baut in Cottbus bereits ein Werk, um ihre ICEs zu warten, im Norden der Stadt wird der Lausitz Science Park entwickelt, in dem an der Zukunft der Energieversorgung gearbeitet werden wird. Und das sind nur zwei von einem ganzen Bündel neuer Ansiedlungen.

Das Geld wird also kommen, an Arbeitskräften mangelt es der Region jedoch. Viele junge Menschen wandern ab und nur wenige ziehen dorthin - auch wegen des Bilds als Hochburg der Rechten. Dabei haben die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg gerade ermittelt, dass in dem Bundesland acht von zehn neuen Stellen mit Zugewanderten besetzt werden. Die Stadtverwaltung Cottbus hat das Imageproblem inzwischen erkannt. Gemeinsam mit dem Brandenburgischen Innenminister und dem Landesverfassungsschutz wurde nun ein Konzept gegen Rechts entworfen. "Der Rechtsextremismus ist der Feind des Strukturwandels", sagte Noch-Oberbürgermeister Kelch bei der Vorstellung.

Doch der Wahlkampf der Demokraten wirkt erstaunlich müde. SPD-Kandidat Tobias Schick will "Cottbus mit frischem Wind schick machen", sein Gegenspieler von der CDU, der langjährige Ordnungsdezernent Thomas Bergner, schreibt auf seinem Plakat, er trage "Cottbus im Herzen". In der letzten Woche vor der Wahl sagt er einen Stand ab, weil zu wenige Interessierte da sind. Bei der AfD kommt dafür Parteichefin Alice Weidel nach Cottbus und bringt gut 1000 Menschen auf die Straße. Und für den Sonntag sammeln Schieskes Leute auf ihren Veranstaltungen Handynummern, um einen telefonischen Kettenbrief zu organisieren. So soll sichergestellt werden, dass ihre Sympathisanten auch wählen gehen.

Die "Junge Lausitz" macht einen Strukturplan für eine moderne Region

Laura Staudacher ist 24, das Treffen mit ihr findet im Café am Cottbusser Bahnhof statt. Staudacher, Reisetasche über der Schulter, Laptop unterm Arm, arbeitet als stellvertretende Pressesprecherin der FDP-Bundestagsfraktion in Berlin. Dreimal in der Woche pendelt sie, sie will die Lausitz nicht verlassen. "Ich lebe gerne hier."

Im Frühjahr hat sie deshalb mit einigen anderen jungen Menschen den Verein "Junge Lausitz" gegründet, ein überparteiliches Bündnis für die Region. "In den Kommunalparlamenten sitzen viele Politiker im hohen Alter, die kaum eigene Initiativen einbringen", meint Staudacher.

Deshalb will der Verein gemeinsam mit den Jungendorganisationen der demokratischen Parteien junge Lausitzer dazu bringen, die Zukunft hier selbst in die Hand zu nehmen. "Den Älteren steckt das Trauma der Wende mit der hohen Arbeitslosigkeit noch in den Knochen", sagt sie. Doch "nicht nur der Staat muss sich kümmern, sondern auch diejenigen, die hier leben, müssen ihre Ideen für die Zukunft der Lausitz einbringen." In der kommenden Woche will die Initiative fünf konkrete Ideen für den Strukturplan vorstellen und so auch ein anderes, ein modernes Bild von der Lausitz zeichnen. Nicht das von Lars Schieske. Denn es wären immer wieder die Rechten, mit der die Region in die überregionale Presse käme. "Das ärgert mich", sagt Staudacher.

Dieser Sonntag wird auch darüber entscheiden, wie die Geschichte von Cottbus letztendlich weitererzählt werden wird.

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