Rechter Terror und Verfassungsschutz:Wenn der Staat versagt

Der Verfassungsschutz observiert mit Akribie kritische Demokraten - gewalttätige Neonazis lässt er in Ruhe oder beschäftigt sie als V-Leute. Bei solchen Fehlleistungen kann man sich verzweifelt fragen, ob nicht nur die NPD, sondern auch der Verfassungsschutz verboten gehört. Der Staat muss aus seinen Fehlern lernen - und nicht mit Vorschlägen wie einem Neonazi-Register vom Versagen ablenken.

Heribert Prantl

Als es in diesem Jahr drei Monate lang kein gültiges Bundeswahlrecht mehr gab, war von einer "schlummernden Staatskrise" die Rede. Die jetzige Krise schlummert nicht. Sie siedet, sie kocht.

Transparent gegen Nazis an der Basteibrücke

Auf der Basteibrücke in der Sächsischen Schweiz entrollt im Jahr 2009 ein Demokratiebündnis für eine weltoffene und tolerante Tourismusregion ein Banner mit der Aufschrift "Nazis? Nein Danke". Das Bündnis reagiert damit auf den engen Bezug der Sächsischen Schweiz mit der NPD. Angefangen mit den zweistelligen Wahlergebnissen bis hin zu den Skinheads Sächsische Schweiz.

(Foto: dpa)

Seitdem bekannt geworden ist, dass eine Neonazi-Bande ungehindert, unerkannt und unverfolgt mordend durch Deutschland ziehen konnte; seitdem klar geworden ist, dass also die Verfassungsschutzberichte seit 15 Jahren falsch sind; seitdem die Innenpolitiker bekennen müssen, dass die Folgerungen, die sie auf dieser Basis gemacht haben, nicht tragfähig sind; seitdem jeden Tag neue Fehlleistungen des Verfassungsschutzes bekannt werden und immer neue Details über die Distanzlosigkeit, die zwischen einzelnen Verfassungsschützern und Rechtsextremisten herrscht - seitdem mag man sich verzweifelt fragen, ob womöglich nicht nur die NPD, sondern auch der Verfassungsschutz verboten werden sollte.

Solche Verzweiflung ist kein guter Ratgeber, aber sie ist verständlich. Die aktuellen Nachrichten handeln ja nicht nur von einer neuen Dimension des Terrors, sondern auch von einer neuen Dimension des Versagens der Sicherheitsbehörden. Pralle Säcke mit Fragezeichen werden derzeit zwischen den Ministerien, zwischen Berlin, den Landeshauptstädten und Karlsruhe hin- und her geschleppt: Sie betreffen die Täter, sie betreffen die Taten und die derzeitigen Erkenntnisse, die hinten und vorne nicht zusammenpassen, sie betreffen die verrückt anmutenden Fehler der Sicherheitsbehörden. Die Säcke sollen nun bei der Sonderkonferenz aller Innen- und Justizminister auf den Tisch geschüttet werden.

Gewiss: Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt nicht "wegen Staatskrise", sondern wegen "Bildung terroristischer Vereinigungen" - aber damit indirekt auch wegen Staatsversagens, weil die zuständigen Behörden von dieser terroristischen Vereinigung offenbar nicht das mindeste mitgekriegt haben. Die Ermittlungen können eine Staatskrise zur Folge haben - zumal dann, wenn sich ergibt, dass es gegen Rechtsextremisten eine heimliche Linie der Schonung und Nachsicht gegeben haben sollte.

Immer mehr Menschen fragen sich, wer denn die Verfassung vor einem Verfassungsschutz schützt, der mit Akribie und Eifer kritische Demokraten observiert, aber gewalttätige Neonazis in Ruhe lässt oder als V-Leute beschäftigt. Wenn es dem Verfassungsschutz nicht gelingt, seine rechtsextremistischen V-Leute unter Aufsicht zu halten, darf man ihm dann geheimdienstliche, also grundrechtsaggressive Ermittlungsmethoden in die Hand geben?

Dem Verfassungsschutz sind in den Anti-Terror-Gesetzen, die soeben wieder verlängert worden sind, Abhörrechte und geheime Befugnisse abseits jeder Kontrolle durch die Justiz eingeräumt worden. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Befugnisse nicht adäquat eingesetzt werden.

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