Süddeutsche Zeitung

Rechter Terror:Nebenkläger geben Zschäpe Schuld an langwierigem NSU-Prozess

  • Nach dem 305. Verhandlungstag geht der NSU-Prozess in die Sommerpause.
  • Die erhoffte Verlesung einer neuen Erklärung von Beate Zschäpe wird vertagt, stattdessen rückt der Mitangeklagte Ralf Wohlleben in den Mittelpunkt.
  • Die Nebenklage wirft der Hauptangeklagten vor, das Verfahren zu verzögern.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Die Angehörigen der NSU-Opfer warten auf Antworten. Immer noch. Ob und wie Beate Zschäpe die vielen an sie gerichteten Fragen beantwortet, ist weiterhin nicht klar. Im NSU-Prozess stand am letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause der Mitangeklagte Ralf Wohlleben im Mittelpunkt. Die erhoffte Verlesung einer neuen Erklärung Zschäpes lässt auf sich warten.

Anwälte der Nebenkläger hatten vor Wochen mehrere hundert Fragen gestellt. Zschäpes bisherige Einlassungen genügen ihnen nicht, sie wollen mehr wissen über das Zusammenleben mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Untergrund und über mögliche Unterstützer der Terroristen. Sie wollen erfahren, warum zehn Menschen sterben mussten, wie die Tatorte und Opfer ausgesucht wurden.

Die Beweisaufnahme im Prozess, der im Mai 2013 begann, könnte eigentlich bald abgeschlossen werden. Viel hängt aber wieder mal davon ab, wie Zschäpe sich verhält. Jede Antwort könnte weitere Nachfragen zur Folge haben - deshalb ist weiterhin kaum kalkulierbar, wie lange das Verfahren noch dauern wird. Wolfgang Heer, Zschäpes Verteidiger der ersten Stunde, mit dem sie sich überworfen hat, hält viele Fragen der Nebenkläger für unzulässig, weil nicht zur Sache gehörend.

Einen entsprechenden Antrag hat er auch im Namen seiner Kollegen Anja Sturm und Wolfgang Stahl gestellt. Sie beanstanden zum Beispiel die Frage nach einem Brieffreund Zschäpes aus der rechten Szene und die Frage danach, welche Internetcafés Mundlos und Böhnhardt besucht hätten, und wer die Frau war, mit der Zschäpe während einer Demonstration im Januar 1998 gemeinsam eine Fahne getragen habe.

Die Untersuchung des Gerichts dürfe nicht willkürlich ausgedehnt werden, argumentiert Heer: "Eine überschießende Aufklärung überschreitet den Zweck des Strafverfahrens." Zu beachten sei ferner der Grundsatz der Beschleunigung. Strafverfahren sollen möglichst zügig laufen. Diesen Hinweis halten die Nebenkläger für abwegig, da es doch Zschäpe sei, die mit einem mühsamen Procedere das Verfahren aufhalte. Schließlich sei sie es, die nur schriftlich und nach mehrwöchiger Verzögerung und Beratung mit ihren Anwälten reagiere. "Wir hätten alle Fragen schon im Dezember erledigen können!", rief der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann in den Gerichtssaal.

Am Dienstag entwickelte sich nun ein längeres Hin und Her, welchen Hintergrund bestimmte Fragen haben, ob und weshalb sie zulässig oder unzulässig seien. Eine Entscheidung konnte noch nicht gefällt werden. Sie wurde auf die Zeit nach der Sommerpause vertagt.

Abgesehen von möglichen Erklärungen Zschäpes werden im NSU-Prozess nicht mehr allzu viele Zeugen erwartet. Nach der Sommerpause wird das Gericht einige liegen gebliebene Fäden wieder aufnehmen, oft geht es nur noch um Details. Es sollen zudem noch Auszüge aus Akten verlesen werden.

Wohlleben droht eine lange Haftstrafe

Statt mit Zschäpe befasste sich das Gericht zuletzt vor allem mit Ralf Wohlleben, dem früheren NPD-Funktionär aus Jena, der dem NSU die Tatwaffe organisiert haben soll. Die Anklage sieht ihn als steuernde Zentralfigur bei der Unterstützung des Trios Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach dem Untertauchen. Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München mit seinem Vorsitzenden Manfred Götzl ist nach derzeitigem Stand offenbar von Wohllebens Schuld überzeugt. Das ergibt sich aus Beschlüssen, mit denen der Senat immer wieder Anträge auf Haftverschonung abgelehnt hat. Demnach muss sich Wohlleben auf eine lange Haftstrafe wegen Beihilfe zu Mord in neun Fällen einstellen.

Am Dienstag trat als Zeuge der ehemalige Leiter des Staatsschutzes in Jena auf. Er sagte, Wohlleben habe sich nach seinem Eindruck zurückgehalten, wenn es um militante Äußerungen gegangen sei. "Er war clever genug, sich nicht auf solche Dinge einzulassen." Gleichwohl sei Wohlleben durch eine ausländerfeindliche Einstellung Teil des harten Kerns von Jenas rechter Szene gewesen. "Wer war der harte Kern?", fragt Götzl nach. Der Zeuge zählt auf: Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, Holger G., André K., Wohlleben. "Die waren relativ eng verbunden, und das war für uns die gefährliche Gruppe."

Wohllebens Verteidiger stellte weitschweifige Nachfragen zu einer Kundgebung, thematisierte eine Gegendemo und einen Angriff auf seinen Mandanten. Und so schleppte sich die Befragung dahin, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten sprach sogar von einem "unerträglichen feuilletonistischen Räsonieren".

Später chaotisierte der Nebenklage-Anwalt Adnan Erdal die Zeugenvernehmung, indem er einen Antrag stellte, eine Frage zu stellen, die er auch ohne Antrag hätte stellen dürfen. Es wirkte fast so, als wollten manche Beteiligte vor der Sommerpause noch einmal zeigen, wie mühsam fast alles in diesem langen Verfahren ist.

Immerhin konnte der Zeuge am 305. Verhandlungstag einige Informationen beitragen, die das Bild abrunden, das sich die Richter vom Angeklagten Wohlleben machen werden. Nach dem Untertauchen des Trios hatte dieser sich der Parteiarbeit zugewandt; er baute den Kreisverband Jena der NPD auf, ging in den Landesvorstand in Thüringen. Später soll es ein Zerwürfnis mit der Partei gegeben haben.

Vor Gericht hatte sich Wohlleben im Dezember als friedliebender Mann dargestellt, der Gewalt ablehne und nicht gegen Ausländer hetze. Dagegen hat ihn der Mitangeklagte Carsten S. nicht nur mit Blick auf die Waffenbeschaffung für den NSU belastet. Wohlleben soll Ende der 1990er Jahre an einer Schlägerei beteiligt gewesen sein, zudem an einem weiteren Vorfall, bei der Angehörige der linken Szene in eine Falle gelockt und verprügelt worden seien.

Prozess wird am 31. August fortgesetzt

Die Bundesanwaltschaft sieht auch genügend andere Belege für Wohllebens Radikalität. So habe die Beweiserhebung ergeben, dass Wohlleben das antisemitische, von seinen Freunden hergestellte Spiel "Pogromly" gekannt und selbst gespielt habe."

Zu Wohllebens politischer Einstellung stellten die Nebenkläger in dieser Woche neue Beweisanträge. Darin zitieren sie unter anderem aus einer sichergestellten E-Mail mit Liedtexten, die Wohllebens Frau an ihn geschickt habe. Ein Lied heiße "Ein arisches Kind" - und hat einen klar rassistischen Inhalt: "Und der braune Teddybär sitzt tapfer auf der Wacht, wenn die Untermenschen kommen durch die rabenschwarze Nacht." Die Mail datiere auf den 3. November 2011. Einen Tag später flog der NSU auf, als Böhnhardt und Mundlos in Eisenach eine Bank überfielen und anschließend tot in ihrem Wohnmobil aufgefunden wurden.

Nachgehen wollten die Nebenkläger zudem dem Hinweis eines Online-Portals in Thüringen. Demnach könnte Wohlleben im Jahr 2008 eine E-Mail-Adresse verwendet haben mit dem Namen "derrosarotepanther". In einem erst 2011 öffentlich bekannt gewordenen NSU-Bekennervideo wird die Fernsehcomic-Figur "Der rosarote Panther" als Erzähler eingesetzt. Wohlleben hatte in seiner Einlassung vor Gericht beteuert, er habe von den Morden des NSU nichts gewusst.

Die Bundesanwaltschaft hat die Darstellung zu der E-Mail-Adresse als zu vage kritisiert und angedeutet, dass Ermittlungen bereits das Ergebnis erbracht hätten, dass sich eine andere Person hinter der E-Mail-Adresse verborgen habe.

Am 31. August wird der NSU-Prozess fortgesetzt.

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