Süddeutsche Zeitung

Rechter Terror in Deutschland:Spuren ins Nichts

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So viele Ermittlungsfehler, so viele ungenutzte Chancen, die Täter zu fassen: Die ungeheuerlichen Bluttaten der Zwickauer Killertruppe heizen die Gerüchteküche an. Gibt es ein braunes Netzwerk? Haben Polizei oder Geheimdienst den Tätern vielleicht sogar geholfen? Und wird der Fall jetzt zur Staatsaffäre? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Hans Leyendecker

Die Serienmörder von Zwickau waren Fanatiker, Wirrköpfe - und Selbstmörder waren sie am Ende auch. Das immerhin steht fest. Ansonsten gibt es auch eine Woche nach der Mitteilung, dass die Karlsruher Bundesanwaltschaft die Ermittlungen im Fall der zuvor unbekannten terroristischen Vereinigung "Nationalistischer Untergrund" (NSU) aufgenommen hat, mehr vage Fragen als sichere Antworten.

Dieser Umstand hängt auch damit zusammen, dass die Ungeheuerlichkeit der Tat die Gerüchteküche anheizt. Nichts kann angeblich mehr ausgeschlossen werden. Mancher hält sogar eine Komplizenschaft der braunen Killertruppe mit Beamten des Verfassungsschutzes für vorstellbar. Es gibt viele Thesen und Theorien. Manches ist hart, vieles weich - und etliches falsch.

War die terroristische Vereinigung NSU eine isolierte Zelle oder ist sie ein braunes Netzwerk?

Die Ermittler hängen derzeit eher der Zellen-Theorie an. Fest steht aber, dass die Mörderbande Unterstützer hatte. Ein Leben im Untergrund ohne Helfer ist nicht vorstellbar. Vor einigen Tagen wurde Holger G. festgenommen, der seit den neunziger Jahren mit den Neonazis in Kontakt stand. Er soll den Killern beispielsweise seinen Führerschein und seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Mehrmals mietete er Wohnmobile für die Mörder an. Auch gibt es Hinweise auf mindestens zwei weitere Helfer. Es gab Logistik und es gab Unterstützung. Wie weit diese reichte, ist völlig unklar. Aber was wussten die Unterstützer wirklich? Waren sie in die Mordpläne eingeweiht oder haben sie sogar mitgemacht? Das Wort Unterstützer lässt viele Möglichkeiten offen. Ob diese Zelle von einer Membran umgeben war, ist unklar.

Gab es Verbindungen der Killer zu den Sicherheitsbehörden?

Dies wäre der GAU für die Behörden und ein Fall von ganz speziellem Landesverrat. Aber für diese häufig kolportierte These gibt es - derzeit zumindest - keinerlei Anhaltspunkt. Dass die Mörder Tarnpapiere vom Staat bekommen hätten, ist falsch. Die Mörder hatten gefälschte Ausweise, die nicht von einer Sicherheitsbehörde fabriziert worden waren. Bei den bisherigen Ermittlungen ist nicht ansatzweise ein Beleg für die Behauptung aufgetaucht, es habe in den Behörden eine schützende Hand gegeben. Auch für die Vermutung, dem Trio habe jemand beim Untertauchen geholfen, gibt es keinen Beleg. Sie waren keine Quellen des Verfassungsschutzes und haben auch vor dem Verschwinden im Untergrund von den Behörden kein Geld bekommen.

Aber geraten die Behörden nicht durch einen früheren hessischen Verfassungsschützer, Spitzname "kleiner Adolf", ins Zwielicht? Er soll bei sechs Morden in Tatortnähe gewesen sein.

Der Mann war bei einem der Morde, in Kassel, am Tatort. Der Fall ist von der örtlichen Staatsanwaltschaft nach der Tat im Jahr 2006 ermittelt worden. Demnach war der Beamte nur in Kassel dabei - wohl eher zufällig. Er saß in einem Internetcafé. Sein Spitzname "kleiner Adolf" stammt offenbar aus der Schulzeit. In seiner Jugend soll der Beamte (Jahrgang 1966) extrem rechts gewesen sein. Wie er Anfang der neunziger Jahre trotz Sicherheitsprüfungen bei der Einstellung in den Verfassungsschutz gelangen konnte, ist unklar. Angeblich soll er dann im Amt V-Leute geführt haben, die bei der rechtsextremen türkischen Partei "Graue Wölfe" spitzelten. Die Generalbundesanwaltschaft will die alten Kasseler Akten nun selbst sichten. Der Beamte wurde 2006 vom Dienst suspendiert und arbeitet jetzt bei einer anderen Behörde.

Welche Rolle spielen V-Leute des niedersächsischen Verfassungsschutzes?

Ende 1997 gab der Verfassungsschutz den Kollegen vom Thüringer Landeskriminalamt den Tipp, dass Neonazis in einem Garagenkomplex Bomben bauten. Der erste Hinweis soll von einem V-Mann gekommen sein. Die Polizeibeamten entdeckten vier zündfertige Rohrbomben, ließen aber die Täter laufen.

Sind V-Leute in der rechten Szene wirklich verlässlich?

Aus Sicht vieler Verfassungsschützer sind die V-Leute unverzichtbar und gleichzeitig brandgefährlich. Das Führen von V-Leuten ist eine der schwierigsten Aufgaben in diesem Metier. Manche dieser Leute lösen Probleme, viele schaffen Probleme. Es muss klar sein, dass V-Leute keine Straftaten begehen dürfen. Das braucht Kontrolle.

Wird jetzt auch geprüft, ob es sich bei den Morden ausschließlich um Zufallsopfer handelte?

Das ist ein Teil der Ermittlungsarbeit. Derzeit gibt es in einem Fall die Theorie, dass der Mord auch in Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten stehen könnte. Aber eine wirklich heiße Spur ist das nicht. Es spricht immer noch vieles dafür, dass diese Terroristen ziemlich singulär in der langen Geschichte des Terrorismus vorgingen. Zumeist berufen sich Terroristen auf irgendeine Ideologie und wählen die Opfer unter den Reichen und Mächtigen aus. Oder sie töten willkürlich wie die islamischen Gotteskrieger, die Sprengstoffanschläge auf U-Bahnen oder Märkte verüben. Die braune Killertruppe aber hat offenkundig gezielt kleine Leute unter den Ausländern als Opfer ausgewählt.

Angeblich hatte die Bande Politiker ins Visier genommen. Die Rede ist auch von einer "Todesliste" mit 88 Namen. Gibt es diese Liste?

Bei den Unterlagen, die in den Schuttbergen des in die Luft gesprengten Hauses in Zwickau sichergestellt wurden, haben Ermittler tatsächlich eine Liste gefunden. Es finden sich darauf Angaben zu 88 türkischen, muslimischen und islamischen Einrichtungen. Daneben gibt es einen Datensatz mit vielen tausend Namen. Darunter sollen sich die Namen von sechs deutschen Bundestagsabgeordneten aus unterschiedlichen Parteien befinden. Öffentlich wurden bislang die Namen des grünen Abgeordneten Jerzy Montag und des CSU-Abgeordneten Hans-Peter Uhl. Die Behörden gehen allerdings nicht von einer Gefährdung der Politiker aus. Der riesige Datensatz ist ohne System gefertigt, viele Begriffe gehen durcheinander.

Wo haben sich die Täter, die 13 Jahre lang untergetaucht waren, versteckt?

Die Ermittler sind ziemlich sicher, dass sich die Terroristen zumindest die meiste Zeit in Ostdeutschland aufhielten. Aber fiel das niemandem auf? Spätestens 2003 erlahmte jegliche Aktivität bei den Behörden. Ein Ermittlungsverfahren, das 1998 eingeleitet worden war, war wegen Verjährung geschlossen worden.

Wer hat all die Zeit die Miete gezahlt, zu welchem Arzt sind die Täter gegangen?

Auf Umwegen sollen die Verbrecher die Miete selbst bezahlt haben. Das Geld zum Überleben besorgten sie sich offenbar durch Bankraube. Wie sie ihr Leben privat einrichteten, ist noch nicht klar. Sie sollen sich sehr konspirativ verhalten haben.

Oft wird nun von einer Staatsaffäre gesprochen. Hat der Fall diese Dimension?

Die Umrisse einer großen Staatsaffäre sind, derzeit zumindest, nicht erkennbar. Was sich zeigt, ist ein Sammelsurium von großen Pannen und nicht nachvollziehbaren Fehlern bei den Ermittlungen. Diese Feststellung bezieht sich auf Polizei und Verfassungsschutz in mehreren Bundesländern. Manchmal hatten die Ermittler auch einfach nur Pech.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2011
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