Süddeutsche Zeitung

Rechter Terror:Das Netzwerk der Bösen

Neue Erkenntnisse im Fall der Neonazi-Morde bringen die Ermittler ins Staunen: Die rechtsextreme Szene in Deutschland ist weiter verzweigt als bisher angenommen. Die Terroristen der Zwickauer Terrorzelle konnten offenbar auf breite Unterstützung bauen - auch im Westen.

Hans Leyendecker

Ein bisschen irritiert waren die Fahnder zunächst schon. Wieso kannten sich braune Terroristen aus dem Osten so gut im Westen aus? Hatten sie die Orte für die Hinrichtungen von acht türkischen und einem griechischen Kleinunternehmer in Nürnberg, München, Dortmund, Kassel, Hamburg und Rostock wirklich selbst ausgekundschaftet?

In dem Schuttberg der ausgebrannten Wohnung der Zwickauer Terrorzelle hatten Ermittler der Einheit "BAO Trio" angekokelte Stadtpläne mit handschriftlichen Eintragungen sowie Excel-Tabellen sichergestellt, auf denen Ziele und Besonderheiten möglicher Tatorte eingetragen waren: "Tür offen ohne Schloss, Keller zugänglich" oder: "Viele Häuser, weit draußen, großes Gelände".

Für einen der drei Nürnberger Morde hatten die Killer 2005 sieben mögliche Tatorte ausgespäht. Die Ermittler stießen danach auf sehr enge Verbindungen zwischen westdeutschen Neonazis und der Thüringer Szene. Das Netzwerk der Bösen ist auffällig verschachtelt und verfilzt. "Es reicht nicht hin, nur die Unterstützer aus dem Osten im Blick zu haben", meinte ein weitsichtiger Fahnder schon früh.

In diesen Tagen meldete sich einer vom ganz rechten Rand bei der "BAO Trio". Durch die vorige Woche eingeleitete Öffentlichkeitsfahndung sei er animiert worden, sich zu melden, behauptete er. Seine Aussage lässt ahnen, dass dieser ungeheuerliche Fall noch ungeheuerlichere Dimensionen haben könnte als vermutet. Die drei aus Zwickau, berichtete der Zeuge, seien in der rechtsradikalen Szene im Westen bekannte, große Figuren gewesen. Man habe also gewusst, wer hinter der Mordserie in den Jahren 2000 bis 2006 steckte.

Während die Behörden abwechselnd die türkische Mafia, die Grauen Wölfe oder sonst wen hinter den Morden vermuteten, sollen die Eingeweihten in der rechten Szene gewusst haben, wer wieder geschossen hatte: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die 1998 untergetauchten Kameraden aus dem Osten, die Helden, die Märtyrer.

Beim Auskundschaften der Tatorte hätten die Nazis aus dem Westen und die aus dem Osten eng zusammengearbeitet, sagte der Zeuge. Auch die angebliche Mitgründerin der Terrorvereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), die derzeit in Köln inhaftierte Beate Zschäpe, sei bei der Ausforschung von Zielen zumindest einmal dabei gewesen. Auch er habe bei dieser Zielsuche im Jahr 2001 mitgeholfen. Dann sei er aber ausgestiegen, weil die Sache ihm zu heiß geworden sei. Kurz darauf sei ein türkischer Migrant ermordet worden.

Bis zu dieser Aussage war es nur eine der vielen Hypothesen der Ermittler, das Unterstützer-Netz habe auch Knoten im Westen gehabt. Nun ist diese Annahme mehr als eine bloße Vermutung: Keine Gewissheit, "aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es so war wie es war", sagt ein Ermittler. Fallanalytiker würden sich die Bekenner-DVD erneut anschauen, um Spuren auf Mitwisser im Westen zu entdecken, die bislang nicht entdeckt worden seien.

Wenn wahr ist, was der Zeuge sagt, und wenn richtig ist, was die Auswertung von Unterlagen des Verfassungsschutzes und der Polizei bislang ergeben hat, sind in diesem ohnehin verwirrenden Fall alle scheinbaren Gewissheiten perdu. Dann haben etliche Neonazis in diesem Lande gewusst, was die Behörden nicht wussten. Dann gibt es am rechten Rand ein Maß an Konspiration, das unvorstellbar schien. Das Leben im rechten Sumpf kann also auf den Untergrund bauen.

Dass die rechtsextreme Szene in Deutschland eng verflochten und äußerst militant ist, das war bekannt. Dennoch fällt der breiten Öffentlichkeit erst jetzt auf, wie brandgefährlich Neonazis sind. Staunend stöbern Staatsschutzbeamte in den Archiven des Staatsschutzes. Dort finden sich viele Details, die noch nie vorher zusammengebracht worden sind.

Sie wissen nicht viel über uns, sie haben noch nie wirklich durchgeblickt, wie unsere Strukturen aussehen oder wer in der RAF organisiert ist", hatte 1996 die RAF ihre Jäger verhöhnt. Rechts sieht es noch viel schlimmer aus: Die Sicherheitsbehörden haben nicht einmal gewusst, dass es die Mörderbande NSU gab. Die üblichen Fragen führen ins Nichts. Es müsse geklärt werden, wer die Terrorbande all die Zeit finanziert habe, hatte vor Wochen der linke Politiker Bodo Ramelow erklärt.

Jetzt gehen die Ermittler der "BAO Trio" davon aus, dass die untergetauchten Zwickauer die knallrechte Unterstützerszene gesponsert haben: Sie sollen über Jahre Geldbriefe an Gesinnungsgenossen für deren politischen Kampf geschickt haben. Das Geld stammte aus Banküberfällen. Insgesamt 600 000 Euro sollen die Zwickauer Terroristen erbeutet haben. Der größte Coup war 2007 in Stralsund: 197 000 Euro hatten Böhnhardt und Mundlos auf einen Schlag geraubt.

Viele Fragen müssen jetzt neu gestellt werden, etwa die, was die Hetzer der rechtsradikalen Gruppe "Gigi & die braunen Stadtmusikanten" wirklich wussten. Auf der 2010 erschienenen CD "Adolf Hitler lebt" hatten sie die Mordserie bejubelt und die ahnungslosen Ermittler verhöhnt: "Alles durchleuchtet, alles überprüft/doch kein einziger Hinweis und kein Tatmotiv". "Kein Fingerabdruck, keine DNA (...) Denn neun sind nicht genug." Vor der Aussage des Zeugen werteten Ermittler das Lied als Verhöhnung der Opfer. Jetzt gehen sie der Frage nach, ob die furchtbaren Sänger noch viel mehr gewusst haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1230272
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.12.2011/bero
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.