Süddeutsche Zeitung

Recht:Scharia-Scheidung beschäftigt Justiz

Das Oberlandesgericht München gibt einen heiklen Fall zur Klärung an EU-Richter weiter. Es geht um die Frage, welches Scheidungsrecht gilt.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Muss eine Privatscheidung nach Scharia-Recht in Deutschland anerkannt werden? Diese Frage hat das Oberlandesgericht München dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Anlass ist der Trennungszwist eines Ehepaares, in dem beide Partner, gebürtige Syrer, zusätzlich auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Der Präsident des Münchner Oberlandesgerichts (OLG) hatte auf Antrag des Mannes hin die von einem religiösen Gericht in der syrischen Hafenstadt Latakia ausgesprochene Scheidung anerkannt. Die Ehefrau begehrt nun, diese Anerkennung aufzuheben. Der 34. OLG-Zivilsenat hat das Verfahren daraufhin ausgesetzt, bis der EuGH die wesentlichen Fragen beantwortet hat.

Rechtlicher Hintergrund ist das internationale Scheidungsrecht nach der kurz "Rom III" genannten EU-Verordnung 1259 von 2010. Angesichts vieler binationaler Ehen und Menschen mit mehreren Staatsangehörigkeiten soll "Rom III" einheitlich regeln, welches Scheidungsrecht Anwendung findet. Dabei wird an den Aufenthalt der Ehegatten und nicht mehr primär an ihre Staatsangehörigkeit angeknüpft.

Die Eheleute hatten im Mai 1999 nach islamischem Recht im westsyrischen Homs geheiratet. Der Ehemann war 22 Jahre zuvor in Deutschland eingebürgert worden. Seine Ehefrau erwarb nach der Hochzeit zusätzlich auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Das Paar lebte bis 2003 in Bayern und ging dann wieder nach Homs. Wegen des Bürgerkrieges kam es im Sommer 2011 zurück nach München, lebte dann von Februar 2012 an abwechselnd in Kuwait und Libanon. Aktuell wohnt der Mann in München, die Frau im Ruhrgebiet.

Im Mai 2013 hatte der Mann eine Vertrauensperson bevollmächtigt, vor dem geistlichen Scharia-Gericht in Latakia die Scheidungsformel aussprechen zu lassen. Das Gericht stellte daraufhin die Ehescheidung fest. Im folgenden September hatte die Frau eigenhändig erklärt, sie "befreie ihn von allen mir aus dem Ehevertrag zustehenden Verpflichtungen". Zugleich bestätigte sie den Empfang von 20 000 Dollar. Im November 2013 erkannte der dafür zuständige Präsident des OLG München diese Ehescheidung an. Drei Monate später sagte die Frau, sie habe das Geld nicht vollständig erhalten - auch ihre Erklärungen, auf die "Morgengabe", eine traditionelle Zuwendung des Ehemanns an die Frau, und den Unterhalt zu verzichten, seien nach syrischem Recht unwirksam. Vor allem aber stehe deutsches Recht der Anerkennung der Scheidung gegenüber.

Der OLG-Präsident wies die Beschwerde zurück: EU-Recht nach "Rom III" sei auch auf Privatscheidungen anwendbar. Denn die "effektive Staatsbürgerschaft" sei zum maßgeblichen Zeitpunkt die syrische gewesen - allein schon, weil beide trotz des Bürgerkriegs ins Geburtsland zurückgekehrt seien. Außerdem sei die Ehe in Syrien geschlossen worden, die Eheleute hätten dort auch "deutlich überwiegend" gelebt. Die Frau sei an der Scheidung "zureichend beteiligt gewesen" und habe sie nachträglich durch Annahme der 20 000 Dollar akzeptiert.

Da die Frau Rechtsmittel einlegte, will der nun zuständige 34. Senat klärende Antworten aus Luxemburg. Natürlich seien dem deutschen Recht Privatscheidungen fremd. Doch die Münchner Richter neigen in ihrem Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof dazu, die EU-Vorschrift "auch auf die sogenannte Privatscheidung zu erstrecken, sofern nur die Mitwirkung einer ausländischen, dem staatlichen Bereich zuzurechnenden oder von ihr anerkannten Stelle vorgesehen ist". Andererseits gibt des OLG zu bedenken, dass das syrische Recht Ehefrauen keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung biete. Ob die EU-Norm auch bei derartiger Diskriminierung gilt, muss ebenfalls geklärt werden.

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SZ vom 07.08.2015
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