Recht auf Ernährung:"20 Jahre fehlgeleitete Politik"

Der neue UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Ernährung, Olivier De Schutter, über die Verfehlungen der Politik in der globalen Nahrungsmittelkrise, die Schädlichkeit von Biotreibstoffen und warum ihn Merkels Engagement in Brasilien wütend macht.

Kathrin Haimerl

Olivier De Schutter ist seit 1. Mai UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Ernährung und folgt damit dem Schweizer Jan Ziegler im Amt nach. Für den 22. Mai hat er eine Sondersitzung des Rats der Vereinten Nationen veranlasst - zum Recht auf Ernährung. "Eine Premiere", sagt De Schutter. Denn zum ersten Mal beschäftigt sich das Gremium mit einem sozialen und wirtschaftlichen Menschenrecht. De Schutter ist Belgier und lehrt an der Katholischen Universität Leuven (Löwen).

Recht auf Ernährung: "Die Weltbank hat - wie jeder - unterschätzt, wie wichtig es gewesen wäre, in die Landwirtschaft zu investieren", sagt Olivier De Schutter über die Ursachen der globalen Nahrungsmittelkrise.

"Die Weltbank hat - wie jeder - unterschätzt, wie wichtig es gewesen wäre, in die Landwirtschaft zu investieren", sagt Olivier De Schutter über die Ursachen der globalen Nahrungsmittelkrise.

(Foto: Foto: Reuters)

sueddeutsche.de: Ihr Amtsvorgänger, Jean Ziegler, sagte einmal, die steigenden Lebensmittelpreise kämen einem "stillen Massenmord" gleich. Sehen Sie das genauso?

Olivier De Schutter: Das ist eine sehr provokante These. Damit wollte Herr Ziegler wohl zwei Dinge ausdrücken: Zum einen, dass die Krise keine Naturkatastrophe ist. Sie ist eine vom Menschen geschaffene Katastrophe. In dem Sinne, dass wir sie hätten verhindern können, handelt es sich tatsächlich um Mord.

sueddeutsche.de: Inwiefern hat der IWF zu der derzeitigen Krise beigetragen?

De Schutter: Wir zahlen heute für 20 Jahre fehlgeleitete Politik. Während der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre hat der IWF systematisch die wirtschaftliche Öffnung von Staaten betrieben, die von seiner finanziellen Unterstützung abhängig waren. Denn Bedingung der Kredite des IWF war es, dass diese Staaten ihre Wirtschaften für Importe öffneten. Das wiederum hat die Staaten sehr anfällig für Schwankungen der Weltwirtschaft gemacht.

sueddeutsche.de: Sie haben auch bereits mehrfach die Weltbank kritisiert.

De Schutter: Die Weltbank hat - wie im übrigen jeder - unterschätzt, wie wichtig es gewesen wäre, in die Landwirtschaft zu investieren. Zum Vergleich: 1980 widmete sie noch 30 Prozent ihrer Kredite der Landwirtschaft; 2007 waren es lediglich 12 Prozent. Geld wurde vor allem in infrastrukturelle Projekte gesteckt. Trotz der Tatsache, dass die Nachfrage nach Nahrungsmitteln zugenommen hat. Hinzu kommen veränderte Ernährungsgewohnheiten, eine höhere Nachfrage nach Milch, Fleisch und Fisch. All das resultiert in einer Situation, in der wir die Landwirtschaft jahrelang unterschätzt haben. Stattdessen wurde in Urbanisierung investiert, was wir nun als fehlgeleitete Politik anerkennen. Selbst die Weltbank tut dies.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen sogenannte Cash Crops in dieser Entwicklung, landwirtschaftliche Produkte wie Kaffee oder Tabak also, die nicht für den heimischen Markt produziert werden, sondern für den Export?

De Schutter: Durch die Öffnung der Marktwirtschaften dieser Länder konnte man folgendes Szenario beobachten: Sie haben ihre Subsistenzwirtschaft aufgegeben und stattdessen solche Cash Crops angebaut. Damit wurde der heimische Markt abhängig von Importen; und damit wiederum wurden sie sehr anfällig für die globale Entwicklung der Lebensmittelpreise.

sueddeutsche.de: Als weitere Ursache wird die Spekulation an der Börse mit Lebensmittelpreisen genannt. Wie sollte die Politik damit umgehen?

De Schutter: Insbesondere die Investitionen der sogenannten Hedgefonds in primary food commodities (unbearbeitete Nahrungsmittel wie frische Früchte) haben deren Preise zwischen 2006 und 2007 fast verfünffacht. Einige Länder, wie zum Beispiel Indien, wollen eine Besteuerung auf diese Art der Spekulation einzuführen - mit der Gefahr, dass in ihre Börsen nicht mehr investiert wird. Wir brauchen deshalb eine koordinierte Herangehensweise der internationalen Gemeinschaft. Beispielsweise wäre es auch möglich, eine Art Essensreserve aufzubauen, die dann in den Markt gegeben werden kann, wenn Investoren darauf setzen, dass die Nahrungsmittelpreise ansteigen.

"20 Jahre fehlgeleitete Politik"

sueddeutsche.de: Wie sehen Sie diese Spekulationen auf Nahrungsmittelpreise aus einem ethischen Blickwinkel?

Recht auf Ernährung: "Ethische Argumente können nichts verändern. Das ist nur per Gesetz und Regulierung möglich", sagt Olivier De Schutter.

"Ethische Argumente können nichts verändern. Das ist nur per Gesetz und Regulierung möglich", sagt Olivier De Schutter.

(Foto: Foto: oh)

De Schutter: Das ist schwer zu sagen. Märkte sind keine moralischen Wesen. Sie sind lediglich Zahlen für Banken und Investoren. Dass das spezifische Thema Nahrung auch einem Menschenrecht genügen muss, das wird ganz einfach nicht bemerkt. Deshalb gefällt mir der ethische Ansatz nicht. Ethische Argumente können nichts verändern. Dies ist nur per Regulierung und Gesetz möglich.

sueddeutsche.de: Birma zählte ursprünglich zu den Reisexporteuren. Dieses Jahr muss das Land wohl zum ersten Mal Reis importieren. Inwiefern verschlimmert die Katastrophe dort die Nahrungsmittelkrise?

De Schutter: Das ist schwer zu sagen. Denn die Exporte des Lands haben in den letzten Jahren abgenommen. Dahinter steckt die Politik der Militärjunta: Birma sollte autark von Ölimporten werden. Zehn Prozent der Landfläche sollten für die Produktion von Agrartreibstoffen verwendet werden - das entspricht ungefähr der Fläche Belgiens. Birma hat damit die wirtschaftliche Unabhängigkeit im Bereich der Lebensmittel aufgegeben. Mit dieser Politik hat die Junta die derzeitige Krise noch verschlimmert.

sueddeutsche.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gerade mit dem brasilianischen Staatspräsidenten Lula da Silva ein Energieabkommen geschlossen, das eben auch die Produktion von Biotreibstoffen in den Vordergrund stellt. Wie stehen Sie dazu?

De Schutter: Ich bin extrem enttäuscht, dass diese verantwortungslose Politik weiter unterstützt wird, trotz der vielen Warnungen durch Umweltschützer. Der Nutzen dieser Treibstoffe ist weit übertrieben worden, tatsächlich sind sie schädlich für die Umwelt. Zur Produktion der Agrar-Treibstoffe, wie ich sie lieber nenne, wird viel Energie benötigt, hohe Emissionen von Treibhausgasen produziert; in Ländern wie Indonesien und Malaysia wird Regenwald zerstört; der Produktionsprozess verbraucht enorme Mengen an Wasser.

sueddeutsche.de: Welche Folgen haben die Biotreibstoffe generell für die Landwirtschaft?

De Schutter: Der Anbau von Nahrungsmitteln konkurriert nun mit der Produktion von Agrar-Treibstoffen um fruchtbares Land, das nur begrenzt auf der Erde existiert. Aufgrund des Vordringens der Wüste werden wir zwischen 60 und 90 Millionen Hektar an urbarem Land allein in Subsahara-Afrika verlieren. Große Anbauflächen für die Produktion von Treibstoffen zu verwenden, ist eine extrem kurzfristige und gefährliche Politik. Ich bin enttäuscht von der Blindheit unserer politisch Verantwortlichen. Das ist eine völlig fehlgeleitete Politik und ich werde sie weiterhin anprangern.

sueddeutsche.de: Was kann beispielsweise die Europäische Union hier tun?

De Schutter: Wir sollten sofort das Ziel der EU fallen lassen, bis 2020 zehn Prozent Agrar-Treibstoffe im Verkehr zu verwenden. Dieses Ziel ist völlig unrealistisch. Wir haben sehr viele Auswirkungen der Agrar-Treibstoffe auf die Umwelt völlig unterschätzt. Wir müssen auf andere Energiequellen setzen, wie Wind und Solar. Außerdem sollte die EU stufenweise ihre Agrarsubventionen abbauen. Diese verzerren den Handel von landwirtschaftlichen Produkten und machen es den Entwicklungshändlern völlig unmöglich, mit diesen Produkten konkurrieren zu können.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: