Süddeutsche Zeitung

Recep Tayyip Erdogan:Der Premier als Sultan

Im türkischen Wahlkampf gebärdet sich Ministerpräsident Erdogan feudal. Bei den Elogen ist aber selbst vielen AKP-Parteikollegen nicht wohl.

Kai Strittmatter

Es geht mal wieder um alles oder nichts. Um das Überleben der Republik, um das Herz der Demokratie. Darunter tun sie es selten in der Türkei. Dabei werden diesen Monat bloß Bürgermeister und Stadträte gewählt. Und wer steht zur Wahl? Eigentlich bloß einer, wenn man den Bildern in TV und Presse glaubt: Recep Tayyip Erdogan, der Premier. Erdogan poltert in Kayseri, Erdogan trommelt in Diyarbakir, Erdogan jubelt in Manisa, Erdogan tätschelt in Istanbul.

Man wird all jenen vergeben, denen die Allgegenwart und der Furor dieses Mannes unheimlich oder übermenschlich anmuten, je nach Lager. Am Dienstag dieser Woche waren es auf den Tag genau 85 Jahre, dass die türkische Republik den letzten osmanischen Kalifen aus dem Amt jagte. An diesem Dienstag erschien der Premier dem Volk von Kadiköy und das reckte ihm ein Banner entgegen, welches den "Sultan Recep Tayyip Erdogan I." willkommen hieß.

Das traf einen Nerv. Sultan Erdogan. Das lag in der Luft, spätestens seit dem Weltwirtschaftsforum in Davos, auf das Erdogan Ende Januar einen Donnerschlag hinabfahren ließ, dass das Podium erzitterte. Am Flughafen in Istanbul begrüßten seine Truppen ihn als "Eroberer von Davos" und die arabische Zeitung Dar al Hayat verlangte die Neugründung des osmanischen Reiches: "Erdogan soll zum Kalifen und Sultan werden."

Es dauerte nicht lange, bis regierungsnahe Schreiberlinge vom Internetorgan Analitik Bakis (Analytische Sicht), "überraschende Parallelen" zwischen ihrem Premier und mindestens einem Sultan, in diesem Falle Murad IV. (1612-1640) feststellten. Murad war der letzte Kriegersultan, der selbst auf einem Pferd vorneweg in die Schlacht zog. Er ließ in der Hauptstadt Wein, und Tabak verbieten. Wie Erdogans AKP mancherorten, wenn auch nicht bei Androhung der Todesstrafe. "Er hat die Wirtschaft verbessert." Wie der Populist Erdogan.

Mehr noch: Wie Erdogan dem "Ergenekon-Netzwerk" trotze, jenem ultranationalistischen Geheimbund aus Militärs, Bürokraten und Mafiosi, so habe Murad IV. das "Ergenekon seiner Tage" liquidiert - nämlich eine Janitscharen-Bande. Ganz wohl war dem Schreiber dann doch nicht: Dass Murad IV. mit seiner Keule auf den Straßen Istanbuls eigenhändig Trinker und Raucher niedergestreckt haben soll, erwähnt er ebenso wenig wie die Tatsache, dass der Moralapostel am Suff starb.

Ein Grobian, ein Macho

Tatsächlich ist bei den Sultanselogen vielen in Erdogans eigener Partei AKP nicht wohl. Sie ahnten, dass sie Spott ernten würden - und dass Erdogans Kritiker ganz andere Parallelen herausarbeiten würden. Regnet es wenige Wochen vor der Wahl nicht Kühlschränke über anatolische Dörfler wie einst Goldstücke aus der Hand des vorüber reitenden Herrschers? Erdogan der Gunstverteiler. Erdogan, der Selbstherrliche. Erdogan, der Despot. "Natürlich weiß heute noch der taube Hirte am Euphrat, dass Erdogan die Türkei nach Sultansart regiert", schreibt der liberale Kolumnist Cüneyt Ülsever in Hürriyet: "Seine Minister und Abgeordnete zittern vor seiner Wut".

Erdogan ist heute einsamer Herrscher in einer Partei, die einst von einem Kleeblatt von Persönlichkeiten geführt wurde. Die Einsamkeit scheint mit verantwortlich zu sein für die heutige Orientierungslosigkeit des einst so mutigen Reformers Erdogan. Zum anderen hat sie seine selbstgerechten Züge verstärkt. Das ist der Erdogan, der 2007 kritischen Journalisten zuruft, sie könnten ja "die Türkei verlassen", und der Staudammgegnern bescheinigt, sie steckten unter einer Decke mit "Terroristen". Unter ihm dienen heute zumeist Jasager.

Erdogan zeichnet sich gerne als verfolgtes Opfer der alten Mächte. Gleichzeitig duldet er selbst keine Kritik. Karikaturisten, die ihn als Katze zeichnen, Schüler, die ihn "Birne" nennen (die Glühbirne ist das Symbol der AKP), Jugendliche, die aus Protest Eier in seine Richtung werfen, sie alle werden vor Gericht gezerrt (letztere mussten sich unter anderem wegen "Anstachelung bewaffneter Unruhen" verantworten. Dabei hatte kein Ei getroffen).

Hätte Erdogan "Wissen anstelle von Zorn und Weisheit anstelle von Frömmigkeit, dann hätte er das Zeug zum epochemachenden Führer", schrieb letzte Woche der Kolumnist Metin Münir in"Milliyet. So aber bestehe leider die Gefahr, dass man im Falle neuer Wahlsiege Erdogans "eine Mischung aus Ahmadinedschad, Putin und Chavez" bekäme. Das kemalistische Kampfblatt Cumhuriyet, Intimfeindin Erdogans, sah den Premier gar auf dem besten Weg, "ein Diktator" zu werden. Was Blödsinn ist und zudem besonders pikant aus dem Munde einer Zeitung, die sich offen ein Eingreifen des Militärs gegen die anatolischen Aufsteiger aus der AKP gewünscht hat.

Überhaupt offenbaren die Angriffe, dass die traurigen Gestalten, die die Opposition beherrschen, Erdogan so wenig das Wasser reichen können, dass auch alle berechtigte Kritik schlicht verpufft. Und dass die Kritik oft noch vom Klassenkampf getrieben wird. Es sind oft dieselben Leute, die Erdogan seine Sultansarroganz vorwerfen, die ihn verächtlich einen "Maganda" heißen. Ein Maganda ist ein Grobian, ein Macho aus der Vorstadt, einer, der sich am Schritt kratzt. Auch so einer, der meist das letzte Wort behält.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.386214
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.03.2009/akh
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.