Recep Tayyip Erdoğan:Der mächtigste Mann der Türkei

Für seine Anhänger ist er ein Heilsbringer, für seine Gegner ein Despot und Islamist. Seit elf Jahren regiert Recep Tayyip Erdoğan die Türkei, nun ist er zum Präsidenten aufgestiegen. Stationen seiner Karriere.

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Presidental election in Turkey

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Für seine Anhänger ist er ein Heilsbringer, für seine Gegner ein Despot und Islamist. Seit elf Jahren regiert Recep Tayyip Erdoğan die Türkei, 2014 ist der umstrittene Premier zum Präsidenten aufgestiegen. Stationen seiner Karriere in Bildern.

Erdoğan hat 2014 einen selbstbewussten Präsidentschaftswahlkampf geführt (hier bei einer Veranstaltung am 3. August in Istanbul). Kein Wunder: Im März hat seine Partei, die islamisch-konservative AKP, die türkischen Kommunalwahlen gewonnen. Die Vorzeichen für die Präsidentschaftswahl waren gut. Und tatsächlich: Schon in ersten Hochrechnungen hat er eine absolute Mehrheit. Bald darauf ruft ihn der Justizminister als Wahlsieger aus.

Turkish PM Erdogan makes a speech under Turkish and EU flags in Istanbul

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Erdoğan hat einen steilen Aufstieg hinter sich. 1954 wird er in eine streng gläubige Familie in Istanbul geboren, er wächst in bescheidenen Verhältnissen im Armenviertel Kasımpaşa auf. Sein Vater, ein frommer Seemann, schickt ihn auf eine islamische Religionsschule. Am liebsten wäre der Sohn Fußballprofi geworden, wegen seiner Ballkünste bekommt er den Spitznamen "Imam Beckenbauer". Doch er beugt sich dem Willen des Vaters und studiert Wirtschaftswissenschaften und Politologie an der Marmara-Universität in Istanbul, später wird er erfolgreicher Unternehmer.

RECEP TAYYIP ERDOGAN

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Als Student schließt sich Erdoğan der fundamentalistischen Nationalen Heilspartei (MSP) des Islamistenführers Necmettin Erbakan an und macht in der Jugendorganisation schnell Karriere. Doch 1980 putscht sich das Militär an die Macht, alle politischen Aktivitäten werden verboten. Erst im Mai 1983 kann Erdoğan seine politische Arbeit fortsetzen. 1994 nominiert die islamisch-fundamentalistische Wohlfahrtspartei (RP) ihn zum Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters in der Wirtschaftsmetropole Istanbul. Erdoğan gewinnt überraschend die Wahl.

Necmettin Erbakan, Recep Tayyip Erdogan und Sevket Kazan, 1998

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Bei seinem Amtsantritt kündigt der damals 40-Jährige an, in der bevölkerungsreichsten Stadt der Türkei "aufräumen" zu wollen. Er wolle Bordelle verbieten und eigene Badestrände für Frauen einrichten, erklärt der strenggläubige Muslim, der sich selber als "Prediger von Istanbul" bezeichnet und weiterhin zu seinem Mentor Erbakan steht. Beliebtheit verschafft er sich, weil er die Müllhaufen aus Istanbul entfernt und die Probleme mit der Wasserversorgung beseitigt. Doch sein offen gezeigter muslimischer Glauben stößt in der laizistischen Türkei auf Kritik. Unter anderem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Erdoğan wegen Beleidigung des Gründers der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk. Weil er bei einer Veranstaltung ein religiöses Gedicht zitiert, wird er wegen "Aufstachelung zur Feindschaft aufgrund von Religion" zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt. Beobachter sprechen damals von einem klaren Fall politischer Unrechtsjustiz.

ERDOGAN

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2002 gelingt Erdoğans Partei mit 34,4 Prozent der Stimmen ein deutlicher Sieg. Die AKP zieht mit 363 von 550 als stärkste Partei in das Parlament in Ankara ein. Weil gegen Erdoğan nach seiner Gefängnisstrafe nach wie vor das Politikverbot gilt, übernimmt zunächst sein Stellvertreter Abdullah Gül das Amt des Ministerpräsidenten. Erdoğan selbst kann erst im Jahr 2003 nach einer Verfassungsänderung das Amt antreten. Nach seiner Haft distanziert sich Erdoğan vom Begriff des "politischen Islam" und verfolgt die Annäherung der Türkei an die EU. Sein Ziel: ein schneller Beitritt seines Landes.

Gerhard Schröder und Recep Tayyip Erdogan, 2004

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In Deutschland findet Erdoğan für diese Pläne Unterstützung bei dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Bei einem Besuch in Ankara im Jahr 2004 lobt er Erdoğan für die umgesetzten Reformen und sichert dem türkischen Premier zu, dass sich Ankara bei den Beitrittsgesprächen auf Deutschland verlassen könne.

Turkey's Prime Minister Erdogan attends a signing ceremony with Brazil's President da Silva at Itamaraty Palace in Brasilia

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Doch bereits ein Jahr nach Beginn der Beitrittsverhandlungen, im Herbst 2006, stecken die Gespräche zwischen Erdoğan und der Europäischen Union in einer schweren Krise: Die Türkei verweigert Flugzeugen und Schiffen aus Zypern den Zugang zu ihren Flughäfen und Häfen. Dazu ist die Türkei aber aus Sicht der EU im Zuge des Assoziierungsabkommens verpflichtet, das auch für das neue EU-Mitglied Zypern gilt. Seither kommen die Verhandlungen nur schleppend voran. Im März 2011 verabschiedet das EU-Parlament eine Resolution, wonach die Türkei noch nicht für einen Beitritt bereit sei. In einem Fortschrittsbericht stellt die Kommission gravierende Mängel bei der Wahrung der Grundrechte fest.

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Stetig aufwärts hingegen geht es für Erdoğan in seiner Heimat: Bei den Parlamentswahlen 2007 erreicht die AKP 46,7 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit im Parlament. Erdoğan, der sich nach dem Wahlsieg mit seiner Frau Emine seinen Anhängern zeigt, nennt als wesentliche Ziele seiner Politik er die Fortführung der wirtschaftlichen und demokratischen Reformen. Seine Gegner halten ihn für einen Wolf im Schafspelz. Sie fürchten, er wolle den laizistischen zu einem islamischen Staat umbauen.

Zehntausende protestieren in Istanbul gegen Regierung

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Im Jahr 2007 endet die Amtszeit des türkischen Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer. Als Nachfolger stellt sich der AKP-Politiker und damalige Außenminister Abdullah Gül zur Wahl. Hunderttausende Menschen gehen auf die Straße, um gegen seine Kandidatur für das höchste Staatsamt und für den Erhalt des laizistischen Charakters der Republik zu demonstrieren. Im Bild eine Kundgebung am 29. April 2007 in Istanbul, zu der mehr als 300 000 Menschen gekommen sind. Am Ende setzt sich Erdoğans Partei durch: Am 28. August 2007 wird Abdullah Gül im dritten Wahlgang zum Staatspräsidenten gewählt.

Tuncay Ozkan

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Der Machtkampf zwischen der AKP und ihren Gegnern wird in der Folgezeit schmutziger. Beispielhaft dafür steht die Justizfarce um den Ergenekon-Prozess: In dem Verfahren geht die AKP-Regierung seit 2007 gegen mutmaßliche Verschwörer aus Militärkreisen vor. Doch je länger sich das Verfahren zieht, desto größer wird auch der Kreis der Festgenommenen: oppositionelle Professoren, Juristen, Journalisten, Beamte. Das Gerichtsverfahren ist immer mehr zum Instrument der Regierung geworden, um Kritiker aus dem Weg zu räumen.

Im Bild: Demonstranten protestieren vor dem Gefängnis in Silivri im Jahr 2008 gegen die Verhaftung der festgenommenen Ergenekon-Mitglieder.

Turkey's Prime Minister Erdogan storms out of a debate on the Middle East at the World Economic Forum in Davos

Quelle: Reuters

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Wie emotional Erdoğan auf Kritik reagiert, zeigt sich 2009, als es beim Weltwirtschaftsforum in Davos zum Eklat kommt. Auf einer Podiumsdiskussion zum Nahost-Konflikt verteidigt der israelische Staatspräsident Shimon Peres die Intervention im Gazastreifen. Als der Moderator Erdoğan aus "Zeitmangel" nicht mehr ausreichend Redezeit gewährt, verlässt dieser wutentbrannt den Saal. Von seinen Anhängern wird er deswegen als "Held von Davos" gefeiert.

Türkischer Ministerpräsident Erdogan in Köln

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Seine Wahlkämpfe führt Erdoğan auch in Deutschland. Am 24. Mai 2014 spricht er vor jubelnden Anhängern in der Kölner Lanxess-Arena. Draußen protestieren Gegner des türkischen Premiers gegen dessen Eingriffe in die Meinungsfreiheit in seinem Land, etwa das von ihm zeitweise durchgesetzte Twitterverbot. Schon 2008 hatte Erdoğan mit einem Auftritt in Köln für Aufregung gesorgt: Damals sagte er mit Blick auf die in Deutschland lebenden Türken, Assimilation sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 2011 formulierte er zurückhaltender, diesmal in Düsseldorf: "Integriert euch in die deutsche Gesellschaft, aber assimiliert euch nicht."

Presidential election in Turkey

Quelle: dpa

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Seit mehr als zehn Jahren regiert Erdoğan die Türkei, nun wird er das Amt des Regierungschefs abgeben: Parteiinterne Regelungen - die er aber nicht ändern wollte - erlauben nicht mehr als drei Amtszeiten. Nun kann er als Präsident die Geschicke des Landes weiter bestimmen. Beobachter sagen, dass Erdoğan versuchen werde, die Verfassung zu ändern und ein präsidentielles System einzuführen. So bliebe er, was er seit einem Jahrzehnt bereits ist: der mächtigste Mann der Türkei.

© süddeutsche.de/lsee/zoch
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