Süddeutsche Zeitung

Rebellenbewegungen:Konjunkturprogramm für Guerilleros

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Die Kluft zwischen Arm und Reich bedroht den mühsam errungenen Frieden in vielen Staaten Lateinamerikas.

Von Sebastian Schoepp

Der verniedlichende Charakter des Wortes ist eigentlich unangebracht. "Guerrilla" ist eine Verkleinerungsform des spanischen Wortes "Guerra", Krieg, und bedeutet "Krieglein". Es beschreibt nicht den Konflikt selbst, sondern die darin handelnde Truppe irregulär kämpfender Rebellen, die es mit der Armee eines Staates aufnimmt. Doch Guerillakonflikte sind alles andere als klein. In Kolumbien forderte das "Krieglein" Hunderttausende Opfer, gezählt hat sie keiner. In Peru starben in den 1980er- und 1990er-Jahren mindestens 220 000 Menschen durch das Wüten des maoistischen Leuchtenden Pfads und den am Ende siegreichen Gegenterror der Regierung.

Den blutigen peruanischen Weg wollte der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos gerade nicht gehen - doch seine Friedensbemühungen sind nun erst einmal gescheitert. Damit könnte ein Guerillakonflikt weitergehen, der als der längste und älteste Lateinamerikas gilt. Viele sagen, dass er auch der letzte sei, was allerdings zu bezweifeln ist. Denn an den Auslösern hat sich wenig geändert. Wie alle Länder Lateinamerikas ist Kolumbien von einem extrem scharfen Gegensatz zwischen Arm und Reich geprägt, es herrschen Feudalverhältnisse wie im Europa des 18. Jahrhunderts. Noch immer unterhalten viele Latifundienbesitzer und Drogenhändler paramilitärische Privatarmeen. Aus dem Widerstand der Bauern gegen diese entstanden einst die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (Farc).

Dass sich Kampfesmüdigkeit bei den Rebellen eingestellt hat, liegt also weniger an einer Verbesserung der Lebensbedingungen oder der sozialen Verhältnisse als an Erschöpfung. In Kolumbien hat die Sehnsucht nach einem geregelten Leben in Frieden die Kämpfer aus dem Urwald getrieben - ähnlich wie vor Jahrzehnten in Mittelamerika. Damit ist das Problem aber nicht erledigt, selbst wenn es doch noch zu einem Friedensschluss kommen sollte wie in Guatemala oder Nicaragua. In Mittelamerika sind die Gesellschaften durch die generationenlangen Konflikte so traumatisiert, dass Gewalt auch Jahrzehnte nach einem Friedensvertrag noch fester Bestandteil des Alltag ist. Da halfen Wahrheitskommissionen und Gerichtsurteile nichts. Die Kinder und Kindeskinder der Kämpfer schließen sich heute oft Jugendbanden an, die ganze Landstriche terrorisieren. Vor solchen Zuständen fürchtet sich Kolumbien.

Der Friede ist ein Risiko, denn der Krieg ist ein Wirtschaftsfaktor. Finanziert durch Drogen bewegt er Milliarden Dollar, das Kriegsgeschäft ermöglicht Massen von jungen Männern - und zunehmend auch Frauen -, ein Auskommen, die auf einem dürren Arbeitsmarkt wenig Chancen hätten. Die Grenze zwischen Guerillero und Gangster ist nicht immer klar. Die Zeiten, da Guerilleros in Robin-Hood-Manier den Milchlaster überfielen, um die Ladung an Kinder im Dorf zu verteilen, sind vorbei. In Peru dienen die Reste des Leuchtenden Pfades heute Koka-Köchen als Schutztruppe.

Die postkolonialen Eliten wollen, dass alles so bleibt, wie es ist

Doch es gibt auch Positivbeispiele. Aus vielen Guerillabewegungen entstanden friedliche politische Kräfte. In El Salvador ist die Befreiungsfront Farabundo Martí heute eine normale Linkspartei, die zwei Präsidenten stellte. In Uruguay regierte der Ex-Tupamaro José Mujica von 2010 bis 2015 mit riesigen Popularitätswerten. In Mexiko legten die Zapatisten die Waffen nieder, um sich der lokalen Selbstverwaltung zu widmen. In Nicaragua gewann der frühere Comandante Daniel Ortega 2006 im vierten Anlauf die Wahl, allerdings regiert er heute zunehmend autoritär. Die Ex-Guerillera Dilma Rousseff gewann in Brasilien zwei Präsidentenwahlen.

Viele von ihnen versuchten, aus den traumatischen Erfahrungen und der Aussichtslosigkeit des bewaffneten Kampfes die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sie nahmen von marxistischen Maximalpositionen kubanischer Herkunft Abstand. Die meisten versuchten es mit einer Art Sozialdemokratie und setzten darauf, den Hauptgrund für die Gewalt mit Geld zu bekämpfen: die Armut. Sprudelnde Rohstoffeinnahmen investierten sie in Sozialprogramme, die Millionen Menschen den Sprung in die Mittelschicht ermöglichten. Einen gesellschaftlichen Konsens über diese Umverteilung gab es jedoch nie, in den Augen der alten postkolonialen Eliten waren diese Programme stets Almosen, um Stimmen zu kaufen. Sie sind an einer Änderung der Verhältnisse nicht interessiert, sie haben ja genug Geld, sich durch Privatarmeen und Sicherheitsdienste zu schützen.

Sinkende Rohstoffpreise machten den Linken am Ende einen Strich durch die Rechnung. Die Programme sind nicht mehr finanzierbar, ihre Popularität ist rapide im Sinken. In Brasilien wurde Dilma Rousseff durch ein Amtsenthebungsverfahren gestürzt, dem ihre Anhänger die Legalität absprechen. Sie beklagen eine Machtübernahme der Oligarchie, die an der Wahlurne versagte, sozusagen als moderne Form des Militärputsches. Solange der Kampf zwischen Arm und Reich auf diese Weise tobt, ist nicht ausgeschlossen, dass die Guerrilla wieder aufersteht - oder weitermacht wie nun womöglich in Kolumbien.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2016
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