Die Großstadt Homs ist nach Angaben von Aktivisten an die syrischen Rebellen gefallen. Die Regierungstruppen hätten sich aus der Stadt zurückgezogen, sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte Rami Abdel-Rahman. Er hält auch die Einnahme von Damaskus durch die Rebellen und den Sturz der Regierung nur noch für eine Frage der Zeit.
In sozialen Medien ist auf unzähligen Videos zu sehen, wie Bewohner der Stadt hupend und tanzend durch die Straßen ziehen.

Bewohner berichten, man habe sehen können, dass sich Regierungstruppen aus der Stadt zurückgezogen hätten, Personal aus der Sicherheitszentrale sei auf Motorrädern geflohen.
Die drittgrößte Stadt Syriens liegt zwischen Aleppo im Norden und der Hauptstadt Damaskus im Süden. Zudem liegt sie an einer strategisch wichtigen Position zwischen den Hochburgen der Regierung von Präsident Baschar al-Assad an der Küste und Damaskus. Die Kontrolle über Homs gilt als entscheidend für den weiteren Verlauf der Rebellenoffensive. Für Assad dürfte es damit zunehmend schwierig werden, das Blatt noch einmal zu werden.
Aktivisten berichten außerdem, dass die Kämpfer auch Orte im Umland der Hauptstadt Damaskus umstellt hätten. Während sich die Regierungstruppen nach eigenen Angaben „neu positionieren“, verzeichnen die Aufständischen auch im Süden des Landes und an der Grenze zu Israel weitere Gebietsgewinne. Die Regierungstruppen hätten sich unter anderem aus dem Ort Artuz, etwa 15 Kilometer südwestlich von Damaskus, zurückgezogen, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Das Militär äußerte sich zunächst nicht.
Assads Amtssitz in Damaskus sah sich gezwungen, Gerüchte zu dementieren, der Präsident sei geflohen. „Wir bestätigen, dass der syrische Präsident seine Arbeit sowie seine nationalen und konstitutionellen Aufgaben von der Hauptstadt Damaskus weiterführt“, so die Mitteilung. Auch kurzfristige Auslandsbesuche gebe es nicht, hieß es weiter.
Zuvor hatten die Rebellen die Stadt Daraa, gut hundert Kilometer südlich von Damaskus eingenommen. Auch die Städte Sanamayn und Quneitra befinden sich demnach unter der Kontrolle der Rebellen. Besonders die Einnahme der Stadt Daraa ist für die Rebellen ein Erfolg. Vor Beginn des Bürgerkriegs vor 13 Jahren hatte die Stadt mehr als 100 000 Einwohner und gilt als Wiege des Aufstands. Als solche hat sie eine hohe symbolische Bedeutung. Es ist die Hauptstadt einer Provinz mit rund einer Million Einwohnern, die an Jordanien grenzt.
Die schnellen Vorstöße der islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und der stellenweise Zusammenbruch der syrischen Armee beschäftigt auch die internationale Gemeinschaft. Im Nachbarland Israel ist man zunehmend besorgt die Fortschritte der Rebellen. Das Land ist schon jetzt an mehreren Fronten in kriegerische Konflikte verwickelt. Auf den annektierten Golanhöhen würden vorsorglich die Truppen verstärkt, teilte die Armee mit. Zusätzliche Soldaten und Luftstreitkräfte sollen dort entlang der faktischen Grenze zu Syrien stationiert werden. Israels Armee werde „keine Bedrohungen in der Nähe der israelischen Grenze tolerieren“, hieß es. Auf dem syrischen Teil der Golanhöhen hatten die Rebellen die Stadt Quneitra eingenommen.
Die israelische Zeitung Haaretz berichtete, Israel bereite sich auch auf die Möglichkeit eines Überraschungsangriffs aus der syrischen Grenzregion heraus vor. Die Golanhöhen, ein strategisch wichtiges Felsplateau, waren im Sechstagekrieg 1967 von Israel erobert und 1981 annektiert worden. Nach internationalem Recht gelten die Gebiete als von Israel besetztes Territorium Syriens.
In Teheran wird bereits spekuliert, ob Iran al-Assad fallen lässt
Die US-Regierung hat indes eine politische Lösung in dem Konflikt zwischen den Rebellen und den Regierungstruppen angemahnt. In einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Hakan Fiden forderte US-Außenminister Antony Blinken nach Angaben seines Ministeriums, Zivilisten und Minderheiten in Syrien zu schützen.
Die Verbündeten des Regimes von al-Assad – insbesondere Russland – unterstützen die syrische Armee weiter. Die russische Luftwaffe zerstörte nach eigenen Angaben gemeinsam mit syrischen Kampfflugzeugen in den Provinzen Idlib, Hama und Aleppo Stellungen und Munitionsdepots der Rebellen. Dutzende Einheiten Militärtechnik und 200 Terroristen seien „vernichtet“ worden, sagte ein Luftwaffenoffizier der russischen Nachrichtenagentur Interfax.
Ein Bericht, wonach Iran bereits seine Diplomaten aus Syrien abgezogen habe, wurde aus Teheran dementiert. Die Botschaft in Damaskus werde operativ bleiben und ihre Arbeit wie gewohnt fortsetzen, sagte Außenamtssprecher Ismail Baghai. Die New York Times hatte berichtet, iranische Diplomaten und Militärberater hätten das Land bereits verlassen. Vergangene Woche hatte der Außenamtssprecher gesagt, Iran werde al-Assads Regierung bis zum Ende unterstützen.
Ob das wirklich so ist, wird allerdings angezweifelt. In sozialen Medien wird spekuliert, dass Iran den syrischen Staatschef bereits aufgegeben habe. Der staatliche Nachrichtensender Irib, das Sprachrohr des iranischen Systems, bezeichnet seit Freitagabend die islamistischen Aufständischen in Syrien nicht mehr als „Terroristen“, sondern als „bewaffnete Widerstandsgruppen“. Beobachter sehen darin ein erstes Anzeichen, dass Iran den Sturz al-Assads bereits einkalkuliert habe und nun versuche, Kontakt zu den Aufständischen aufzunehmen.
Außenminister Abbas Araghtschi äußerte sich eher spirituell zu Al-Assads Schicksal. „Es ist jetzt alles in Gottes Händen“, so der iranische Chefdiplomat in einem Interview mit dem arabischen TV-Sender al Sharqiya.