Rebellen in Libyen:Nur der Schatten einer Regierung

Der Übergangsrat der Aufständischen plant für die Zeit nach Gaddafi. Moderate Anhänger des Machthabers müssen eingebunden und das nur locker verbundene, von Stämmen dominierte Staatsgebiet irgendwie zusammengehalten werden. Doch wer hat wirklich die Macht bei den mutmaßlichen neuen Herrschern des Landes?

Tomas Avenarius

Die Tunesier sind naturgemäß nahe dran an den Ereignissen im umkämpften Nachbarland. Am Sonntagmorgen erkannte Tunis den Übergangsrat der Aufständischen überraschend als legitime Regierung Libyens an.

Unrest in Libya

Über die inneren Machtstrukturen bei den libyschen Rebellen ist kaum etwas bekannt. Nicht alle 40 Mitglieder des Übergangsrates sind demokratisch gesinnte Politiker.

(Foto: dpa)

Bisher hatte sich das von seiner eigenen Revolution erschütterte Tunesien neutral verhalten und die libyschen Kriegsparteien auf der Ferieninsel Djerba zu Geheimgesprächen empfangen.

Auch wenn in Tripolis noch vereinzelt gekämpft wird, rückt jetzt der Nationale Übergangsrat der Aufständischen stärker in den Fokus. Fällt Gaddafi, übernimmt das demokratisch nicht legitimierte Gremium die Macht in dem riesigen Bürgerkriegsland mit seinen nur sechs Millionen Einwohnern.

Die Rebellenregierung in der ostlibyschen Revolutionshauptstadt Bengasi wird von den USA, den meisten europäischen Regierungen und vielen arabischen Bruderstaaten längst als rechtmäßige Vertretung des libyschen Volkes gesehen. Das gilt auch für die Nato. Das Bündnis kämpft auf der Grundlage einer ursprünglich rein humanitär ausgerichteten UN-Resolution als Kriegspartei an der Seite der Aufständischen.

Stammesscheichs und Islamisten aller Couleur

Wer wirklich die Fäden zieht in der Übergangsregierung der Gaddafi-Gegner, entzieht sich bis heute der Kenntnis der libyschen Öffentlichkeit und wohl auch der westlichen Partner der Aufständischen. Nach außen hin wird der Rat sowohl von früheren Regime-Vertretern als auch von demokratischen Oppositionellen dominiert.

"Präsident" Mustafa Abdel Dschalil ist ein Ex-Justizminister Gaddafis; er hatte dem Diktator mehr als einmal widersprochen. Auch "Premierminister" Ahmed Dschibril ist ein in Ungnade gefallener Getreuer. Die anderen Frontfiguren des Rats sind Bürgerrechtler und Rechtsanwälte. Abdel Hafis Ghoga etwa, Vize-Chef des Rebellen-Rats, verteidigte vor der Revolution Regimekritiker und Opfer der Gaddafi-Herrschaft. Er war von Anfang an eines der Gesichter des Aufstands. Bürgerrechtler wie er übernahmen mit Beginn der Revolution in Bengasi automatisch Führungspositionen bei den meist nur über Facebook organisierten Aufständischen.

Der Übergangsrat hat 40 Mitglieder. Nur 13 von ihnen sind namentlich bekannt - laut den Rebellen "aus Sicherheitsgründen". Nicht alle werden demokratisch gesinnte Politiker wie Ghoga sein. In Libyen, das unter Gaddafis Revolutionsregime die Demontage klassischer staatlicher Institutionen erlebte, sind die Stämme bedeutend. Daher werden unter den anonymen Ratsmitgliedern nicht nur Gegner aus den noch vom Regime kontrollierten Gebieten sein, sondern auch Stammesscheichs.

Islamisten aller Couleur werden ebenfalls Platz haben. Obwohl Gaddafi gegen die Fundamentalisten vorgegangen war, gab es in Libyen einen islamistischen Untergrund. Gespeist wurde er aus früheren Afghanistan-Kämpfern. Um die Fundamentalisten loszuwerden, hatte der 40 Jahre regierende Despot sie in den 80er Jahren zum Anti-Sowjet-Dschihad an den Hindukusch geschickt. Unter den Rückkehrern sollen auch al-Qaida-nahe Dschihadis sein. Die Hafenstadt Stadt al-Dirna gilt als Hochburg; im Bürgerkrieg sollen die kriegserprobten Dschihadis ganz vorn kämpfen.

Demokratischer Fahrplan für die Zeit nach Gaddafi

Der Übergangsrat hatte sich vor wenigen Wochen selbst diskreditiert. Rebellen-Verteidigungsminister Abdel Fattah Junis, der dem Diktator Jahrzehnte lang als Innenminister gedient und zu den Aufständischen übergelaufen war, wurde im Juli von eigenen Leuten erschossen. Der Mord hatte erkennen lassen, wie uneins die Rebellen sind. Bis heute ist unklar, wer verantwortlich ist für den Tod des Generals. Sein Sohn hatte die Islamisten beschuldigt; Rebellen-Präsident Dschalil hatte das Exekutivorgan des Rats, ein Übergangskabinett, nach dem Mord wegen "Inkompetenz" aufgelöst. Es ist bis heute nicht vollständig besetzt.

Besorgt um sein Image, hat der Rat vor einigen Tagen einen demokratischen Fahrplan geschrieben. Einen Monat nach dem Sturz Gaddafis soll das Gremium von Bengasi nach Tripolis übersiedeln, die Macht an eine echte Übergangsregierung übergeben und Wahlen anschieben. Eine Verfassung soll geschrieben und dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden.

Hauptproblem der Rebellenführer wird es sein, die moderaten Anhänger Gaddafis einzubinden. Mussa Ibrahim, der eifernde Sprecher des Noch-Machthabers, warnte bereits vor einer "blutigen Periode der Rache". In Bengasi hatten sich die Rebellen im Frühjahr noch zurückhaltend gezeigt. Gaddafi-Getreue wurden verhaftet, aber selten getötet. Nach sechs Monaten Bürgerkrieg und Tausenden Opfern wird es schwieriger sein, den Volkszorn zu zügeln.

Zumal die Menschen im Westen Libyens traditionell wenig mit den Bewohnern des Ostens verbindet. Der Westen wurde vom Regime gefördert; er war auch während der italienischen Kolonialzeit stärker an die Staatsmacht angebunden als der Osten und orientiert sich an den Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko. Der Osten ist von Kairo und der klassischen arabischen Welt geprägt. Selbst der Süden, weitgehend Wüste, spielt seine eigene Rolle. Hier führen Verbindungslinien eher nach Schwarzafrika als an die mehr als 1000 Kilometer lange Küste zwischen Tripolis und Bengasi. Dieses nur locker verbundene, von Stämmen dominierte Staatsgebiet zusammenzuhalten wird die Herausforderung für jede Regierung nach dem Sturz Gaddafis sein.

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