Rebellen durchstöbern Kammern des Despoten:Gaddafis bizarre Parallelwelt

Die Jagd auf Gaddafi dauert an - und bringt das Ausmaß seines Reichtums und seiner Paranoia ans Licht: Riesige Medikamentenlager, enorme Nahrungsvorräte und Räume randvoll mit Laptops. Dokumente zeigen außerdem, dass das Regime eine Bodenoffensive der Nato fürchtete - und diese mit eigenartiger Lobbyarbeit stoppen wollte.

Oliver Das Gupta

Der Mann atmet schwer und zählt auf, was er filmt: Da, eine Sauna, und da, ein Jacuzzi. Der große Flachbildfernseher im Wellness-Bereich, der Raum mit dem Billardtisch auf dem die Queues spielbereit liegen, der Fitnessraum mit allerlei Trainingsgerät, ein großes Wohnzimmer mit ausladender Sofalandschaft und Panoramafenstern - staunend geht der Mann von Raum zu Raum.

Ein Leben in Saus und Braus: Schimmbad im Anwesen von Aisha Gaddafi

Ein Leben in Saus und Braus: Schwimmbad im Anwesen von Aisha Gaddafi.

(Foto: AP)

Draußen ist ein halb abgedeckter Pool zu sehen, in dem das Wasser noch steht. Der Mann ruft etwas, manchmal knirschen unter den Füßen Glasscherben, mal platschen seine Schritte. Für einen Augenblick spiegelt sich seine Silhouette in der Glastür: Eine schlanke Gestalt, die mit einem Handy filmt. Allem Anschein nach handelt es sich um einen Rebellen, der durch das opulente Anwesen von Muammar al-Gaddafis Tochter Aisha streift. Sein Video findet sich inzwischen im Internet.

Anderswo in Tripolis donnern nach wie vor die Maschinengewehrsalven, die Krankenhäuser sind überfüllt, in den Kampfzonen liegen Leichen verstreut, beide Seiten richten offenbar wehrlose Gefangene hin.

Der Despot ist nach wie vor abgetaucht, aber nun wird das Ausmaß seines Reichtums und seiner paranoiden Vorkehrungen deutlich. Nach und nach knacken die Aufständischen die Residenzen des Herrscher-Clans und seiner Günstlinge, dringen in weitverzweigte Kellersysteme vor - und finden Erstaunliches: Hochzeitsfotos der Tochter Aisha, einen Lastwagen voller edler Möbel. Manche der unterirdischen Gänge sollen so breit sein, dass Fahrzeuge hindurchfahren können.

Es finden sich Gasmasken, klimatisierte Schlafräume und Waffenmagazine, Räume voller Laptops, Festplatten und ordentlich aufgereihter Telefone. Dazu Lebensmittel-, Medizin- und Benzinvorräte - offenbar handelt es sich um immens große Mengen. Dadurch sei es möglich, eine Stadt doppelt so groß wie die Zwei-Millionen-Metropole Tripolis mit Essen zu versorgen, so der Rebellenrat. Die libysche Bevölkerung, die durch den Krieg mit massiven Engpässen zu kämpfen hat, könne durch den Fund ein Jahr lang mit Medizin versorgt werden.

Auch ein Schwimmbad von olympischen Ausmaßen befindet sich in einem Bunker - seine Existenz hat auch der Arzt Liacyr Ribeiro bestätigt. Der brasilianische Schönheitschirurg operierte Gaddafi in den neunziger Jahren. Der Diktator empfing ihn bei seinem ersten Zusammentreffen in einem Zelt, das in einem Bunker aufgestellt war.

Bei seinen streng geheimen Operationen an Tränensäcken und Haupthaar Gaddafis arbeitete Ribeiro nur mit medizinischem Personal aus dem Ausland - für den Mediziner Ausdruck des krankhaften Misstrauens Gaddafis: "Ich glaube, er hatte Angst, dass die Libyer ihn ermorden."

Die Wehklage des Obersts

Nun ist Gaddafi verschwunden. Manche wähnen ihn noch in Tripolis, andere glauben, er halte sich viele Kilometer entfernt versteckt. Gaddafi meldete sich inzwischen erneut via Audiobotschaft - angesichts der aussichtslosen militärischen Lage wirken die Durchhalteparolen des Langzeit-Diktators weltfremd.

Rebell mit vor einer Batterie von Telefonen

Gigantische unterirdische Lager und Kommandozentralen: Ein Rebell vor einer Telefonanlage in den Bunkern unter Bab al-Asisija.

(Foto: AP)

Dass sich Gaddafi und seine Getreuen ihrer prekären Lage durchaus bewusst waren, zeigen Dokumente, die dem britischen Guardian vorliegen. Demnach versuchte das Regime im Juni hinter den Kulissen verzweifelt, die USA zu einem Ende der Nato-Bombardements zu bewegen. Man versuchte, den demokratischen Kongressabgeordneten Dennis Kucinich nach Tripolis zu lotsen - das Regime bot dem Amerikaner und seiner Entourage an, alle Kosten zu übernehmen. Diese inszenierten "Friedensgespräche" kamen allerdings nicht zustande.

Am 23. Juni schrieb Ministerpräsident al-Baghdadi al-Mahmudi sogar einen Brief an Barack Obama - in einem ungewöhnlich "kriecherischen Ton", wie der Guardian bemerkt. Darin wies Gaddafis Handlanger Obama höflich auf die "noch nie dagewesene Konfiszierung" libyscher Gelder hin. Außerdem kontaktierte Mahmudi US-Senatoren - ohne Erfolg.

Eine wichtige Rolle bei der heimlichen Lobbyarbeit spielte offenbar Sufyan Omeish, ein in den Vereinigten Staaten lebender Filmemacher. Er korrespondierte eifrig mit dem inzwischen nach Tunesien geflohenen Premier. Omeish bastelte an einer Kampagne, damit die Welt "die Wahrheit über Libyen" erfährt. US-Prominente, darunter ein Princeton-Professor, ein früherer UN-Funktionär und Oscar-nominierte Filmemacher, wollte der Gaddafi-Helfer einspannen, um "maximale" Aufmerksamkeit zu erreichen. Ob dieser Plan ernsthaft betrieben wurde oder es sich nur um Schaumschlägerei handelte, bleibt bislang offen.

"Ich habe keine formelle Position"

Ernst genommen haben dürften Gaddafis Vertraute die alarmierende Nachricht, die Omeish am 28. Juni schickte. Darin schrieb er, dass die Nato-Gegner ihre Luftangriffe nicht einstellen würden und das ein Bodenkrieg bevorstünde: Eine US-Invasion Ende September oder im Oktober. Neben von Wikileaks veröffentlichten US-Depeschen zu Libyen und interner Kritik an mangelnden Absprachen fand sich in den Unterlagen von Premier Mahmudi die Kopie eines Schreibens von Gaddafi höchstpersönlich. Der Diktator gab darin Frankreich die Schuld an der Krise und zeigte sich äußerst unerfreut über die amerikanische Teilnahme an der "Aggression gegen Libyen".

Der von der Revolution seiner Untertanen überwältigte "Revolutionsführer" von einst versuchte, seine eigene Rolle klein zu reden. "Ich habe keine formelle Position", klagte Gaddafi, "ich habe nicht einmal die Macht der britischen Queen."

In den öffentlichen Reden des Obersts klingt solches Selbstmitleid nicht durch - im Gegenteil: Der flüchtige Despot ruft seine Anhänger zum Kampf bis zur letzten Patrone auf. "Nehmt die Dächer ein, die Moscheen, die Seitenstraßen", fordert Gaddafi in seiner jüngsten Botschaft, die nun vom syrischen Fernsehsender al-Uraba TV ausgestrahlt wurde, "es gibt keinen sicheren Ort für die Feinde".

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