Emmanuel Macron sitzt auf einem goldenen Sofa im Élysée-Palast. Frankreichs Präsident empfängt an diesem Montag Bernard Accoyer, den Generalsekretär der Républicains. Bevor die Fernsehkameras den Saal verlassen müssen, sagt Macron, dass er mit der Kanzlerin noch spät gesprochen habe. Der Präsident ist sichtlich besorgt. "Es ist nicht in unserem Interesse, dass sich das verkrampft." Man müsse weiter voranschreiten, erklärt Macron. Die Äußerungen von Christian Lindner seien "ziemlich hart" gewesen. Sein Gegenüber nickt zustimmend.
Weiter voranschreiten? Genau das ist Macrons Plan. Er will die Europäische Union verändern - zusammen mit Deutschland. Doch mit dem Scheitern der Jamaika-Gespräche ist plötzlich offen, mit wem er das anpacken kann. Und vor allem: wann? Deutschland hat auf absehbare Zeit keine handlungsfähige Regierung.
In Europa stehen harte Entscheidungen an
So etwas kommt vor in der EU. Die Niederlande haben gerade sieben Monate gebraucht, um eine Regierung zu bilden. Da hätten die Deutschen ja noch fast fünf Monate Zeit, versucht der neue niederländische Außenminister Halbe Zijlstra einen Scherz. Doch auch er weist vor Beginn eines Treffens der Europaminister auf den Ernst der Lage hin. "Deutschland ist ein sehr einflussreiches Land innerhalb der EU. Wenn es keine Regierung, also auch kein Mandat hat, wird es schwierig sein, harte Entscheidungen zu treffen", warnt er. Das ist das Problem. Denn EU-Ratspräsident Donald Tusk will, dass die Staats- und Regierungschefs genau das in den kommenden Monaten tun: harte Entscheidungen treffen.
Dafür hat er sogar einen Fahrplan aufgestellt, die Leaders' Agenda. Ein erster wichtiger Termin ist da schon für den 14. und 15. Dezember eingetragen. Auf einem Euro-Sondergipfel sollen erste Weichen für eine Reform der Währungsunion gestellt werden. Für Juni 2018 hofft Tusk auf konkrete Entscheidungen: beim Euro, aber möglichst auch bei der Migration. Je länger die Hängepartie dauert, desto irrealer - das weiß jeder in Brüssel - wird der Zeitplan.
Die Europäische Kommission will dennoch keinerlei Anzeichen von Nervosität oder gar Panik erkennen lassen. Stabilität und Kontinuität seien doch stets ein "Markenzeichen der deutschen Politik" gewesen, sagt der Sprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Wir hoffen, das wird dieses Mal nicht anders sein", fügt er hinzu. Man vertraue da auf den verfassungsmäßigen Prozess in Deutschland. Dabei verweist er ausdrücklich auf Artikel 63 (4) des Grundgesetzes, der es dem Bundespräsidenten zum Beispiel ermöglicht, einen Kanzler ohne absolute Mehrheit zu ernennen. Baut die EU-Kommission auf eine Minderheitsregierung?
Eine bemerkenswerte Konstellation auf der europäischen Bühne
So oder so heißt es erst einmal: warten auf die Deutschen. Das gilt auch für Macron. All jene großen Reformen, die er in seiner Rede an der Sorbonne skizziert hat, lassen sich nur mit dem Willen Deutschlands durchsetzen. Mit einer Kanzlerin in Berlin, die etwas entscheiden kann.
Es ist eine bemerkenswerte Konstellation auf der europäischen Bühne: Nach dem blassen François Hollande regiert in Paris nun ein junger Präsident, der so viele Visionen für Europa hat wie schon lange keiner seiner Vorgänger mehr. Im Gegensatz zu Hollande und auch Nicolas Sarkozy ist Macron ein Präsident, der klare Vorstellungen hat, wie er Frankreich und Europa verändern will. Nur: Angela Merkel ist nicht mehr die starke Kanzlerin, die sie einst war. Das wird sie, trotz der deutschen Wirtschaftskraft, bei künftigen Gipfeltreffen in Brüssel zu spüren bekommen.
Macron wäre eine große Koalition am liebsten
Für Macron ist das Fluch und Segen zugleich. Einerseits bräuchte er eine Kanzlerin, die fest im Sattel sitzt. Andererseits hofft er auf jene in Berlin, die es auch ihm erleichtern würden, seine Reformideen umzusetzen. Dass die FDP nicht mitregiert, gilt in Paris wie in Brüssel jedenfalls als eher gute Nachricht. "Macrons Albtraum" - so hatte Le Monde eine mögliche Regierungsbeteiligung der Lindner-Partei in Deutschland bezeichnet und den Präsidenten mit dem Satz zitiert: "Wenn sie sich mit den Liberalen verbündet, bin ich tot." Mit "sie" war Merkel gemeint.
Auf der Hand liegt, dass Macron eine große Koalition der Union mit der SPD am liebsten wäre. Schon in seiner Zeit als Wirtschaftsminister hatte er engen Kontakt zur SPD. Die neuerliche Absage von SPD-Chef Martin Schulz an eine Regierungsbeteiligung machte ihm und allen anderen in Europa allerdings erst einmal klar: Leicht wird es nicht mit den Deutschen.