Süddeutsche Zeitung

Reaktionen:"Gutes Signal für Europa"

Viel Lob für Angela Merkel: Die Reaktionen aus dem In- und Ausland sind weitgehend positiv. Kritik kommt aus Polen - dort wundert man sich auch über das Gebaren der Kaczynskis.

In Polen haben Opposition und Medien Regierungschef Jaroslaw Kaczynski dafür kritisiert, dass er nicht selber in Brüssel die Verhandlungen über einen neuen EU-Grundlagenvertrag führte, sondern per Telefon über seinen Zwillingsbruder, den Staatspräsidenten Lech Kaczynski.

"Wahrscheinlich zum ersten Mal in der Geschichte der EU-Gipfel sind die Verhandlungen in die Hauptstadt eines Mitgliedslandes verlagert worden", schrieb die regierungskritische Gazeta Wyborcza am Samstag. Die Verhandlungen in Brüssel "hingen von einem Mann ab, der beim Gipfel nicht anwesend war". Die Tageszeitung Dziennik schrieb, es sei "nicht der richtige Kaczynski" nach Brüssel gefahren.

Der Ministerpräsident habe im selben Moment mit einem Veto gedroht, als sein Bruder, der Staatschef, und Kanzlerin Merkel sich in Brüssel zu einem letzten Verständigungsversuch trafen, berichtete die Gazeta Wyborcza.

Zweimal habe Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy - in Gegenwart der Regierungschefs von Großbritannien, Luxemburg und Spanien - in Warschau angerufen. "Jaroslaw Kaczynski hat aus der Entfernung von Warschau aus die Hauptrolle in einem politischen Thriller in Brüssel gespielt, der 15 Stunden dauerte", fasste das Blatt zusammen.

Premier Kaczynski: Großer Erfolg für Polen

Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski wertete das Eregbnis des EU-Gipfels in Brüssel als großen Erfolg. Der Kompromiss verleihe Polen "eine starke Position", erklärte der Regierungschef am Samstag. Die Einigung sei "sogar noch vorteilhafter" als die ursprünglich angestrebte Quadratwurzel-Formel.

Die größte polnische Oppositionspartei, die Bürgerplattform (PO), begrüßte das Ergebnis des Gipfeltreffens, kritisierte aber ebenfalls, dass Jaroslaw Kaczynski in Warschau geblieben war. "Sein Platz war in Brüssel", erklärte PO-Generalsekretär Grzegorz Schetyna.

In polnischen Kommentaren zur Verhandlungsführung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft tauchten erneut anti-deutsche Ressentiments auf. Einer der polnischen Unterhändler in Brüssel sagte der Gazeta Wyborcza: "Europa ist deutsch. Die Probleme werden auf deutsche Art gelöst: Mit dem Brecheisen."

Polens Regierungschef, Roman Giertych von der rechtspopulistischen "Liga Polnischer Familien", kritisierte Kanzlerin Merkel scharf. Sie habe mit ihrer Drohung, notfalls eine Regierungskonferenz zum neuen EU-Vertrag ohne Polen zu starten, eine Situation geschaffen, in der man im politischen Sinn "Hände hoch" sage.

"Die EU wird immer stärker dem Diktat der deutschen Politik unterworfen", sagte Giertych der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Die Worte "Diktat" und "Hände hoch" sagte er dabei auf Deutsch. Der LPR-Chef erklärte, er erwäge eine Demonstration vor der deutschen Botschaft.

Verheugen: Sorgen der Neuen ernster nehmen

Der deutsche Vizepräsident der EU-Kommission, Günter Verheugen, hat die EU-Mitglieder aufgefordert, aus dem Verhandlungspoker bei ihrem jüngsten Gipfel Lehren zu ziehen. "Wichtig ist aber, dass wir die vielen schrillen Töne aus den vergangenen Tagen jetzt hinter uns lassen", sagte der SPD-Politiker der Welt am Sonntag.

"Wir müssen genau aufpassen, welche Sorgen unsere neuen Mitgliedsländer haben. Die Polen etwa fürchten eine Ostpolitik über ihren Kopf hinweg", sagte er weiter.

Daher sei es wichtig, dass mit dem neuen Vertrag auch die gemeinsame europäische Außenpolitik gestärkt werde. "Wenn wir geeint nach außen auftreten, muss kein Mitglied Angst haben, übergangen zu werden", sagte Verheugen, der als Erweiterungskommissar die Verhandlungen mit den osteuropäischen Ländern geführt hatte.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einem "guten Signal für Europa". Der SPD-Politikert hob hervor, die Bedeutung des in der Nacht zu Ende gegangenen Gipfeltreffens werde vielfach unterschätzt. Wäre keine Einigung erzielt worden, hätte dies einen schweren Rückschlag für Europa und für den weiteren Weg der Integration bedeutet.

Der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, hat die Zusammenarbeit des Parlaments bei der Umsetzung der Beschlüsse des Brüsseler Gipfels zum Stimmengewicht einzelner EU-Staaten zugesagt. In der Frage zusätzlicher Sitze für polnische und spanische Europaabgeordnete wolle das Europaparlament "hilfreich" sein, sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel am Sonntag.

Auch in Deutschland äußerten sich die Spitzenpolitiker anerkennend. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber sprach von "einem großen Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft". Merkel habe "den Stillstand in Europa" überwunden und das Paket der Reformen zusammengehalten, sagte der CSU-Chef.

Sorge um Image der EU

Besorgt zeigte sich Stoiber über das Erscheinungsbild Europas bei den Bürgern. "Die Art und Weise, wie von einigen bei diesem EU-Gipfel nationale Egoismen verfolgt wurden, darf sich nicht wiederholen", betonte er.

Ähnlich äußerten sich Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und ihr Stellvertreter Jürgen Trittin. Die EU habe massiv an Ansehen verloren. "Die Substanz des Vertrages bleibt unterm Strich erhalten, aber einen Grund zur Freude gibt es nicht", erklärten die beiden.

Lob für den Kompromiss kam auch von SPD-Chef Kurt Beck. "Was in dieser unglaublich schwierigen Situation erreicht worden ist, ist unseres Respektes und unserer Unterstützung wert", sagte Beck am Samstag auf dem SPD-Grundsatzkonvent in Hannover. Er wolle Merkel und dem Außenminister Steinmeier seine Anerkennung ausdrücken.

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle kritisierte hingegen das Ergebnis des EU-Gipfels in Brüssel. "Es ist bedauerlich, dass das Bekenntnis zu einem freien und fairen Wettbewerb an Bedeutung verloren hat", sagte er der Welt am Sonntag. Europa habe gewonnen, aber nicht gesiegt.

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Linken, Ulrich Maurer, kritisierte sowohl das Ergebnis des Brüsseler EU-Gipfels als auch die Kanzlerin. "Angela Merkel hat die peinlichen Gipfelschiebereien mit einem enttäuschenden Ergebnis beendet. Das vom EU-Gipfel beschlossene Mandat für eine Regierungskonferenz ist eine politische Bankrotterklärung", erklärte er.

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