Süddeutsche Zeitung

Internationale Reaktionen:"Eine schlechte Nachricht für Europa"

Lesezeit: 2 min

Das Scheitern der Jamaika-Sondierungen löst international Beklemmung aus. Die einen sehen es als schwere Niederlage Angela Merkels, andere fürchten, dass sich die Krise Europas verschärft.

Der französische Präsident Emmanuel Macron ist besorgt über die Lage in Deutschland. Es sei nicht in französischem Interesse, wenn die Koalitionsgespräche nicht vorankämen. Er wünscht sich ein "starkes und stabiles" Deutschland, das Europa voranbringe, teilt das Präsidialamt in Paris mit. Frankreich müsse dennoch "vorwärtsgehen". Ohne eine handlungsfähige deutsche Regierung dürfte sich der Prozess aber verzögern. Im Elysée-Palast wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel bisher als "wichtiger Faktor der Kontinuität" gesehen, sagt ein Macron-Vertrauter.

Der niederländische Außenminister Halbe Ziljstra sagt zum Scheitern der Jamaika-Sondierung: "Das ist eine schlechte Nachricht für Europa, dass die Regierungsbildung etwas länger dauern wird." Deutschland sei innerhalb der EU sehr einflussreich, habe aber ohne Regierung kein Mandat und werde sich sehr schwer tun, Positionen zu beziehen. Von einer Neuwahl rät der Minister ab. Stattdessen sollten die Parteien lieber etwas Zeit verstreichen lassen und dann erneut verhandeln. Beispiel seien die Niederlande selbst, wo die Koalitionsverhandlungen sich jüngst sieben Monate hingezogen hätten, bis eine neue Regierung stand.

Auch der belgische Außenminister Didier Reynders verweist darauf, dass inzwischen in vielen Ländern langwierig Koalitionen gebildet werden müssen. Damit habe auch Belgien Erfahrung. Nach den Niederlanden treffe es nun Deutschland. "Vielleicht ist das eine neue Tradition in vielen Ländern", sagt Reynders.

Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission, sieht in dem Scheitern der Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis dagegen kein Risiko für Europa. In der EU-Kommission sei man zuversichtlich, "dass Stabilität und Kontinuität gewährleistet sein werden", sagt der Sprecher des Kommissionspräsidenten. Das deutsche Grundgesetz biete dafür die Basis.

Der tschechische Europaminister Ales Chmelar sagt: "Wir hoffen, dass wir in Deutschland früher oder später eine starke Regierung haben werden."

Die russische Regierung hält sich mit Kommentaren zurück. Dort wünscht man sich ein baldiges und erfolgreiches Ende von Koalitionsverhandlungen in Deutschland. Dies sei aber eine ausschließlich interne Angelegenheit, sagt ein Sprecher des russischen Präsidialamtes in Moskau.

Die britische Regierung schielt auf die laufenden Brexit-Verhandlungen mit der EU. Man geht nach Angaben eines Sprechers aber nicht davon aus, dass sich das Scheitern der Jamaika-Sondierungen darauf auswirken werde. "Mir wäre nicht bewusst, dass es breitere Bedenken gäbe."

Die italienische Zeitung La Stampa schreibt: "Es sind lediglich gute Nachrichten für diejenigen, die sich über das Unglück anderer freuen. Für viele jedoch kann ein stabiles Deutschland Europa eine Hilfe sein, innerhalb und außerhalb seiner Grenzen, und deshalb bleibt nach dem nächtlichen Marathon in Berlin zu hoffen, dass es bald einen positiven Ausgang gibt und dass, trotz notwendiger Kompromisse, die Deutschen nicht das Vertrauen in ihr System verlieren. Ein Kurzschluss wäre nun vor allem ein riesiges Geschenk an diejenigen, die ohnehin gegen das System auf der Lauer liegen: die der extremen rechten und neo-populistischen Alternative für Deutschland."

Die französische Zeitung Les Echos fürchtet, die gescheiterten Sondierungsgespräche könnten das gesamte Europa "in eine nie da gewesene Krise stürzen. In den vergangenen Jahren war die Europäische Union von der Führung Angela Merkels geprägt, die gleichzeitig vom wirtschaftlichen Erfolg ihres Landes und dem Mangel an politischen Figuren auf ihrem Level profitierte. Emmanuel Macron, der Europa mit Angela Merkel neu ankurbeln wollte, findet sich so in der ersten Linie wieder, aber ihm droht ein Schlüssel-Partner für seine Projekte zu fehlen."

Laut der österreichischen Zeitung Der Standard sei das Scheitern vor allem für Bundeskanzlerin Merkel eine schwere Niederlage. "Es zeigt ganz deutlich, dass sie nicht mehr die Kraft und Autorität hat, eine Regierung für Deutschland zu bilden. Während der Verhandlungen schon wirkte sie wie eine Moderatorin, aber nicht wie die gestaltende Kraft. Über weite Strecken wurde die Debatte von den Grünen und der CSU dominiert, die in vielen Punkten so weit auseinander lagen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3757339
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/dpa/afp/rtr/eca
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.