Reaktionen:"Die Partei ist in Lebensgefahr wie nie zuvor"

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Häme und Bestürzung nach dem Rückzug des FDP-Generalsekretärs: Die SPD sieht Lindner als "Bauernopfer", die Grünen würden sich über Neuwahlen freuen - und viele Liberale sind schockiert. Von Parteichef Rösler werden Konsequenzen gefordert.

Die SPD sieht nach dem Rücktritt von FDP-Generalsekretär Christian Lindner auch Parteichef Philipp Rösler schwer angeschlagen: "Herr Lindner ist ein Bauernopfer, um Herrn Rösler noch ein paar Tage im Amt zu halten", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kritisierte, statt Lindner hätte eigentlich Rösler zurücktreten müssen. "Rösler ist der Totengräber der FDP. Er hat den wahren Liberalismus heimatlos gemacht", sagte sie. Sie erwarte, dass er sein Amt noch vor der Wahl in Schleswig-Holstein im Mai aufgeben werde.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wertet Lindners Rücktritt als Beleg für eine schwindende Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Er kritisierte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel kein Wort zur FDP verloren habe, obwohl ihr die Regierung "um die Ohren" fliege. Der Rücktritt sei nur ein Symptom der Krise der Partei. "Die FDP hat sich mit ihrem Mitgliederentscheid in eine Sackgasse manövriert. Sie ist unfähig, die Entscheidungen mitzutragen, die für unser Land und Europa jetzt notwendig sind."

Merkel zeigte sich am Abend gelassen: "Die Zusammenarbeit war gut, sie wird aber auch mit einem neuen Generalsekretär wieder erfolgreich sein". Die Koalition werde "völlig unbeschadet" von dem Rücktritt weiter arbeiten.

Sorge bei den Liberalen

Rösler verlor ebenfalls nicht viele Worte über den Verlust seines Generalsekretärs. In einer eilig anberaumten Pressekonferenz bedauerte er den Rücktritt. Lindners Arbeit sei hervorragend gewesen; er habe sich große Verdienste erworben. Der FDP-Chef, dessen Verhältnis zu Lindner als angespannt galt, kündigte an, noch in dieser Woche einen Nachfolger zu benennen. Bedauern äußerte auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprach von einem "Schock" für die Partei. Die FDP sei in einer "sehr schwierigen Situation". Sie wolle mit ihren Parteikollegen nun alles dafür tun, dass die Liberalen "aus dem Tal der Tränen" wieder herausfänden, sagte die Bundesjustizministerin.

Bestürzt reagierte Burkhard Hirsch, einer der Initiatoren der Mitgliederentscheidung über den Euro-Rettungsschirm ESM, die in den vergangenen Tagen viel Aufregung verursacht hatte. "Ich halte die Entscheidung nicht für richtig", sagte der Alt-Liberale im TV-Sender Phoenix. Hirsch zeigte sich überzeugt, dass nicht der parteiinterne Druck rund um den Mitgliederentscheid "alleine der Anlass für einen derartig spektakulären Schritt" sei.

Doch nicht alle FDP-Mitglieder äußern nur Bedauern. So forderte der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum in einem Interview mit Phoenix den Rücktritt des gesamten FDP-Präsidiums, und damit auch des Vorsitzenden Rösler. "Die Partei ist in einer Lebensgefahr wie nie zuvor. Das verlangt radikale Entscheidungen", sagte der frühere FDP-Spitzenpolitiker. Lindners Rücktritt bewertete er als "Misstrauensvotum gegen den Vorsitzenden".

Auch der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki sieht seine Partei in einer Führungskrise. Er befürchte weitere Personaldebatten, sagte er: "Das ist etwas, was wir jetzt eigentlich am wenigsten gebrauchen können." Als substanzielle Schwächung der FDP bewertete der Fraktionsvorsitzende der FDP im Düsseldorfer Landtag, Gerhard Papke, den Rücktritt. "Brauchen Teamleistung, um mit Inhalten aus der Krise zu kommen. Personaldebatten helfen nicht", twitterte Lasse Becker, der Chef der Jungen Liberalen.

"Da verlässt einer eiligst das sinkende Schiff"

Bei der Opposition dominiert dagegen die Schadenfreude. So twitterte Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen: "Warum bleibt Rösler, wenn Lindner geht? Fragen über Fragen? Wie wäre es mal wieder mit einem Neuanfang in der Koalition? Dem 100." Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin ätzte in der Online-Ausgabe der Welt: "Der erste von der Boy-Group ist weg. Jetzt sind alle gespannt, wann Rösler durch Kubicki ersetzt wird". Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke richtete Vorwürfe an Lindner. Er habe keinerlei Verantwortung "für das Desaster des Mitgliederentscheids übernommen", sondern der "schwindsüchtigen" Partei einen Fußtritt verpasst.

Der Grünen-Abgeordnet Omid Nouripuour fasste sich etwas kürzer: "FDP kaputt! Lindner weg." Die SPD-Abgeordnete und ehemalige parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium Ute Vogt bemerkte auf ihrem Twitteraccount: "Da verlässt einer eiligst das sinkende Schiff."

© sueddeutsche.de/dpa/dapd/mri/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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