Reaktionen:"Aufstand gegen Merkel"

Fraktionssitzungen der Bundestagsparteien - SPD

Nahm gleich die Bundeskanzlerin ins Visier: Thomas Oppermann.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die SPD leuchtet genüsslich Risse beim Koalitionspartner aus. Dabei zielen die Sozialdemokraten weniger auf den abgewählten Fraktionschef als vielmehr auf die Bundeskanzlerin. Doch es gibt auch besorgte Stimmen.

Von Mike Szymanski

Die große Koalition ohne Unions-Fraktionschef Volker Kauder? Auch bei den Sozialdemokraten war das bis Dienstagnachmittag nicht vorstellbar. Wohl niemand in der SPD hätte darauf gewettet, dass Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles nun seinem Nachfolger Ralph Brinkhaus zur Wahl gratuliert und nicht dem Volker Kauder, dem gefühlt Ewigen auf diesem Posten. Nahles bleiben Worte des Abschieds: "Ich habe mich bei Herrn Kauder bedankt für die jahrelange, gute Zusammenarbeit", sagt sie.

Nahles und Kauder, die beiden konnten ja gut miteinander. Sie wussten, was sie aneinander hatten. Sie wussten, wie weit jeder gehen konnte, bis es wirklich schmerzt. Kauder war für Nahles so etwas wie ein Stabilitätsanker im Lager der CDU, auch wenn Nahles natürlich nicht verborgen geblieben ist, dass Kauder immer weniger Rückhalt in den eigenen Reihen hatte. Als vor der Sommerpause im Streit über die Asylpolitik die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU auseinanderzufliegen drohte, die Abgeordneten im Bundestag nicht mal miteinander tagen wollten und so richtig Alarmstimmung herrschte, selbst da konnten sie aufeinander zählen. Gemeinsam traten sie an jenem denkwürdigen Tag abends im Bundestag noch vor einer Besuchergruppe der Stiftung für Grundwerte und Völkerverständigung auf. Die Stiftung kümmert sich unter anderem um das Gebetsfrühstück im Deutschen Bundestag. Der Abendtermin war drüben, in Kauders Reich, dem Fraktionssaal der Union. Da saßen sie zusammen, Kauder, der Protestant, und Nahles, die Katholikin. Ringsherum der große Sturm.

Als die Nachricht von Kauders Wahlniederlage am Dienstag die Runde macht, zielen die ersten Reaktion aus der SPD nicht auf Kauder, die Spitzenfunktionäre nehmen sofort CDU-Chefin Merkel ins Visier. "Das ist für Frau Merkel als Bundeskanzlerin und Vorsitzende der CDU schon ein mächtiger Schlag ins Kontor", sagt etwa SPD-Vize Ralf Stegner. "Dass gegen ihren ausdrücklichen Willen und gegen ihr Werben ihr langjähriger Vertrauter und Fraktionsvorsitzender Kauder klar abgewählt wird, das zeigt schon, wie groß die Machterosion innerhalb der Union geworden ist." Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann schreibt im Kurznachrichtendienst Twitter sogar: "Das ist ein Aufstand gegen Merkel." Es ist gerade mal nicht die SPD, in der es hoch her geht. In Streit um die Zukunft von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hatte sich die SPD über die eigenen Fehler so heiß geredet, dass plötzlich nichts mehr sicher zu sein schien: weder die große Koalition, noch die Zukunft von Andrea Nahles als Parteichefin. Jetzt wird grell und genüsslich von den Sozialdemokraten ausgeleuchtet, wo sich in der CDU Risse zeigen. SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach warnt bereits: "Jetzt heißt es: keine Schadenfreude."

Kauders Niederlage sei keine gute Nachricht für die Groko, glaubt er. "Weil die Abstimmung wohl Merkel treffen soll und die Zerrissenheit der Union zeigt." Haben Union und SPD nicht gerade erst versprochen, wieder zur Sacharbeit überzugehen, nachdem sie den Streit über Maaßen beigelegt hatten? Lauterbach sagt: "Wir haben noch wichtige Arbeit zu leisten."

Aber am Dienstag ist auch in der Union etwas ins Rutschen geraten. Dass etwas in Bewegung war, ist den Strategen im Willy-Brandt-Haus nicht verborgen geblieben. Das fing auch lange vor Brinkhaus' Kandidatur an. Mindestens vor zwei Jahren, heißt es. Es wurde schwieriger und schwieriger, für gemeinsame Projekte die Unterstützung zu sichern. Kauder habe zusehends an Kraft verloren. Neue Strömungen im Lager der Union seien stärker geworden. Jene, die "keine weitere Sozialdemokratisierung der Union" wollten, wie es heißt. Allein der Umstand, dass mit Brinkhaus jemand tatsächlich die Machtfrage in der Fraktion stellt, hatte die Genossen aufhorchen lassen. Von einem schlechten Ergebnis für Kauder war man in der SPD fest ausgegangen. Dass es so kommt, damit hatte niemand gerechnet.

Gut möglich, dass das Regieren in der Groko nun noch etwas schwieriger wird. Zu einem schwer berechenbaren Partner wie der CSU kommt nun bei der CDU ein Verhandler, mit dem die Genossen erst einmal umgehen lernen müssen. Wie schwer Merkel erschüttert wird, muss sich noch zeigen. Die SPD-Fraktion - so formulierte es neulich der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider - habe eine klare Erwartung. Wenn die Union nicht endlich "in die Gänge" komme und weiter Vorhaben wie das Gute-Kita-Gesetz, besseren Mieterschutz oder das Einwanderungsgesetz blockiere, dann könnten die Tage der großen Koalition schneller als gedacht ein Ende finden. Die SPD hat sich wieder eine Deadline gesetzt, bis wann sie Erfolge sehen will: bis Dezember. Die SPD braucht Partner, die wirklich mit ihr an einem Strang ziehen. Sie hätte jetzt Ruhe gebraucht.

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