Reaktionen auf Berlin-Wahl:Pieper kritisiert Röslers Europa-Kurs

Die Ursachenforschung kann beginnen: Erstmals erntet Philipp Rösler für seinen Europa-Kurs auch aus den eigenen Reihen Kritik. Außen-Staatsministerin Cornelia Pieper bezeichnet die europaskeptische Politik ihres Parteichefs als "unglaubwürdig", das zeigten auch die Wahlanalysen. Rösler selbst zeigt sich unbeirrt - sowohl in Sachen Europa als auch was seine eigene Zukunft betrifft.

Nach der Niederlage der FDP bei der Berlin-Wahl wird erstmals auch Kritik an der Europa-Politik von Partei-Chef Philipp Rösler aus den eigenen Reihen laut. "Ich glaube, dass es ein Fehler war, die Europartei FDP in Richtung Europa-Skeptiker zu profilieren", sagte Außen-Staatsministerin und Mitglied des FDP-Bundesvorstandes Cornelia Pieper der Mitteldeutschen Zeitung. "Das ist und bleibt unglaubwürdig. So sagen es auch die Wahlanalysen."

Abgeordnetenhauswahl Berlin - ARD-Sendung ´Günther Jauch"

FDP-Parteichef Philipp Rösler (re. im Bild; mit Bundesumweltminister Norbert Röttgen) tritt in der ARD-Sendung "Günther Jauch" auf und bekräftigt seinen Kurs in der Europa-Politik - aus den eigenen Reihen erntet er Kritik für seine Haltung.

(Foto: dpa)

Philipp Rösler bekräftigte unterdessen seine Haltung in der Euro-Krise. Er halte eine offene Debatte über die Möglichkeit einer "geordneten Insolvenz" Griechenlands für richtig, sagte der Bundeswirtschaftsminister am Sonntagabend in der ARD. Wegen der möglichen Beunruhigung der Finanzmärkte nicht über eine Insolvenz zu reden, lehne er ab. "Ich bin Deutschland verpflichtet und nicht den Finanzmärkten", sagte Rösler.

Die Kritik von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) an der Einmischung Röslers wies der FDP-Parteichef zurück. "In der Tat, der Finanzminister ist für Finanzfragen zuständig. Aber wenn das alles so reibungslos funktioniert hätte, würden wir heute nicht darüber diskutieren." Deshalb müsse der Wirtschaftsminister ein "gehöriges Wort" mitreden und er werde sich auch künftig in dieser wichtigen Wirtschaftsfrage einmischen.

Sowohl Rösler als auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) beteuerten, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung zusammenhalten werde. "Wir haben eine Verantwortung in dieser Regierung in einer dramatischen historischen Situation. Und die werden wir erfüllen", sagte Röttgen.

Auch der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hat Forderungen nach Neuwahlen im Bund zurückgewiesen. Über einen solchen Schritt werde er "nicht einmal diskutieren", sagte er im Morgenmagazin der ARD. Er habe "für solche Kaspereien kein Verständnis".

Konsequenzen der FDP nach der Berlin-Wahl

Die FDP schloss zugleich personelle Konsequenzen aus der Niederlage bei der Berlin-Wahl aus. "Für mich war klar, das wird ein schwerer Weg werden", sagte Rösler. "Wir führen keine Personaldiskussion", sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner ebenfalls in der ARD mit Blick auf seine eigene Verantwortung.

FDP-Finanzexperte Frank Schäffler forderte seine Partei auf, auch nach dem Wahldebakel weiter eine kritische Haltung zu den Euro-Rettungsmaßnahmen einzunehmen. Wenn der von ihm geplante Mitgliederentscheid jemals notwendig gewesen sei, dann jetzt.

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Holger Zastrow frischte noch einmal die Forderung nach einer Steuersenkung auf. "Über Steuersenkungen entscheidet nicht der Finanzminister, sondern der Koalitionsvertrag", sagte Sachsens FDP-Chef. "Weil ganz sicher keiner der Partner vertragsbrüchig werden will, wird es schon recht bald Steuersenkungen geben", ergänzte Zastrow.

Opposition fordert Neuwahlen im Bund

Die Oppositon hat ihre Forderung nach Neuwahlen im Bund bekräftigt. Die Liberalen müssten einsehen, dass sie nicht regierungsfähig seien, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der Leipziger Volkszeitung. Er machte deutlich, dass er weder in Berlin noch im Bund eine Perspektive für eine große Koalition sehe. Er rechne für Berlin mit Rot-Grün, sagte Oppermann.

Ähnlich äußerte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck. Sollte der von FDP-Parlamentariern angestrebte Mitgliederentscheid einen europakritischen Kurs besiegeln, müssten die Liberalen sich aus der Regierung verabschieden, sagte er Handelsblatt Online.

Vorläufiges amtliches Endergebnis

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kommt die SPD auf 28,3 Prozent (minus 2,5). Die CDU wird zweitstärkste Kraft mit 23,4 Prozent (plus 2,1). Dahinter liegen die Grünen mit 17,6 Prozent (plus 4,5) und die Linke mit 11,7 (minus 1,7). Die Piratenpartei zieht mit 8,9 Prozent erstmals in das Berliner Abgeordnetenhaus ein. Die FDP verpasst mit 1,8 Prozent (minus 5,8) den Wiedereinzug. Die Wahlbeteiligung lag mit 60,2 Prozent über dem Wert von 2006 (58,0).

Abgeordnetenhauswahl in Berlin

Nach seinem Wahlsieg ist Klaus Wowereit (Mitte) auf der Suche nach einem Koalitionspartner. Die Frage ist: Will die SPD mit den Grünen oder der CDU regieren?

(Foto: action press)

Parallel zum Landesparlament wurden auch die Kommunalvertretungen neu bestimmt. Auch dort waren die Piraten erfolgreich und schafften es in alle zwölf Bezirksverordnetenversammlungen. "Das ist ein historischer Tag für die Piratenpartei und für Deutschland", sagte der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz und verglich den Erfolg mit dem der Grünen vor 30 Jahren.

Auch die rechtsextreme NPD ist künftig offenbar wieder in drei Berliner Bezirksparlamenten vertreten. Die Partei überwand am die Drei-Prozent-Hürde in den östlichen Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick, wie aus den Hochrechnungen der Landeswahlleiterin hervorgeht.

Die beiden Spitzenkandidaten von SPD und CDU konnten ihre Wahlkreise am Sonntag nicht direkt gewinnen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit gewann zwar mit der SPD die Abgeordnetenhauswahl, verlor aber seinen Wahlkreis 5 in Charlottenburg-Wilmersdorf knapp an die CDU. Frank Henkel (CDU) konnte sich in seinem Wahlkreis in Mitte ebenfalls nicht durchsetzen. Er lag mit 23,2 Prozent nur auf dem dritten Platz hinter SPD und Grünen.

Sondierungsgespräche nach Wahlsieg der SPD

Nach dem Wahlsieg der SPD will der Landesvorstand festlegen, mit wem die Sozialdemokraten nach der Abgeordnetenhauswahl zuerst über eine Koalition sprechen: mit den Grünen oder der CDU.

SPD-Regierungschef Klaus Wowereit hatte am Wahlabend deutlich gemacht: "Es gibt die meisten Schnittmengen zur Partei der Grünen, nicht zur CDU." Er wolle aber mit beiden reden. CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel sagte, seine Partei stehe für "ernsthafte Sondierungsgespräche" bereit.

Mit den Grünen erwartet Wowereit schwierige Verhandlungen. "Es gibt ein paar harte Punkte, wo die Grünen sich eindeutig bekennen müssen, eine Politik für die Entwicklung dieser Stadt zu machen", sagte er am Sonntagabend. Dazu gehörten große Verkehrsprojekte wie der neue Flughafen und der Weiterbau der Stadtautobahn A 100.

Nach Ansicht der Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, Renate Künast, hat das gute Abschneiden ihrer Partei bei der Abgeordnetenhauswahl eine Koalition von Rot-Grün erst möglich gemacht. Daher sei ihre Partei nicht zum Nulltarif zu haben, sagte Künast am Montag im RBB-Inforadio.

Berliner Wahl als Denkzettel für die Parteien

Thüringens Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow sieht die Berlin-Wahl als Niederlage für seine Partei, aber auch als Denkzettel für alle etablierten Parteien. "Die Piraten sind ins Abgeordnetenhaus gekommen. Das zeigt, wir alle müssen lernen, endlich mit der digitalen Welt umzugehen", sagte Ramelow der Nachrichtenagentur dpa. "Auch meine Partei muss endlich begreifen, dass es nichts hilft, ein analoges Programm zu haben, aber digital keine Ahnung zu haben."

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