Reaktion auf OB-Wahl in Stuttgart:Geißler kritisiert altmodische CDU-Positionen

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Die Christdemokraten verdauen die Niederlage bei der OB-Wahl in Stuttgart: Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler fordert eine grundlegende Modernisierung seiner Partei, die "zu viele konservativ-neoliberale Kräfte" bislang verhinderten. Innenpolitiker Bosbach warnt jedoch vor "grünen Phantasien".

Klare Worte eines CDU-Urgesteins: Heiner Geißler prangert "altmodische Positionen" seiner Partei an. (Foto: dpa)

Die Wahlschlappe der CDU bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart hat die Partei bis in ihre Grundfesten erschüttert. Der Sieg des Grünen Fritz Kuhn hatte am Sonntag die 38 Jahre währende Dominanz der CDU in der Stadtregierung gebrochen. Nun ist in der Union ein Streit über die zukünftige Ausrichtung der Partei ausgebrochen.

Besonders harte Worte findet der frühere Generalsekretär der CDU und Schlichter im Fall "Stuttgart 21", Heiner Geißler. Er fordert eine grundlegende Modernisierung seiner Partei. Der Kurs von Bundeskanzlerin und CDU-Parteichefin Angela Merkel sei zwar "absolut richtig", aber: "Es gibt immer noch zu viele konservativ-neoliberale Kräfte, die altmodischen Positionen nachhängen. Mit einem antiquierten Familien- und Frauenbild, ständiger Kritik an der Energiewende und der europäischen politischen Einigung und einer marktradikalen Wirtschaftspolitik kann eine Volkspartei nicht erfolgreich sein", sagte Geißler den Ruhr Nachrichten. Der Widerstand gegen Frauenquote und Mindestlohn müsse endlich beendet werden.

Gleichzeitig kritisierte Geißler den liberalen Koalitionspartner. Die CDU müsse sich in den ökologischen und sozialen Fragen deutlich von der FDP distanzieren, sonst werde sie in den Abwärtssog der FDP hineingezogen, sagte Geißler. Um in Großstädten wieder erfolgreich zu sein, müsse die CDU auch ihre Einstellung zu Bürgerbeteiligungen ändern. "Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung müssen Inhalt der CDU-Programmatik werden", so Geißlers Forderung.

Debatte um "Original" und "Plagiat"

Dagegen warnte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach seine Partei davor, sich bei den Grünen-Wählern anzubiedern. "Die Union wäre gut beraten, nach dem Ergebnis in Stuttgart keine grünen Phantasien zu pflegen", sagte er den Stuttgarter Nachrichten. "Die Bürger wählen das Original, nicht das Plagiat." Die Union müsse sich treubleiben und "nicht auf der Suche nach dem Wechselwähler den Stammwähler vergessen".

Der Wahlsieg von Fritz Kuhn, der nun neuer OB von Stuttgart wird, hat nicht nur die Diskussion um eine Neusausrichtung der Union angeheizt, auch mögliche Koalitionen von Union und Bündnis 90/Die Grünen sind Thema.

Armin Laschet, CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen, wandte sich in der Bild-Zeitung gegen schwarz-grüne Gedankenspiele: "Den Grünen nachzulaufen, wäre der falsche Weg. Herr Kuhn war auch erfolgreich, weil er bürgerliche Werte betont hat. Die Grünen in Baden-Württemberg tarnen sich als Schwarze, deshalb muss die Union wieder mehr um bürgerliche Wähler kämpfen."

Auch die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, sieht kaum Gemeinsamkeiten zwischen Union und Grünen. Sie sagte der Zeitung: "Die Grünen sind nicht schwarz, sondern eine werteorientierte Partei. Wir wollen erhalten, was uns erhält. Und wir wissen, dass uns das nur gelingen kann, wenn wir eine Menge ändern. Das haben die Konservativen in der Union vergessen." Kuhn selbst sieht gar die Grünen als neue Partei des Bürgertums: "Die Grünen sind mit ihren Themen, zum Beispiel Ökologie, breit in das Bürgertum eingedrungen."

Neue Politik in den Großstädten

Laschet forderte von seiner Partei eine bürgernahe Politik in den Großstädten. Dazu brauche man auch mehr "Kümmerer" vor Ort, sagte der CDU-Politiker der Zeitung Die Welt: "Klar ist: Die CDU ist auf Dauer nicht regierungsfähig, wenn sie nicht auch in den großen Städten stärkste politische Kraft ist - darum müssen wir kämpfen."

Auch Sebastian Turner, der bei der Stuttgarter OB-Wahl unterlegene Kandidat der CDU, fordert von seiner Partei mehr Anstrengungen für die Menschen in Städten. Der Welt sagte Turner: "Die Themen, die für Städter von Bedeutung sind, müssen vorne ins Schaufenster. Sie können in Stuttgart am Wahlstand noch so oft 'Kita' sagen, wenn die Wähler in der 'Tagesschau' immer nur 'Betreuungsgeld' hören." Zu seiner Niederlage sagte der parteilose Turner, Wahlsieger Fritz Kuhn habe einen höheren Bekanntheitsgrad gehabt. "Ich hatte in weniger als einem Jahr 30 Jahre Werkeln-an-der-Bekanntheit aufzuholen". so Turmer. Er fügte hinzu, im Süden stimmten viele "Grundkoordinaten des Parteiensystems" nicht: "Die Arbeiter wählen eher CDU, die Bildungsbürger eher grün."

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, die sich derzeit als Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl bewirbt, sieht nach dem Erfolg der Grünen ihre Partei als politischen Repräsentanten des Bürgertums. "Wir sprechen in der ganzen Republik ein aufgeklärtes Bürgertum an, dem Bürgerrechte wichtig sind, das mitreden und mitbestimmen möchte und dem auch soziale Fragen und die Chancen der nächsten Generation und die Ökologie wichtig sind", sagte Göring-Eckardt der Rheinischen Post. "Uns wählen inzwischen auch enttäuschte CDU-Wähler, die glaubwürdige und werteorientierte Politik wünschen."

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