Reaktion auf Gewalt:USA rufen ihre Bürger zum Verlassen Ägyptens auf

A general view of the Rabaa Adawiya mosque complex after the clearing of a protest camp around the mosque, in Cairo

Rabaa-al-Adawija-Moschee in Kairo nach der gewaltsamen Räumung der Protestcamps.

(Foto: REUTERS)

Hunderte Tote, in Brand gesetzte Kirchen und verhärtete Fronten zwischen Militär und Anhängern des gestürzten Präsidenten Mursi: Wegen der Gewalt in Ägypten beruft der UN-Sicherheitsrat eine Dringlichkeitssitzung ein - die USA halten ihre Bürger an, das Land zu verlassen.

Nach den blutigen Unruhen in Ägypten haben die USA ihre Bürger zum Verlassen des Landes aufgerufen. Alle dort lebenden Amerikaner seien angehalten, aus dem nordafrikanischen Staat auszureisen, teilte das Außenministerium in Washington am Donnerstag mit. Grund seien die politischen und sozialen Unruhen in dem Land. Die US-Botschaft bleibe aber vorerst geöffnet.

Zuvor hatten die USA eine traditionelle gemeinsame Trainingseinheit beider Streitkräfte abgesagt. Angesichts der Geschehnisse könnten die Vereinigten Staaten ihre Beziehung mit dem Land derzeit nicht wie gewohnt weiterführen, sagte US-Präsident Barack Obama am Donnerstag von seinem Ferienort im US-Staat Massachusetts aus. Ägypten befinde sich "auf einem gefährlichen Weg".

Er habe seinen Nationalen Sicherheitsrat aufgefordert, zu ermitteln, ob weitere Konsequenzen notwendig seien. Ob dazu auch ein Einfrieren der milliardenschweren Militärhilfe gehört, sprach Obama nicht an. Die USA wollten weiterhin ein enger Partner Ägyptens bleiben, sagte er. Das Trainingsmanöver "Bright Star" mit Zehntausenden amerikanischen und ägyptischen Soldaten sowie Streitkräften anderer Länder findet normalerweise alle zwei Jahre statt.

Offenbar wird der UN-Sicherheitsrat noch am Donnerstag zu einer Dringlichkeitssitzung in New York zusammentreten. Das verlautete aus Diplomatenkreisen. Frankreich, Großbritannien und Australien hatten eine solche Sondersitzung der 15 Mitgliedstaaten beantragt. Einem Diplomaten zufolge ist eine öffentliche Erklärung des Sicherheitsrats aber unwahrscheinlich, berichtet die Nachrichtenagentur AFP.

Anhaltende Gewalt

Islamisten und ägyptische Sicherheitskräfte bekämpfen sich zunehmend auch abseits der Hauptstadt Kairo. Anhänger des entmachteten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi griffen am Donnerstag eine Polizeistation in der südlichen Stadt Assiut mit Mörsergranaten an. Das berichtete ein Beamter der Sicherheitsdirektion von Assiut. Seinen Angaben zufolge wurden mehrere Polizisten verletzt. Nach dem Beschuss entbrannte ein Feuergefecht zwischen der Polizei und den Islamisten.

Im Kairoer Stadtteil Giza stürmten mehrere Hundert Islamisten das Gebäude der Provinzverwaltung. Das berichtetend das staatliche Fernsehen und Augenzeugen. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen brach ein Feuer aus. Die ägyptischen Justizbehörden haben nach dem jüngsten Gewaltausbruch die Haft des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi um 30 Tage verlängert. Das berichtet Reuters unter Berufung auf die staatliche Nachrichtenagentur Mena.

Schon in der Nacht hatten bewaffnete Islamisten mehrere Polizeistellen in der nordägyptischen Provinz Beni Sueif angegriffen. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen starben drei Menschen, als die Angreifer versuchten, das Polizeirevier im Bezirk Ihnasija in Mittelägypten zu stürmen. Das ägyptische Fernsehen berichtete zudem, dass zwei Polizisten vor einer Polizeiwache in Al-Arisch auf dem Sinai getötet wurden.

Angriff auf christliche Minderheit

Das ägyptische Nachrichtenportal youm7 berichtete, die Sicherheitskräfte befürchteten an diesem Freitag "eine neue Welle der Gewalt". Die Islamisten wollen ihre Proteste gegen die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi nach den Freitagsgebeten fortsetzen. Nach der gewaltsamen Räumung von zwei großen Protestlagern der Mursi-Anhänger in Kairo war es zu blutigen Unruhen gekommen. Dabei starben nach offiziellen Angaben weit mehr als 400 Menschen. Fast 3000 wurden demnach verletzt.

Auch die christliche Minderheit ist Berichten zufolge Ziel von Angriffen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, in Abanub in der mittelägyptischen Provinz Assiut sei eine koptische Kirche niedergebrannt worden. Der Feuerwehr sei es nicht gelungen, das Gotteshaus zu retten. In Malawi in der Provinz Al-Minia in Mittelägypten wurden nach Angaben von Aktivisten in der Nacht Geschäfte von Christen zerstört und das Auto eines Priesters angezündet. Nach Angaben der Zeitung Watani attackierten Islamisten 35 Kirchen und andere Einrichtungen der Kopten. Der Sprecher der katholischen Kirche in Ägypten, Rafic Greiche, berichtete von Übergriffen gegen 17 Gotteshäuser seiner Kirche.

Kritik aus dem Westen

Die USA und die Europäische Union verurteilten die Gewalt scharf. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) berief wegen des Blutvergießens den Krisenstab des Auswärtigen Amts ein. Zudem beorderte er den ägyptischen Botschafter ins Auswärtige Amt in Berlin. Damit wolle er der ägyptischen Regierung noch einmal sehr deutlich machen, dass das Blutvergießen ein Ende haben müsse, sagte Westerwelle während seines Besuchs in Tunesien. In Frankreich hatte Präsident François Hollande persönlich den ägyptischen Botschafter wegen der Gewalt in Ägypten zu sich bestellt.

Westerwelle appellierte erneut an alle Deutschen in Ägypten, die Hinweise des Auswärtigen Amts im Internet zu beachten. "Es wird nachdrücklich empfohlen, wegen dieser Großdemonstrationen besondere Vorsicht walten zu lassen", hieß es. Die Umgebung der Demonstrationen solle weiträumig gemieden werden, in Kairo seien dies besonders das Zentrum, das Gebiet um die Kairo-Universität, Heliopolis und Nasr City. Nachmittags und abends sei von Fahrten in den größeren Städten abzuraten. Menschenansammlungen und Demonstrationen seien unbedingt weiträumig zu meiden. Generell rät das Auswärtige Amt von Reisen nach Ägypten dringend ab.

In der Nacht zum Donnerstag war im beliebten Badeort Hurghada ein Mann ums Leben gekommen. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen starb ein Anhänger der Muslimbruderschaft bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Bislang waren die ägyptischen Ferienorte an der Küste des Roten Meeres von den Unruhen verschon geblieben.

Deutsche Firmen verunsichert

Angesichts der Auseinandersetzungen stoppt der weltweit zweitgrößte Haushaltsgeräte-Hersteller Electrolux seine Produktion in dem Krisen-Land. "Wir beobachten die Sicherheitslage und werden dann entscheiden, ob die Leute wieder arbeiten gehen sollen", sagte ein Konzernsprecher in Stockholm. Am Samstag werde überprüft, ob die Produktion wieder aufgenommen werden könne. Die AEG-Mutter beschäftigt rund 7000 Mitarbeiter in Ägypten.

Die deutsche Wirtschaft will sich trotz der Unruhen in Ägypten nach Erkenntnissen des DIHK nicht aus dem nordafrikanischen Land zurückziehen. Es gebe bisher keine entsprechenden Signale. "Die Unternehmen, die da sind, werfen nicht das Handtuch", sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Dies habe sich schon bei früheren Unruhen gezeigt. Diese richteten sich nicht gegen Ausländer. Der DIHK befürchtet jedoch weitere Rückschläge für die ägyptische Wirtschaft und eine stärkere Abhängigkeit des Landes von ausländischen Geldgebern.

Erdogan ruft Weltsicherheitsrat an

Die Türkei forderte nach den Ereignissen von Mittwoch eine rasche Sitzung des UN-Sicherheitsrats. In Kairo habe sich "ein schlimmes Massaker am ägyptischen Volk, das friedlich protestiert hat", ereignet, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Zugleich kritisierte er das "Schweigen" der internationalen Gemeinschaft. Erdogan entstammt wie der am 3. Juli entmachtete Mursi dem islamistischen politischen Lager; in Mursis Amtszeit hatten sich die Beziehungen zwischen Kairo und Ankara intensiviert.

Die Vereinigten Arabischen Emirate und der Golfstaat Bahrain drückten dagegen der ägyptischen Armee ihre Unterstützung aus. "Extremistische politische Gruppierungen" seien in dem Land zuvor regelmäßig bestrebt gewesen, "zu Gewalt aufzurufen", hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung beider Außenministerien.

Dänemark teilte mit, seine Entwicklungshilfe für Ägypten vorerst eingestellt zu haben. Die Sperrung von umgerechnet etwa vier Millionen Euro für zwei Projekte sei "eine Antwort auf die blutigen Ereignisse", sagte Enwicklungsminister Christian Friis Bach der Tageszeitung Berlingske.

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