Reaktion auf Fremdenfeindlichkeit:Allianz für Flüchtlinge

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Brand in zukünftiger Asylbewerberunterkunft

Heribert Prantl fordert einen Zusammenschluss für Flüchtlinge, gegen die wachsende ausländerfeindliche Szene.

(Foto: dpa)

In Deutschland gibt es eine immer giftigere flüchtlingsfeindliche Szene. Helfen kann dagegen nur ein neuer Zusammenschluss von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gegen Ausländerfeinde. Und ein gemeinsamer Plan.

Kommentar von Heribert Prantl

Man könnte diesen Platz damit füllen, dass man die Namen der Flüchtlinge aufzählt, die jüngst im Mittelmeer ertrunken oder im Lastwagen erstickt sind. Man könnte den Platz auch damit füllen, dass man die Namen der Orte nennt, an denen es im Jahr 2015 Angriffe und Anschläge auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte in Deutschland gab; es sind fast dreihundert. Und wollte man die Hetzereien dokumentieren, die solche Angriffe vorbereiten, man müsste eine ganze Zeitung füllen.

Da ist das Elend in den Fluchtländern; da sind die Katastrophen auf den Fluchtwegen; da sind die Gesellschaften in Europa, hin- und hergerissen zwischen Hilfsbereitschaft, Hilflosigkeit, Abwehr und Hetze. In Deutschland gibt es eine immer giftigere flüchtlingsfeindliche Szene, zu deren Kommunikationsmitteln Unverschämtheiten, Morddrohungen und Brandsätze gehören. Die Drohungen richten sich gegen Flüchtlinge ("Wir fackeln euch ab"), neuerdings auch gegen Politiker, die für den Schutz der Flüchtlinge eintreten.

Damals wie heute - der Krieg des Mobs gegen Flüchtlinge

2015 = 1992 + Internet? Die Situation von heute gemahnt an die vor 23 Jahren, an Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen, als sich die Nachrichten anhörten wie ein Bericht vom Krieg des Mobs gegen Flüchtlinge. Damals wurden in Hoyerswerda die Asylbewerber unter Gejohle aus der Stadt gekarrt. Der Terror gegen Ausländer müsse sein, sagte ein Bewohner dem TV-Reporter, "bis wir frei sind von dem Viehzeug".

Die Gewalt begann mit Worten und endete mit dem Pogrom von Rostock, mit Mordbrennereien - und der Abschaffung des alten Asylgrundrechts. Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland lag damals bei einem Viertel der Zahl, die für 2015 erwartet wird.

Altes Asylgrundrecht abgeschaltet - ein untauglicher Versuch

Damals hat die Politik dem Druck der Straße, den sie selbst miterzeugt hatte, nachgegeben: Das alte Asylgrundrecht wurde abgeschaltet; man meinte, man könne so auch das Flüchtlingsproblem ausschalten. Es war der untaugliche Versuch einer paragrafengestützten Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Politik. Deren Untauglichkeit zeigt sich heute im Mittelmeer und in Lastwagen.

Als 1980 erstmals mehr als hunderttausend Flüchtlinge in die Bundesrepublik kamen, sprach man in der Politik von einer "Asylantenschwemme" und gab die Schuld daran dem alten Asylgrundrecht. Man tat so, als sei es ein gefundenes Fressen für die "Asylschwindler". Die abwertenden Signalwörter von damals sind heute durch andere ersetzt worden; von "Asylanten" spricht heute keiner mehr; die Abwehrpolitik hat neue Chiffren. Ein Wahlerfolg der rechtsradikalen Republikaner 1989 war damals der Startschuss für einen jahrelangen demagogischen Dauerwahlkampf.

Die überfallenen Flüchtlinge wurden nicht als Opfer, sondern als Störer betrachtet; die Offensive gegen das Asylrecht wurde als Offensive gegen ausländerfeindliche Gewalt ausgegeben. Das ist lange her, muss aber Lehre sein. Damals meinte man, man könne mit einem zerknüllten Grundrechtsartikel den Rechtsextremen den Mund stopfen. Es war der wohl folgenschwerste Irrtum in der politischen Geschichte der Bundesrepublik.

Die Anfänge des NSU

Damals begannen braune Kameradschaften, sich zu radikalisieren. Eine davon ist der NSU, die Bande, die zehn Menschen ermordet hat. Es ist bitter, dass der alltägliche, gewaltbereite Rassismus seit der Aufdeckung dieser Morde kein großes Thema geworden ist. Bürger, die sich Neonazis entgegenstellen, erhalten nach wie vor wenig Hilfe.

Wenn Neonazis couragierten Leuten zur Einschüchterung das Auto demolieren, wird das von der Polizei wie normale Sachbeschädigung behandelt. Es gibt keine Leitlinie, gegen braune Gewalt energisch vorzugehen. Man tut so, als seien die NSU-Morde das eine, und die alltäglichen Gewalttätigkeiten etwas ganz anderes. Wer die Ausschreitungen verfolgt, hat den Eindruck, die Rechtsradikalen versuchen auszutesten, wie weit sie gehen können. Sie können viel zu weit gehen, weil der Staat zu wenig entschlossen reagiert.

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