Reaktion auf den Terror:Der Rede vom "Krieg" folgt der Ausnahmezustand

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Ein französischer Soldat steht Wache vor der Basilika Sacré-Cœur in Paris. (Foto: AFP)

Wenn Frankreichs Präsident vom "Krieg gegen den Terrorismus" spricht, hat das völkerrechtlich nichts zu bedeuten. Brisant ist die Einschränkung der Grundrechte, die daraus folgt.

Von Andreas Zielcke

Wer jetzt den "Krieg" des IS gegen Frankreich im Munde führt oder auch den "Krieg gegen den Terrorismus", knüpft gewollt oder ungewollt an die schlimmsten Menschheitserfahrungen an: "Wie die Feuerflamme", so brüstet sich ein Soldat in Schillers Wallenstein, "bei dunkler Nacht in die Häuser fährt, wenn niemand wacht: da hilft keine Gegenwehr, keine Flucht, keine Ordnung gilt mehr - der Krieg kennt kein Erbarmen."

Es ist diese vernichtende, vor keinem menschlichen Leid halt machende Gnadenlosigkeit, die der Begriff des "Krieges" heraufbeschwört. Kein Angreifer steht zurzeit so abschreckend dafür wie der IS. Ist umgekehrt der Angegriffene seinerseits willens, zu seiner Verteidigung den "Krieg" gegen den Feind aufzunehmen, darf er zwar nicht (jedenfalls als Rechtsstaat) mit den barbarischen Methoden des Angreifers antworten. Doch auch er bekundet damit seine finstere Entschlossenheit, aus der zivilen Normalität herauszutreten und mit aller Macht zurückzuschlagen. Das staatliche Gewaltmonopol bekommt eine unfriedliche, martialische Dimension.

Der Rhetorik vom Krieg entspricht keine rechtliche Sprache mehr

Natürlich fangen bei der Frage, was das im Einzelnen heißt, die moralischen und rechtlichen Probleme erst an, von den politischen gar nicht zu reden. Was die wenigsten in dem geschockten und nach angemessenen Worten ringenden Zustand realisieren, ist die Tatsache, dass der in diesen Tagen so dezidiert in die Mikrofone gesprochenen Rhetorik vom "Krieg" heute so gut wie keine rechtliche Sprache mehr entspricht. Weder das Völkerrecht noch das innerstaatliche Recht westlicher Demokratien bauen selbst für die mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikte noch auf diesen Begriff auf.

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Das ist kein Zufall, so sehr auch Kriege das 20. Jahrhundert geprägt haben und bisher das 21. erschüttern. Denn das Recht folgt hier der grundlegenden Veränderung, die Kriege und Kriegsführung in dieser Zeit erfahren haben. Im klassischen Verständnis seit dem Westfälischen Frieden konnten Staaten nach freien Stücken zwischen Krieg und Frieden entscheiden - sie besaßen also das souveräne "Recht zum Krieg". Und sowohl die Einleitung eines Krieges als auch sein Ende waren formal geregelt: Kriegserklärung am Anfang, Friedensvertrag am Ende. Krieg war eine diplomatisch gefasste Angelegenheit.

Nichts könnte uns heute ferner liegen. Spätestens seit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 ist der Angriffskrieg völkerrechtlich geächtet, erlaubt ist kriegerische Gewalt nur noch als Verteidigung, als Notwehr gegen militärische Angriffe. Die UN-Charta ist hier unmissverständlich, zugleich aber zollt sie der neuen Realität Tribut. Sie spricht nicht mehr vom "Krieg", sie spricht nur noch von "bewaffneten Konflikten".

In der Tat beginnen militärische Aggressionen heute meist ohne Kriegserklärung, enden oft nur in nebulöser Einstweiligkeit, um womöglich wieder aufzuflammen, gehen auch von nichtstaatlichen Akteuren aus oder werden innerstaatlich ausgelöst und lassen den Unterschied zwischen Bürgerkrieg und Krieg verschwimmen. Der Schutz der Staaten, der Schutz der Bevölkerung, das kollektive Selbstverteidigungsrecht kann nicht mehr davon abhängen, ob militärische Gewalttätigkeiten noch dem traditionellen Bild eines "Krieges" entsprechen oder nicht.

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Dennoch lässt sich leicht ausmalen, wie wenig aufrüttelnd es viele empfunden hätten, hätte François Hollande seinen pathoserfüllten Appell an die Nation unter das neutrale Motto eines "bewaffneten Konflikts" gestellt. Das ändert aber nichts daran, dass die mit dem Assoziationshintergrund des "Krieges" zündelnde Maximalrhetorik mit guten politischen Gründen, vor allem aber mit guten rechtlichen Gründen obsolet ist.

Völkerrechtlich und auch im Völkerstrafrecht taucht der Begriff "Krieg" nur noch auf, wo es um Verbote geht: das strafrechtliche Verbot des "Angriffskrieges", die Ahndung von "Kriegsverbrechen", die Genfer Konventionen über untersagte Angriffsmethoden oder den Schutz von "Kriegsgefangenen" und der Zivilbevölkerung. "Krieg" führt heute nur noch der, der es nicht darf. Vollends konsequent sind die UN und das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, wo statt "Angriffskrieg" nur noch von verbotener "Aggression" die Rede ist. Auch die Nato unterstellt, soll sie militärisch aktiv werden, keinen "Krieg" mehr, sondern den "Bündnis-" oder "Verteidigungsfall".

Erst recht hat der Begriff des Kriegs im innerstaatlichen Recht nichts mehr zu suchen. Churchill formte seinerzeit noch ein "Kriegskabinett", und selbst George W. Bush installierte ebenfalls noch ein solches "Kriegskabinett" im September 2001. Spätestens bei ihm war dies bereits ein Anachronismus. Aus Kriegsministerien sind (im Westen) längst Verteidigungsministerien geworden.

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Westliche Staaten sind nicht vor Grundrechtsverletzungen gefeit

Der innerstaatlich prekärste Punkt aber betrifft das, was früher die Verhängung des Kriegsrechts im Inland hieß. Polen verhängte, um der Opposition Herr zu werden, 1981 das "Kriegsrecht" über das eigene Land, und sogar noch 2014 tat es ihm die thailändische Armee gleich, die das Land dem "Kriegsrecht" unterstellte. Den Krieg zu ächten, aber die eigene Bevölkerung dem Kriegsrecht zu unterwerfen, gehört zu den Perversitäten der jüngeren Geschichte.

Die zivile Form dieser Verschärfung des Gewaltrechts im eigenen Land ist der nationale Ausnahme- oder Notstand. Weder in Frankreich noch in Deutschland ist dafür ein "Krieg" Voraussetzung, gegen welchen Feind auch immer. In Deutschland kann die "Notstandsverfassung", die wir seit 1968 haben, in Anspruch genommen werden im "Verteidigungsfall", im "Spannungsfall", bei inneren Notständen wie Naturkatastrophen oder Großunglücken.

Zwar abgekoppelt vom Krieg, geht dennoch in allen westlichen Ländern mit dem Ausrufen des Ausnahmezustands oder Notstands eine massive Einschränkung von Grundrechten einher. In Frankreich ist dies seit vergangenem Samstag der Fall. Rechtlich liegt hierin die eigentliche und hochbrisante Implikation der Rede vom "Krieg gegen den Terrorismus".

Selbstverständlich spiegeln Rechtsstaaten damit nicht im Entferntesten den vom IS und von sonstigen terroristischen Vereinigungen praktizierten pathologischen Ausnahmewahn wider, der diese "heiligen Krieger" kraft angeblicher göttlicher Sonderrechte von allen Menschenrechtsprinzipien dispensiert.

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Wie wenig aber auch westliche Staaten davor gefeit sind, im Ausnahmezustand schwere Grundrechtsverletzungen zuzulassen, zeigen die Beispiele von Guantánamo, Folter und Überwachung bis hin zu den aktuellen Vorschlägen von Spitzenpolitikern in Frankreich, Internierungslager für Tausende von Verdächtigen einzurichten. Häufig genug kennt der "Krieg", ist er erst einmal in den Köpfen, kein Erbarmen mit den Grundrechten.

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