Razzia gegen Rechtsextreme:Nazi-Hipster in der Krise

Identitäre Bewegung protestiert vor Justizministerium

Auch in Deutschland sind Anhänger der Identitären Bewegung aktiv (im Bild vor dem Justizministerium in Berlin). Aber vor allem im ländlichen Raum.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Die Identitären befinden sich in Österreich schon länger in einer schwierigen Lage. Die aktuellen Ermittlungen und Hausdurchsuchungen lenken wieder Aufmerksamkeit auf die Bewegung, der die FPÖ zuletzt das Scheinwerferlicht stahl.

Von Antonie Rietzschel

Es begann mit der Besetzung der Votivkirche in Wien. Im Februar 2013 drangen Rechtsextreme in das Gotteshaus ein, in dem abgelehnte Asylbewerber Schutz gesucht hatten. Sie erklärten, so lange ausharren zu wollen bis die Flüchtlinge abziehen. Die blieben, den neun Besetzern sollen sie sogar Tee und Decken angeboten haben. Die kapitulierten schließlich vor der Kälte - und zogen ab. Auch wenn diese Aktion ziemlich in die Hose ging, trat mit der "Identitären Bewegung" eine neue rechtsextreme Gruppe ins Licht der Öffentlichkeit in Österreich.

Auf die Besetzung der Votivkirche folgten zahlreiche aufsehenerregende Aktionen, die die Medien ausführlich begleiteten. Etwa als Identitäre im April 2016 das Theaterstück "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek" in der Wiener Universität störten. Auch in Deutschland machten sie Schlagzeilen, als sie im gleichen Jahr auf das Brandenburger Tor kletterten. Jetzt drohen der Gruppe strafrechtliche Konsequenzen: Die Staatsanwaltschaft in Graz ermittelt wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung und wegen Verhetzung.

Die Ermittlungen bringen der Gruppe Aufmerksamkeit

Ein klares Signal, möchte man meinen. Und das in einem Land, in dem mit Heinz-Christian Strache ein Mann mit rechtsextremer Vergangenheit Vizekanzler ist. Diesen Optimismus teilt die österreichische Rechtsextremismus-Expertin Judith Goetz angesichts der Ermittlungen nicht. "Dahinter könnte die Motivation stecken, den politischen Konkurrenten der FPÖ aus dem Weg zu räumen", sagt sie. "Oder die Ermittlungsbehörden wollen signalisieren, dass sie ihrer Pflicht zumindest nachkommen - mehr aber auch nicht." So oder so, davon ist Goetz überzeugt, stünden die Ermittlungen erst am Anfang. Und sie nützen den Identitären derzeit mehr, als, dass sie ihnen schaden: "Sie bekommen damit wieder Aufmerksamkeit."

Die hatten sie zuletzt nämlich kaum noch, was auch an der politischen Lage liegt. Die Regierungsbeteiligung von Straches FPÖ macht eine rechtsextreme außerparlamentarische Opposition, als die sich die Identitären verstehen, überflüssig. "Die Projekte der Identitären floppen derzeit", sagt Goetz. Sie ist Mitautorin des jüngst erschienen Buches "Untergangster des Abendlandes: Ideologie und Rezeptionen der rechtsextremen 'Identitären'".

Die Identitären haben in Wien, Oberösterreich und der Steiermark feste Zentren geschaffen. Darüber hinaus gelingt es der ohnehin kleinen Gruppen von ungefähr 20 festen Aktivisten und 200 Sympathisanten kaum, neue Anhänger zu gewinnen. Auch wenn sie besonders in strukturschwachen Regionen Österreichs regelmäßig Stammtische organisieren und sich stets ansprechbar zeigen: Zur Strategie der Identitären gehört, dass sie nicht wie klassische Neonazis auftreten. Sie zeigen sich gerne als hippe junge Menschen, die im Prenzlauer Berg nicht weiter auffallen würden.

Ihren Rassismus verstecken sie hinter dem Konzept des Ethnopluralismus. Sie sprechen nicht von Rassen oder Ethnien, sondern von unterschiedlichen Kulturen, die schlicht nicht zueinander gehören. Diese Theorie der "Neuen Rechten" ist eigentlich recht alt. Zu den Vordenkern gehört der NS-Jurist Carl Schmitt. Auch das Grundsatzprogramm der NPD enthält Elemente des Ethnopluralismus. Für den Normalbürger sei es recht schwierig, da durchzublicken, sagt Goetz.

Annäherung an Neonazi-Szene?

Ihre Uneindeutigkeit könnte nun zum Problem für die Identitären werden. Aus Sicht von Experten wie Goetz gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder radikalisieren sich die Identitären weiter - oder versinken endgültig in der Bedeutungslosigkeit.

In Deutschland ist der Einfluss der Identitären Bewegung geringer, sie spielt nur in bestimmten Regionen eine Rolle. Dabei gibt sie sich nicht immer klar zu erkennen. Bestes Beispiel: Sachsen-Anhalt. In Halle hat die Identitäre Bewegung in direkter Nähe zur Universität ein Hausprojekt initiiert, mit dem Titel "Kontrakultur" (Reportage der Zeit). Hier sitzt auch Ein Prozent, ein Verein, der anders als die Identitäre Bewegung nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wird, obwohl es Überschneidungen gibt (Recherche der Tageszeitung).

Ein Prozent mischt überall dort mit, wo der Unmut der Bürger aufgrund der Flüchtlingskrise geweckt ist. In Cottbus unterstützt der Verein die Gruppe "Zukunft Heimat" mit schicken Flyern und professionellen Videobeiträgen über die regelmäßig stattfindenden Demonstrationen. In Cottbus wohnt auch Robert Timm, Regionalleiter der Identitären Bewegung.

Im Hausprojekt der Identitären befindet sich auch das Bürgerbüro des AfD-Politikers Thomas Tillschneider. Es ist nicht die einzige Verbindung zu der rechtsradikalen Partei. AfD-Politiker waren in der Vergangenheit wiederholt bei Aktionen oder Demonstrationen der Identitären vertreten. Im Herbst vergangenen Jahres nahm der Thüringer Abgeordnete Björn Höcke gemeinsam mit Martin Sellner an der Konferenz des rechten Magazins Compact teil. Ein Vernetzungstreffen der Neuen Rechten, bei dem auch Pegida-Chef Lutz Bachmann anzutreffen war. Bachmann hat Sellner in der Vergangenheit zu einer Pegida-Demonstration nach Dresden eingeladen.

In der klassischen rechtsextremen Szene hat es in der Vergangenheit immer wieder Streit gegeben über den Umgang mit den Identitären. Sollte man sich den Nazi-Hipstern öffnen - oder nicht? Zuweilen wurde dieser Konflikt sogar öffentlich ausgetragen. Mittlerweile scheint es eine vorsichtige Annährung zu geben. Im Magazin Arcadi, das den Identitären nahe steht, fand sich jüngst die Anzeige eines Neonazi-Labels. Das jüngst in Ostritz stattfindende "Schild und Schwert" Festival war zwar offiziell eine Veranstaltung der NPD. Das Motto lautete jedoch "Reconquista Europa" - der Slogan der Identitären. Zum Festival kamen auch Vertreter der Bewegung.

Die Rechtsextremen haben auch optisch von Sellner und seinen Gefolgsleuten gelernt. Mit einem schicken Layout bewirbt die NPD etwa die "Tage der nationalen Bewegung" im Juni. Das Festival richtet sich an alle "Nationalisten und Patrioten, die wollen, dass eine starke Gemeinschaft an die Stelle von Gruppenegoismen gestellt wird."

Ob die Identitären sich hierzulande tatsächlich der klassischen Neonazi-Szene anschließen, lässt sich schwer sagen. "In Deutschland ist dieser Prozess offen", sagt Rechtsextremismus-Expertin Goetz. Anders als in Österreich, wo es keine Zusammenarbeit zwischen FPÖ und Identitären gebe, sei das Verhältnis zur AfD noch nicht abschließend geklärt.

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