Süddeutsche Zeitung

Raus aus der Krise:So retten wir Deutschland

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Weg mit dem Föderalismus, her mit der Fusion von CDU und CSU - die Zeit drängt, deshalb kurz und knapp: Ein Zwölf-Punkte-Plan mit dem Nötigsten.

Christoph Schwennicke

Keiner ihrer Vorgänger hatte so viel Macht wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel. 140 Stimmen Mehrheit im Bundestag, und nur noch vier Bundesländer von 16 werden von der SPD regiert, darunter die Pleite-Stadtstaaten Bremen und Berlin sowie das recht menschenleere Mecklenburg-Vorpommern.

Der Rest der Länder ist in Händen der Union. Trotzdem ist Angela Merkel vom "Durchregieren" abgekommen und auf die "Politik der kleinen Schritte" verfallen. Warum eigentlich?

Weil politisch nichts mehr geht in Deutschland, egal ob mit großer Koalition, kleiner Koalition, mittlerer Koalition. Das Land ist unregierbar.

Die Strukturen verschleißen ihre Kanzler, heißen sie nun Schröder oder Merkel. Die Strukturen sind zäher als die Regierungschefs, die in ihnen operieren. Sie versuchen es ja. Schröder regierte sieben Jahre gegen seine Partei und den Bundesrat.

Merkel hat inzwischen, mit der großen Koalition in Mecklenburg-Vorpommern, eine verfassungsändernde Mehrheit im Bundesrat, fängt mit dieser theoretischen Machtfülle aber nicht mehr an als ihr Vorgänger. Alternativen? Die SPD hätte eine Ampel-Mehrheit im Bundestag, kann damit aber wegen ihrer Schwindsucht in den Ländern nichts anfangen. Macht und Gegenmacht sind in Deutschland immer exakt so austariert, dass das Land in einer Dauerblockade verharrt.

Was das heißt? Statt das Große und Ganze in Angriff zu nehmen "treiben wir uns gegenseitig in den Wahnsinn in manchen Punkten, auf dass wir die notwendige Menge Geld zusammenkratzen können. Wir haben fast keine Wahl. Wir haben keine, weil wir's verschissen haben. Nicht ein bisschen, sondern sehr. In Europa hat man so eine Blödheit noch in keinem anderen Land gemacht, wie wir sie begangen haben."

Sagt leider nicht Angela Merkel, sondern ihr ungarischer Kollege Ferenc Gyurcsány in seiner heldenhaften Rede vor seinen Parteifreunden. Danach war was los in Ungarn.

Und hier? Bevor die große Koalition nach dem verstrichenen ersten Jahr endgültig in eine Starre bis zur Wahl 2009 fällt, sollten mündige Menschen dieses Landes sich auf einen Zwölf-Punkte-Plan verständigen. Einen Zwölf-Punkte-Plan, der Ziele von angemessener Größe für eine große Koalition benennt:

1. Einführung des Mehrheitswahlrechts

Die Legislaturperiode wird von vier auf fünf Jahren verlängert. Landtagswahlen werden zu einer Art Mid-Term-Wahl zusammen- oder auf den Wahltermin der Bundestagswahl gelegt.

Natürlich ist der Verlust des gerechteren Verhältniswahlrechts eine ernste Angelegenheit. Doch übertreffen die Vorteile die Nachteile einer solchen Wahlrechtsänderung bei weitem.

Der Listenabgeordnete - jene überaus mediokre Gestalt, die lange genug in Hinterzimmern oder Sitzungen saß, das richtige Geschlecht oder das richtige indiskrete Wissen über Führungspersönlichkeiten der eigenen Partei besitzt -, jener Listenabgeordnete wäre mit einem Mal ausgestorben.

One man, one constituency, one vote, one seat. Ein großartiges Wettbewerbs-Prinzip, nach dem sich in München der SPD-Abgeordnete Axel Berg schon gegen Parteibonzen und Listengekungel durchsetzte.

Das Mehrheitswahlrecht bringt nach demokratisch vertretbaren Regeln (oder würde jemand daran zweifeln, dass es sich in Großbritannien um eine Demokratie handelt?) eine Kraft hervor, die sich mit den Kräften des Lobbyismus und Föderalismus (der eine Spielart des Lobbyismus ist - ein Landes-Lobbyismus - dazu später) erfolgreich messen kann.

Mit dem bisherigen Wahlrecht hält sich Deutschland wie zur Unterhaltung eine Art Zwergpinscher, der sich nach dem Prinzip Brot und Spiele in der Arena mit den Pitbulls anlegen soll.

Und oben sitzen alle auf der Tribüne, freuen sich am Spektakel, und bitten den nächsten Zwergpinscher in die Arena. Ganz lustig, aber für das Land strafwürdig schädlich.

2. Weg mit dem Föderalismus

Der Bundesrat muss durch eine Art Senat ersetzt werden. Föderalismus ist in Deutschland ein Euphemismus für puren Landes-Lobbyismus.

In seiner reinsten Form praktiziert diesen Landes-Lobbyismus Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber. Zugunsten Bayerns verordnet sich Stoiber selbst gerne mal partielle Amnesie, zum Beispiel, wenn er der Berliner Gesundheitsreform in einer langen Nacht der Verhandlungen zustimmt und sie in den folgenden Wochen dann derart zerfleddert, als wäre er in jener Nacht nicht dabei, sondern zum Beispiel tanzen gewesen.

Wahrscheinlich aber war Stoiber nur kurz austreten, als die Sozialdemokraten der Kanzlerin das Kuckucksei der Überforderungsklausel (!) unter den Bürzel schoben.

Der erste Versuch einer Föderalismusreform hat vorläufig ergeben, dass sich die Länder dabei mehr Macht gesichert haben, statt Macht abzugeben. Nach dieser lehrreichen Erfahrung bleibt nur eine radikale Methode: die völlige Finanzentflechtung.

Wer Steuern erhebt, muss direkt in Wahlen dafür gerade stehen. Also muss es reine Bundessteuern, reine Landessteuern und reine Kommunalsteuern geben.

Gegen die hochsinistre Risikostruktur-Länderfinanzausgleich- Solidaritätszuschlag-Bund-Länder-Prozent-Geldschieberei betreiben Hütchenspieler ein sauberes Gewerbe.

Ersetzt werden sollte der Bundesrat durch eine Art Senat wie in den USA, der immerhin gewährleistet, dass die Senatoren nicht mit den Gouverneuren respektive Ministerpräsidenten personalidentisch sind. Nein, das löst nicht alle Probleme. Es verringert sie aber.

3. Fusion von CDU und CSU

Nein? Geht nicht? Nun, wenn das so ist: Wieso werden die beiden dann nicht komplett eigenständige Parteien mit eigenständigen Fraktionen? Und vor allem: mit allen Konsequenzen.

Die Zwitterexistenz der CSU als Regionalpartei und bundespolitischer Mitspieler gibt ihr mehr Einfluss als ihr zusteht. Mal ist sie Schwester der CDU, mal Partnerin. Das geht nicht.

Das geht im richtigen Leben auch nicht so. Die CSU redet mit, wo sie nicht mitzureden hat. Nach den Wahlen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern saß Markus Söder mit Selbstverständlichkeit in der Generalsekretärsrunde der Parteien zur Begutachtung der Ergebnisse aus bundespolitischer Sicht.

Berlin und Meckpomm - man fragt sich: Was bitte geht das den Herrn Söder aus Bayern an? Steht die CSU in der ostdeutschen Tiefebene zur Wahl? Die Doppel-Strategie der CSU als bayerische Lobbyistenpartei einerseits und Deutschland-Retterin andererseits wird als Gewohnheitsrecht in Deutschland öffentlich-rechtlich hingenommen und nicht mehr hinterfragt.

In Edmund Stoiber kristallisiert sich strukturell das Kernproblem Deutschlands. Als CSU-Chef sitzt er mit bei den Koalitionsspitzen, als Ministerpräsident mischt er mit im Bundesrat.

Bei alldem ist er nichts weiter als Bayern-Lobbyist, der dort und sonst nirgends Rechenschaft ablegen muss. Keiner kann ihn außerhalb Bayerns wählen oder abwählen. Aber überall mischt er mit.

Gegen diese Bajuwarisierung der Bundespolitik geraten die Interessenverflechtungen von Reinhard Göhner und Norbert Röttgen als Verbands-Lobbyisten zu allenfalls skurrilen Lappalien.

Um die CSU zur Fusion zu zwingen, muss die CDU die große Koalition nutzen. Sie vereinbart mit der SPD in der laufenden Legislatur, dass Mehrheiten für Gesetze von CDU-Fraktion und SPD-Fraktion sichergestellt werden.

Die CSU-Fraktion wird so kaltgestellt, die Einwände von Edmund Stoiber bleiben dabei stets hochinteressant, sind aber fortan unerheblich. (Für diesen Kunstgriff müsste die SPD die Größe aufbringen, in dieser Legislatur nicht auf dem Kanzler zu bestehen, es würde sich aber auch für sie mittelfristig lohnen.)

4. Reduzierung der Bundesländer von 16 auf ein halbes Dutzend

Jenseits der naheliegenden Vorteile (weniger Bürokratie, größere Einheiten, weniger Finanzausgleich) begrenzt diese Maßnahme die Anzahl der Ministerpräsidenten und damit der notorischen Quertreiber.

Ministerpräsident zu sein ist in Deutschland (zum eigenen Wohle, nicht zum Wohle des Landes) das schönste Amt, das man sich vorstellen kann. Wenn man schlau ist, hält man sich einen kompetenten Chef der Staatskanzlei, der das Land regiert und das Kabinett organisiert.

Der Ministerpräsident (im Normalfall abgesichert in einer der beiden großen Volksparteien mindestens als stellvertretender Parteivorsitzender) bereist seine Ländereien, oder er gibt kritische Interviews zu Berliner Belangen, also oftmals zu Dingen, die ihn nichts angehen.

Der manische Pressesprecher eines solchen Ministerpräsidenten achtet darauf, dass der Ministerpräsident hart gegen den Berliner Wind segelt und möglichst viel aneckt, ohne zu überdrehen. So wird man in Deutschland normalerweise Kanzler und hat es hinterher wieder mit seinesgleichen zu tun.

5. Das Volk wählt den Bundespräsidenten

Er darf zwei Legislaturen zu je fünf Jahren amtieren. Die Direktwahl verhindert, dass der oberste Repräsentant des Staates im Wohnzimmer eines FDP-Chefs auf Stoppersocken ausgekungelt wird, um hinterher als Hofnarr, Beglaubiger und Grußaugust des Parteienstaates in einem Schloss weggesperrt zu werden, das er ab und zu für eine Rede verlassen darf. Wer vom Volk gewählt wird, dessen Wort hat Gewicht. So einfach ist das? Ja, so einfach ist das.

6. Ämter und Mandate werden auf zwei Legislaturen begrenzt, die Parlamente verkleinert

Praktikabel ist eine Zwei-plus-zwei-Regelung: Im Parlament zwei Legislaturen, falls es zur Regierung reicht: bis zu vier.

Wer nach den ersten zwei im Parlament nichts geworden ist, muss zurück ins richtige Leben. Dafür erhalten Abgeordnete Top-Gehälter, Minister auch, üppige Pensionen dagegen fallen komplett weg. Die Parlamente werden gleichzeitig geschrumpft, Faustregel: um die Hälfte.

Hat jemand einen vernünftigen Grund zur Hand, weshalb das US-Repräsentantenhaus 435 Abgeordnete aufweist, aber allein das Berliner Abgeordnetenhaus 141? Das ist nichts weiter als ein überdimensionierter Stadtrat, in diesem Fall auch noch für eine Stadt, der man wahrlich nicht unterstellen kann, dass ihre turmhohen Probleme von den Abgeordneten gelöst würden.

7. Vollständiger Umzug von Regierung und Parlament nach Berlin

Das "Bonn-Berlin-Gesetz", dieses unsinnige Kompromiss-Konstrukt, ist Sinnbild für Deutschlands Unentschlossenheit. Neun Jahre Pendel-Politik auf Steuerzahlerkosten zum Wohle der Fluggesellschaften Lufthansa, Deutsche BA sowie der Rollkofferbranche sind grotesk. Es reicht jetzt sehr. Tut uns leid, Bonn, aber so ist das Leben.

8. Abschaffung überflüssiger Bundes- und Landesbehörden

Begonnen wird mit dem Zoll, dem mit dem europäischen Binnenmarkt seine Aufgabe seit langem weggebrochen ist und dessen Beamte seither Illegale an der grünen Grenze jagen müssen. Krampfige Ersatzaufgaben rechtfertigen keine sinnentkernte Riesenbehörde.

9. Zusammenlegung von Ministerien

Wirtschaft, Finanzen und Arbeit bilden das eine Ministerium. Rente, Gesundheit, Pflege, Familie, Senioren und Gedöns sind das andere Ministerium. Heidemarie Wieczorek-Zeul darf sich selbst abwickeln und geht als letzte deutsche Entwicklungsministerin in die Geschichte ein. Ihr Amt geht in einem netten kleinen Referat des Außenministeriums auf.

10. Vollzug der Gewaltenteilung von Fernsehen und Forschung

Sogenannte Parteienforscher bekommen Auftrittsverbot im Fernsehen. Das verringert das überflüssige Gequatsche schon mal erheblich. Parteienforscher erzählen im Fernsehen für Geld, was sie vorher in der Zeitung gelesen haben.

11. Verbot der Demoskopie

Über die Demoskopie ist seit der Bundestagswahl 2005 alles gesagt. Außerdem blockiert sie stets die Regierungsarbeit, da nach jeder Reform naturgemäß die Umfragewerte sinken und sich die jeweilige politische Seite aus Angst vor Machtverlust benässt.´

Nach Abschaffung der Demoskopie muss auch niemand mehr den verlogensten unter den verlogenen Politikersätzen hören: "Wir wollen doch Wahlen gewinnen und keine Umfragen!"

12. Gesagt ist gesagt

Politiker, die zu vertraulichen Hintergrundgesprächen Journalisten einladen, spannende Sachen über Parteifreunde erzählen und damit nicht zitiert werden wollen (natürlich wollen sie zitiert werden, nur nicht namentlich), sorgen für eine bunte Nachrichtenlage am Wochenende und schaden Deutschland.

Journalistenflüsterer sollten laut und deutlich sprechen und sich auch nachher daran erinnern, wie sie heißen. Darüber hinaus werden Zeitungsinterviews nicht mehr zur Autorisierung eingereicht und der totalen Verstümmelung durch eifrige Pressesprecher preisgegeben: "Diese Frage haben Sie so bitte nicht gestellt, und der Herr Minister hat demnach so auch nicht drauf geantwortet, okay?"

So, und dann?

Dann kann es losgehen. Gesundheitsreform, Arbeitsmarktreform. Lustig wird das nicht, aber effektiv. Wie sagte einer unlängst?

"Die ersten paar Jahre werden furchtbar sein, sicher. Es ist völlig uninteressant, dass nur 20 Prozent der Bevölkerung für uns stimmen werden. Was wäre, wenn wir unsere Popularität nicht deswegen verlieren, weil wir Arschlöcher sind, sondern weil wir große gesellschaftliche Aufgaben vollbringen wollen? Es ist kein Problem, wenn wir dann für einige Zeit unsere Popularität in der Gesellschaft verlieren. Wir werden sie dann eben wieder zurückgewinnen. Weil sie es einmal verstehen werden."

Wie gesagt, dieser Ungar ist ein Held.

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Quelle:
SZ vom 7.10.2006
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