Ratlose Minister:"Kein leichter Tag heute"

Eurogroup Finance ministers meeting on Greece

Finanzminister Wolfgang Schäuble wird am Samstag von europäischen Kollegen umringt. Man kann sagen, es herrscht Fassungslosigkeit.

(Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verspricht, was er versprechen muss: Man werde alles tun, um die Ansteckungsgefahr zu bekämpfen.

Von Alexander Mühlauer

Am Ende, als nichts mehr hilft, geht es dann um eine Fußnote. Yanis Varoufakis will es jetzt genau wissen, denn so eine Fußnote ist keine Kleinigkeit, schon gar nicht, wenn das eigene Land darin vorkommt. Also bittet der griechische Finanzminister seine Kollegen, das Ganze rechtlich prüfen zu lassen. Doch selbst das hilft ihm nicht mehr, der juristische Dienst hält die Fußnote für rechtens, also steht sie da nun, diese hochgestellte "1", auf dem DIN-A4-Blatt: "Statement der Euro-Gruppe zu Griechenland¹". Darunter die Fußnote: "Unterstützt von allen Mitgliedern der Euro-Gruppe, außer dem griechischen Mitglied." Das ist es also, was von diesem Samstag in Brüssel bleibt: eine Fußnote des Scheiterns.

Es liegt dann an Jeroen Dijsselbloem, dem Chef der Euro-Gruppe, zu erklären, warum es nicht möglich war, sich mit Griechenland zu einigen. Gute zwei Stunden hatten die Finanzminister der Währungsunion getagt, um festzustellen: Das war's dann. Dijsselbloem, grauer Anzug, gegelte Locken, steht also an einem Rednerpult aus Stahl und Acrylglas, hinter ihm eine blaue Wand. "Eurogruppe" steht da in den Sprachen der Mitgliedsländer, auch auf Griechisch. Bevor Dijsselbloem aber etwas sagt, muss er erst einmal durchatmen.

Am Abend zuvor wurden er und seine Kollegen von einer Nachricht aus Athen überrascht. Und nicht nur sie. Die Unterhändler der griechischen Regierung saßen gerade mal wieder mit jenen der Geldgeber in Brüssel zusammen, als sie über Twitter die Meldung lasen: Alexis Tsipras, der griechische Premier, kündigte ein Referendum über das an, worüber sie gerade verhandelten - die Sparvorschläge der sogenannten Institutionen, die früher mal Troika genannt werden durften. Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister, schaute sich zu dieser Zeit das Frauenfußballländerspiel an - dann kam der Anruf der Kanzlerin.

Am Samstag treffen sich die Finanzminister in Brüssel. Schon bei ihrer Ankunft sagen sie, was ihnen nicht passt. Alexander Stubb aus Finnland sagt, das Hilfsprogramm für Athen könne nicht verlängert werden. Hans-Jörg Schelling aus Österreich sagt, die Griechen hätten den Verhandlungstisch verlassen. Der Einzige, der noch versöhnliche Worte findet, ist Pierre Moscovici, der EU-Währungskommissar. Er zitiert Angela Merkel: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg." Diesen Satz hatte die Bundeskanzlerin vor gut zwei Wochen bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident François Hollande und Alexis Tsipras in Brüssel gesagt. Schon damals hatte es keine Einigung gegeben.

Doch selbst wenn der Wille zur Lösung dieses quälenden Schuldenstreits noch da gewesen sein sollte, eines war spätestens seit Tsipras' Referendumsschwenk weg: das gegenseitige Vertrauen. Der griechische Premier hätte ja die Gelegenheit gehabt, beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag zu sagen, was er vorhat. Tsipras hätte es auch schon am Montag sagen können, da hatte Donald Tusk, der EU-Ratspräsident einen außerordentlichen Euro-Gipfel einberufen, den außer Tsipras eigentlich niemand wollte. Ja, Alexis Tsipras hätte Zeit gehabt, zu sagen, was er vorhat. Hat er aber nicht getan.

Und so steht Jeroen Dijsselbloem nach der Euro-Gruppen-Sitzung am Rednerpult vor der blauen Wand und sagt, dass man die Entscheidung der griechischen Regierung sehr bedauere. Es ist kühl im Pressesaal, die Klimaanlage surrt. Leider seien nun keine weiteren Verhandlungen möglich, das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit der Athener Akteure sei nicht mehr da. Und dann sagt er noch, dass die Euro-Gruppe nun alles tun werde, was nötig sei, um die Stabilität des Euro weiter zu gewährleisten. Damit ist klar: Vier Tage vor dem Auslaufen des griechischen Rettungspakets am 30. Juni gibt es keine Einigung.

Als Dijsselbloem das sagt, kann eine griechische Reporterin nicht anders - sie muss weinen. Ein belgischer Kollege nimmt sie in den Arm. "Ich falle gleich um", schluchzt sie.

Im Keller des Ratsgebäudes erklärt dann Yanis Varoufakis seine Sicht der Dinge. Er trägt ein schwarzes Hemd zum schwarzen Anzug. "Wie ein Totengräber sieht er aus", sagt die griechische Reporterin, schüttelt den Kopf und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Varoufakis wirkt sehr gefasst. Sein Lächeln, das er bei früheren Pressekonferenzen immer wieder einsetzte, ist an diesem Nachmittag aber nicht zu sehen. Er sagt: Die Entscheidung von diesem Samstag werde "sicherlich die Glaubwürdigkeit der Euro-Gruppe als demokratische Union beschädigen. Ich fürchte sehr stark, dass der Schaden dauerhaft sein wird". Danach verlässt er das Ratsgebäude und steigt in einen VW-Bus.

Man weiß nicht, was passieren wird, wenn die Geldautomaten in Griechenland leer sind

Die Euro-Finanzminister tagen weiter. Ohne Varoufakis. Es geht jetzt um das, was EU-Diplomaten "Plan B" nennen. Es geht um die Frage, was die Euro-Länder jetzt tun können, um eine Panik an den Weltfinanzmärkten zu verhindern. Es geht um die Frage, wie die EU Griechenlands Bürger vor einem Chaos schützen kann. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft der Europäischen Union.

Nach den Beratungen der Finanzminister, es ist 20.39 Uhr, sitzt Wolfgang Schäuble im deutschen Briefing-Raum. Die versammelten Reporter wollen jetzt wissen, wie es weitergeht. Sie wollen wissen, was die Euro-Länder tun werden, um eine humanitäre Krise in Griechenland zu verhindern. Schäuble sagt, dass "wir alles tun werden, um jede Ansteckungsgefahr für die Euro-Zone zu bekämpfen". So ähnlich hatte es zuvor schon Dijsselbloem formuliert: "Wir werden alles vorbereiten, was nötig ist, um die Euro-Zone stark zu halten."

Das muss reichen. Konkreter wird es nicht an diesem Abend. Vielleicht, weil man es gar nicht konkreter sagen kann. Weil man einfach nicht weiß, was passieren wird, wenn die Märkte am Montagmorgen öffnen. Weil man nicht weiß, was passieren wird, wenn die Geldautomaten in Griechenland kein Geld mehr ausgeben können, weil alles schon abgehoben worden ist.

Wenn es an diesem Abend eine politische Botschaft gibt, dann ist es diese: Wir, die Euro-Länder, haben alles getan. Schuld am Scheitern der Verhandlungen ist ganz allein die Regierung in Athen.

Ganz praktisch geht es nun mal wieder ums Geld. Es liegt nun vor allem an Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Er muss entscheiden, ob er den griechischen Banken weiter Nothilfen gewährt - was die EZB am Sonntag dann auch beschließt. Bereits am Dienstag muss Griechenland 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. "Wenn bis 18 Uhr local time in Washington nichts eingegangen ist, ist das nach den Statuten des IWF ein Default", sagt Schäuble.

Was bleibt also von diesem Samstag in Brüssel, außer dieser Fußnote auf dem DIN-A4-Blatt? Man kann es so formulieren wie Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister sagt: "Kein leichter Tag heute." Aber vielleicht ist das auch ziemlich untertrieben.

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