Rat der EU: "Wie wenn man den Schulhofschläger zum Schuldirektor wählt"

Rat der EU: Konfliktbegegnung in Brüssel (von rechts): Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, der ungarische Premier Viktor Orbán und Wolodimir Selenskij, Präsident der Ukraine.

Konfliktbegegnung in Brüssel (von rechts): Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, der ungarische Premier Viktor Orbán und Wolodimir Selenskij, Präsident der Ukraine.

(Foto: Virginia Mayo/AP)

Das von dem Rechtspopulisten Viktor Orbán regierte Ungarn bremst die Europäische Union mit Blockaden aus, soll aber im Juli 2024 den Ratsvorsitz übernehmen. EU-Parlamentarier wollen das verhindern.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Vielleicht ist es verständlich, dass Péter Szijjártó vorige Woche für ein paar Tage nach China geflogen ist. Der ungarische Außenminister ist dort, wo er normalerweise dienstlich zu tun hat - bei der Europäischen Union in Brüssel -, nicht wirklich beliebt. In Peking hingegen wurde er zur Abwechslung sehr herzlich empfangen. Wie bei echten Freunden.

Kein Wunder. Ungarn gehört zwar zur EU, zumindest offiziell. Wenn sich die europäischen Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfeltreffen zum "Familienfoto" aufstellen, ist auch Viktor Orbán aus Budapest dabei. Im politischen Alltagsgeschäft aber ist Ungarn in Europa zu einem Außenseiter geworden - einem Quertreiber, der alle stört und ärgert. Es gibt EU-Kommissare, die sprechen vom Rechtspopulisten Orbán und seiner Regierung inzwischen als "Regime". Und es gibt Diplomaten, die benutzen Wörter wie "Verrat" und "Erpressung", wenn sie über Ungarns Verhalten in der EU reden.

Die Frustration über Ungarn ist groß

Szijjártó bekam die schlechte Stimmung am Montag beim Treffen der europäischen Außenminister und -ministerinnen in Brüssel zu spüren. Seinen für Verteidigung zuständigen Kabinettskollegen Kristóf Szalay-Bobrovniczky traf es am Dienstag. Ungarn blockiert derzeit mehrere Beschlüsse, die von den EU-Ländern einstimmig gebilligt werden müssen, um der Ukraine weiter im Kampf gegen Russland helfen zu können. So liegt wegen Ungarns Bockigkeit eine halbe Milliarde Euro an EU-Militärhilfe für Kiew auf Eis, der europäische Geldtopf, aus dem die Millionen stammen, kann nicht wieder aufgefüllt werden, weil Budapest sich weigert. Auch das elfte Sanktionspaket der Union gegen Russland steckt unter anderem wegen ungarischer Einwände fest.

Das könne so nicht weitergehen, rügte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock daher Anfang der Woche ihren ungarischen Kollegen - immerhin hinter verschlossenen Türen. Tags drauf legte dann Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nach, dieses Mal öffentlich. Was Budapest veranstalte, sei "enttäuschend" und "kein feiner Zug", kritisierte er. Die Frustration muss schon sehr groß sein, wenn ein EU-Land ein anderes vor den Kameras und namentlich angeht.

Genau das ist der Fall bei Ungarn. Es ist in Brüssel nicht unüblich, dass einzelne Staaten ihre Interessen durchzusetzen versuchen und dazu auch ihr Vetorecht nutzen. Das gehört zum Geschäft - jedenfalls in vernünftigen Grenzen. Doch Orbán, so klagen Diplomaten, mache praktisch nichts anderes. Ungarn arbeite in Brüssel nach dem "Prinzip der Geiselnahme", um für sich Vorteile herauszuschlagen, zum Beispiel Ausnahmen bei den Russlandsanktionen, sagt ein Beobachter.

Die aktuelle Blockade begründet Budapest damit, das Kiew die ungarische Großbank OTP auf eine Liste von Firmen gesetzt hat, die angeblich Moskaus Angriffskrieg unterstützen. Die Bank, die von einem persönlichen Freund Orbáns geleitet wird, ist immer noch in Russland tätig. Dass sie auf der ukrainischen Liste steht, hat keine rechtlichen oder wirtschaftlichen Folgen. Auch der deutsche Metro-Konzern ist dort aufgeführt. Doch Ungarns Regierung fühlt sich offenbar beleidigt - und stoppt im Gegenzug in Brüssel praktisch alles, was mit Hilfe für die Ukraine zu tun hat.

Dieses rabiate Verhalten ist nicht neu. Orbán nimmt gern das Geld der EU. Gleichzeitig schimpft er auf die angebliche linke Tyrannenherrschaft Brüssels, er bezichtigt seine europäischen Kollegen, den Krieg in der Ukraine anzuheizen, demontiert daheim die Demokratie und den Rechtsstaat und lässt die Korruption blühen. Die EU-Kommission hat aus diesem Grund Zuschüsse an Ungarn in Milliardenhöhe eingefroren.

Hausverbot für ein destruktives Mitglied?

Europäische Diplomaten blicken deswegen mit einer gewissen Sorge ins kommende Jahr. Von Juli bis Dezember 2024 soll Ungarn turnusgemäß den EU-Ratsvorsitz übernehmen. Die Regierung in Budapest wird dann dafür verantwortlich sein, die politische Arbeit der Union zu koordinieren, voranzutreiben, in Streitfällen zu schlichten und Kompromisse zu suchen. In Brüssel weiß niemand wirklich, wie es möglich sein soll, dass ein Land, das sich vor allem als destruktive Blockademacht hervortut, plötzlich so eine konstruktive Rolle spielt.

Das EU-Parlament, das Ungarn vor einigen Monaten bereits bescheinigt hat, keine Demokratie mehr zu sein, sondern eine Autokratie mit Wahlen, will daher die Notbremse ziehen. In einer Resolution, die von allen großen Fraktionen mitgetragen wird und kommende Woche verabschiedet werden soll, fordert es die EU-Regierungen auf, "so schnell wie möglich eine angemessene Lösung" für das Problem der ungarischen Ratspräsidentschaft zu finden - sprich: Budapest den Vorsitz wieder wegzunehmen. In der Geschichte der EU ist das ein Novum: Das Parlament erklärt einen Mitgliedstaat für ungeeignet, die EU zu führen.

"Eine ungarische Ratspräsidentschaft wäre, wie wenn man den Schulhofschläger Orbán zum Schuldirektor wählt", sagt Moritz Körner, der für die FDP im EU-Parlament sitzt und an der Resolution mitgearbeitet hat. Sein Kollege Daniel Freund von den Grünen geht noch einen Schritt weiter. Sollte Orbán wirklich die EU-Ratspräsidentschaft bekommen, "muss das Europaparlament über ein Hausverbot nachdenken", sagt er. "Wir geben Autokraten in unserem Haus keine Bühne. Wir verhandeln mit Autokraten keine Gesetze. Diese Ratspräsidentschaft kann so nicht funktionieren."

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