Es wird nicht mehr oft von "Rassen" gesprochen, schon gar nicht im Zusammenhang mit Menschen. Als ob eine hässliche Angelegenheit erträglicher würde, wenn sie einen hübscheren Namen trüge, ist heute stattdessen meist von "Ethnien" die Rede, in denen sich die fünf Rassen, in die der Aufklärer Johann Friedrich Blumenbach die Bevölkerung der Welt geteilt hatte, in unüberschaubarer Vielheit verlieren sollen. Und sollte das unangenehme Wort dennoch einmal fallen, lautet die stets notwendige Ergänzung, man wisse doch, dass "Rasse" ein "soziales Konstrukt" sei.
Doch führt dieser Hinweis nirgendwo hin: Denn streng genommen ist jedes Wort ein "soziales Konstrukt": der "Tisch" etwa oder die "Maus" verwandelt Einzelnes in etwas Allgemeines, das ohne "Konstruktion" und Gesellschaft nicht zu haben ist. Wenn die Formel vom "sozialen Konstrukt" einen Sinn haben soll, käme alles darauf an zu wissen, um welche Art Konstrukt es sich handelt und wozu es benutzt wird. An diesem Punkt aber beginnen alle Schwierigkeiten, derer man sich durch jene Formel entledigt zu haben glaubte.
Schlegel hoffte auf die "Weisheit der Indier"
Unangenehm ist das Wort "Rasse" aus einem dreifachen Grund: Erstes geht seine Verwendung historisch einher mit der Unterwerfung, sogar Vernichtung ganzer Völkerschaften, und zweitens ist sie an die Entstehung und Entfaltung moderner Nationen gebunden.
Schwieriger wird es beim dritten Grund: Denn es kann ja keinen Zweifel daran geben, dass die Menschheit eine bunte Veranstaltung ist - dass es also deutliche biologische Unterschiede zwischen Menschen gibt, von denen die Hautfarbe nur die auffälligste ist.
Nun kann man zwar mit derselben Sicherheit, mit der jemand vom "sozialen Konstrukt" spricht, die Gewissheit in die Welt setzen, aller Rassismus beginne dort, wo biologische Unterschiede in gesellschaftliche Differenzen verwandelt werden - doch ist damit noch keineswegs geklärt, wo die einen enden und die anderen beginnen. Und die Aussichten, dass sich diese Grenze je bestimmen lasse, sind zumindest gering. Umso wichtiger wird daher die Frage, wie ein solches "Konstrukt" aufgebaut ist und wer welches Interesse an einer solchen Scheidung habe. Diese Frage muss notwendig politisch werden.
In so verworrener Lage von einem fachgeschichtlichen Werk eine Klärung zu erwarten, scheint auf den ersten Blick vermessen zu sein, zumal es sich bei dem Buch "Rassedenken in der Sprach- und Textreflexion" um eine Anthologie von Schriften aus dem 19. Jahrhundert handelt, die jeweils von einem Kommentar eines heutigen Philologen begleitet werden.
Dreizehn Sprachhistoriker werden behandelt, angefangen mit Friedrich Schlegel, der in seinem Traktat "Über die Sprache und Weisheit der Indier" (1808) hofft, man könne die Renaissance erneuern, indem man in Indien - gegen Frankreich und die verratene Revolution - das älteste und beste Europa wiederfinde.
Zur Begründung teilt er die Sprachen in flektierende und agglutinierende ("anfügende"), wobei die ersteren Ausdruck von "hoher Geistigkeit" seien, letztere aber "tierische Dumpfheit" beförderten - und während die flektierenden europäischen Sprachen auf Sanskrit zurückgingen, sei die "Dumpfheit" vor allem in Amerika zu finden.
"Schlegel zerreißt das Band der Menschheit" sagt dazu sein Kommentator, der Berliner Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant. "Hatte Europa bisher schon geglaubt, dass es sich durch die Entfaltung einer höheren Zivilisation von den anderen Völkern der Welt unterscheide, so wird diese Anmaßung Europas nun ins Biologische gewendet, naturalisiert und damit radikalisiert."
Der Leser wundert sich allerdings ein wenig darüber, dass niemandem - weder im 19. Jahrhundert noch in der Gegenwart - aufzufallen scheint, dass das Englische zwar die Sprache des größten aller Kolonialreiche ist, aber wenig flektiert.