Süddeutsche Zeitung

Rassismus in Griechenland:Dreihundert Stiche

Mit dreihundert Stichen mussten Ärzte das Gesicht eines jungen Afghanen zusammenflicken, nachdem er mit einer abgebrochenen Bierflasche angegriffen wurde. Bis heute hat Griechenland kein Antirassismus-Gesetz - obwohl es das laut EU haben müsste. Erst jetzt kommt die Politik in Gang.

Von Christiane Schlötzer

Das Opfer ist 14 Jahre alt. Sein Name ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, aber sein Gesicht. Mit 300 Stichen mussten die Schnitte in diesem Gesicht genäht werden, die drei Angreifer mit einer zerbrochenen Bierflasche dem Jungen beigebracht hatten. Mitten in Athen. Am 6. Mai war das. Da wurde gerade das orthodoxe Osterfest gefeiert. Die Täter trugen schwarze T-Shirts "mit Lorbeerkränzen" darauf, erzählt das Opfer.

Der Lorbeer rund um ein hakenkreuzähnliches Emblem ist das Wahrzeichen der Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). Sie ist mit 18 Abgeordneten im 300-köpfigen griechischen Parlament vertreten, und wenn nun Wahlen wären, würde sie drittstärkste Partei. Die Angreifer hätten ihn nach Ausweis und Herkunft gefragt, berichtete der Junge den Ärzten, die sein Gesicht zusammenflickten. Er sei aus Afghanistan, sagte er den Schwarzhemden. Dann begann sein Martyrium.

Die griechische Zeitung Efimerida ton Syntakton hat am vergangenen Dienstag ein Foto des grausam zugerichteten 14-Jährigen veröffentlicht - erst nach internen Debatte darüber, ob man das schockierende Bild zeigen soll. Das Blatt erklärte, man wolle die Politiker aufrütteln. An dem Tag war auch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström in Athen, um sich über die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in dem Euro-Krisenland zu erkundigen. Die EU musste Griechenland schon mehrfach ermahnen, eine 2008 in Brüssel bereits beschlossene Vorgabe umzusetzen. Danach sollten alle EU-Staaten spätestens im Jahr 2010 Rechtsvorschriften zur Rassismus-Bekämpfung in nationale Gesetze umsetzen.

Griechenland hat das nicht getan. Nun gibt es endlich einen solchen Gesetzentwurf aus dem Athener Justizressort, das von einem Minister der Linkspartei Dimar geführt wird. Aber schon haben sich wieder Bedenkenträger aus der konservativen Nea Dimokratia (ND) von Premier Antonis Samaras gemeldet. Sie fürchten, ein Antirassismus-Gesetz könnte die griechischen Neonazis noch stärker machen als sie schon sind - weil sich die Rassisten im Parlament dann zu Märtyrern erklären könnten. So fasste die Zeitung Kathimerini die Sorgen in der ND zusammen.

Die ND ist in der Frage allerdings gespalten. Enge Mitarbeiter von Samaras gehören offenbar zum Lager derjenigen, die die Wähler der Chrysi Avgi nicht verschrecken wollen, in der Hoffnung, sie irgendwann wieder zur ND zu holen. Allerdings gibt es auch in der ND Leute, die die Neonazi-Partei am liebsten verbieten würden. Ein Parteiverbot ist in Griechenlands Verfassung aber nicht vorgesehen.

Der Gesetzentwurf müsse überarbeitet werden, hieß es Anfang der Woche aus dem Amt des Premiers. Das klang wieder nach Rückzug. Justizminister Antonis Roupakiotis schäumte: Im Radiosender 9,84 erinnerte er die ND daran, dass sie nicht allein das Sagen habe, schließlich sei die Regierung eine Drei-Parteien-Koalition.

Es ist nicht klar, was nun die Wende gebracht hat, ob es Malmström war, oder das Foto des schwer verletzten jungen Afghanen. Oder die neuerliche Attacke auf einen 20-jährigen Syrer mit Holzknüppeln. Oder die Statistik, die das "Netzwerk für die Registrierung rassistischer Gewalttaten" für 2012 veröffentlich hat: 154 Fälle von Körperverletzung, wobei es sich nur um die bekannt gewordenen Taten handle, wie das Büro des UN-Flüchtlingskommissars in Athen betonte. Was auch immer den Umschwung bewirkt hat, am Mittwochabend wurde der Gesetzentwurf dem Parlament übergeben. In der kommenden Woche soll er dort debattiert werden.

Der Entwurf sieht hohe Strafen für die Aufstachelung zu rassistischer Gewalt auch über Medien und Internet vor. Dabei soll es egal sein, ob der Internet-Anbieter in Griechenland sitzt oder sonstwo. Abgeordnete, die im Parlament den Nazi-Gruß oder Nazi-Embleme zeigen, sollen ihre Immunität verlieren. Politiker, die wegen rassistischer Taten verurteilt werden, sollen nicht mehr für das Parlament kandidieren dürfen und Parteien, deren Führer in solche Taten verwickelt sind, ihre finanzielle Unterstützung verlieren. Erstmals soll in Griechenland die Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust strafbar werden.

Der 14-jährige Afghane hat keine Angehörigen in Athen, er ist nun in Obhut der griechischen "Ärzte der Welt". Innenminister Nikos Dendias hat eine Untersuchung durch die neue Sondereinheit der Polizei für Rassismus-Delikte angeordnet.

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SZ vom 17.05.2013/jasch
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