Raser-Prozess in Stuttgart:Nur noch ein Klumpen verbeultes Blech

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Der Angeklagte wird in einen Saal des Landgerichts Stuttgart geführt. Links steht sein Rechtsanwalt. (Foto: dpa)
  • In Stuttgart wird seit diesem Mittwoch erneut gegen einen Raser verhandelt, der einen tödlichen Unfall verursachte.
  • Ein junger Mann verursachte einen Unfall, bei dem zwei Menschen starben.
  • Das Gericht muss nun klären, ob das Ganze als Mord zu werten ist.

Von Hans Holzhaider, Stuttgart

Der Autoverleih hieß "Royal Motors", und die Homepage ließ keinen Zweifel an den Eigenschaften des angebotenen Fahrzeugs: ein Jaguar F-Type, 550 PS, Höchstgeschwindigkeit 300 km/h, Beschleunigung von 0 auf 100 in 4,2 Sekunden. Eigens war noch vermerkt: "Extrem laute Klappenauspuffanlage". Die Firma sah auch keinen Grund, warum sie dieses Fahrzeug nicht an den 20-jährigen Mert T. vermieten sollte. Der Preis war moderat, 149 Euro pro Tag, 100 Kilometer inklusive, das konnte sich der junge Mann von seinem Azubi-Gehalt als Kfz-Mechatroniker ohne Weiteres leisten.

Am 6. März 2019, kurz vor Mitternacht, raste Mert T. im weißen Jaguar mit 160 bis 165 Stundenkilometern auf der Rosensteinstraße in Stuttgart stadteinwärts. In Höhe der Hausnummer 24, vor dem Billardcafé "Seven", bog ein entgegenkommendes Fahrzeug vor ihm links ab. Mert T. versuchte abzubremsen, verriss den Jaguar nach links und prallte mit immer noch mehr als 100 km/h auf einen Kleinwagen, der in einer Tiefgaragenausfahrt stand. Jacquelin B., 22, und ihr Lebensgefährte Riccardo G., 25, hatten nicht den Schatten einer Chance. Sie starben noch an der Unfallstelle. Ihr kleiner Citroën war nur noch ein Klumpen verbeulten Blechs. Mert T. und sein Beifahrer stiegen fast unverletzt aus dem Jaguar.

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Am Mittwoch begann vor dem Landgericht Stuttgart der Prozess gegen Mert T. Er wird in Handschellen aus der Untersuchungshaft vorgeführt. Die Anklageschrift, die Oberstaatsanwältin Cristine Bez verliest, lautet auf Mord. Wenn das Gericht Mert T. als Erwachsenen ansieht, könnte er zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Aber auch das Jugendstrafrecht sieht für Heranwachsende, also Angeklagte von 18 bis 20 Jahren, bei Mord eine Höchststrafe von 15 Jahren vor.

Der Anklage zufolge war Mert T. vor dem tödlichen Zusammenstoß schon stundenlang mit unterschiedlichen Beifahrern im Großraum Stuttgart unterwegs. Er wollte, sagt die Staatsanwältin, durch die rasante Beschleunigung und durch das Röhren des Motors anderen imponieren und seinen "Geschwindigkeitsrausch" ausleben. Schon am frühen Abend sei es in der Nähe der späteren Unfallstelle zu einer gefährlichen Situation gekommen, als er bei hoher Geschwindigkeit auf die Gegenfahrbahn ausweichen musste. Auf der Autobahn zwischen Esslingen und dem Stuttgarter Flughafen habe er das Fahrzeug auf 274 Stundenkilometer beschleunigt.

"Er hat keine Bedenken gegen seine Fahrweise aufkommen lassen"

Wenige Minuten vor dem Zusammenstoß hatte er noch einen Kumpel zum Mitfahren eingeladen. "Er trat das Gaspedal voll durch. Er wollte seinen Beifahrer beeindrucken und seine Fahrfähigkeiten demonstrieren", sagt die Staatsanwältin. Mert T. kannte die Gegend gut, er wohnt ganz in der Nähe. Er habe gewusst, dass auch zu dieser späten Stunde noch Autofahrer und Fußgänger unterwegs waren; ganz in der Nähe liegt ein Kino-Center. "Er hat keine Bedenken gegen seine Fahrweise aufkommen lassen", sagt die Staatsanwältin.

"Ihm war klar, dass er auf ein- und abbiegende Fahrzeuge nicht rechtzeitig reagieren konnte. Es war ihm bewusst, dass ein Zusammenstoß bei dieser Geschwindigkeit zum Tod anderer Personen führen konnte. Er hat deren Tod vorhergesehen und billigend in Kauf genommen." Mert T. habe also vorsätzlich und mit einem gemeingefährlichen Mittel, dem Auto, zwei Menschen getötet. Das erfülle den Tatbestand des Mordes.

Der Angeklagte sagt an diesem ersten Prozesstag noch nichts. Der Gerichtspsychiater hat sein Gutachten über Mert T. erst unmittelbar vor Prozessbeginn fertiggestellt, das wollen T.s Verteidiger erst mit ihrem Mandanten erörtern. Aber der Rechtsanwalt Markus Bessler gibt schon mal eine Erklärung ab. Mert T., sagt er, habe bis zu jenem 6. März 2019 "das ganz normale Leben eines jungen Menschen geführt, der sich mit seiner Person und seiner Persönlichkeit nicht besonders auseinandersetzen musste". Es gebe nichts daran herumzureden, dass durch T.s "Fehlverhalten" zwei junge Menschen aus dem Leben gerissen worden seien. Das sei "unfassbar tragisch".

Gerade weil Mert T. noch so jung sei, und er noch keinerlei Erfahrung mit Strafgerichten habe machen müssen, trage er schwer an dieser Verantwortung. Er lerne in der Haft, sich mit seiner Schuld auseinanderzusetzen, aber "es wäre unehrlich, nicht zu sagen, dass dieser Lernprozess noch andauert". Der Vorwurf des Mordes jedoch sei "entschieden zurückzuweisen". Der Fall unterscheide sich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht von den "sogenannten Raserfällen", bei denen es überwiegend um Autorennen gehe.

Die Eltern der getöteten Jacqueline B. haben ein Foto ihrer Tochter und deren Lebensgefährten vor sich auf den Tisch gestellt. Die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf bittet, das Foto nicht so aufzustellen, "als ob es sich um Prozessbeteiligte handelt". Die Mutter legt das Foto flach auf den Tisch.

© SZ vom 12.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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