Range und Maaßen zu Innerer Sicherheit:Unter Generalverdacht

Harald Range und Hans-Georg Maaßen Akademie für Politische Bildung Tutzing

Generalbundesanwalt Harald Range und im Hintergrund der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen.

(Foto: Richard Gutjahr)

Die NSA-Spionage empört die Öffentlichkeit - doch bei einer Tagung thematisiert Generalbundesanwalt Range diesen Skandal nur am Rande. Stattdessen entwirft er gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Maaßen düstere Szenarien. Beide fühlen sich irgendwie missverstanden.

Von Kathrin Haimerl, Tutzing

Es ist ein düsteres Bedrohungsszenario, das Generalbundesanwalt Harald Range in dem beschaulichen Ort am Ufer des Starnberger Sees zeichnet. Range spricht im Rahmen eines Seminars der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Es geht um Verfassungspolitik, um das Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit. Um die Frage, wie weit der Staat in die Bürgerrechte eingreifen darf. Wie weit er seine Bürger überwachen darf.

Range spricht von islamistischen Einzeltätern. Unauffällig, aus gut integrierten Familien. Die sich ein Propaganda-Video im Internet anschauen. Und sich dann in einer Menschenmenge in die Luft sprengen. Anonyme, weiche Ziele. Männer, Frauen auf den Straßen. Zum Beispiel beim Public Viewing! Einfach so, völlig willkürlich.

"Die Sicherheitsbeamten werden froh gewesen sein, wenn diese Veranstaltungen ohne Anschläge vorübergegangen sind", sagt Range. Er stehe gerade recht unter Druck, weil er gegen die NSA nicht sofort ermittelt habe. "Aber wenn morgen beim Public Viewing was passiert und wir nicht auf einen NSA-Hinweis reagiert hätten, dann sind wir dran."

Weiter geht es mit dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen. Der spricht von einer verschärften Sicherheitslage. Wegen der Syrien-Heimkehrer. Junge Menschen, die sich in Syrien radikalisiert hätten, 320 Ausreisende zählt Maaßen. Auf Facebook posten sie Bilder, auf denen sie mit den abgeschnittenen Köpfen ihrer Feinde posieren.

Maaßen sagt: Wir versuchen zu verhindern, dass diese Leute zurückreisen und einen Terroranschlag planen. Dass sie überhaupt nach Syrien ausreisen. Aber dazu brauche sein Amt Daten. Daten über Netzwerke, über Personen, die nach Syrien reisen. Mit wem diese Personen vorher telefoniert haben. Die Vernetzung von Daten, Kreditkartendaten und vieles mehr.

Er fordert neue Methoden im Kampf gegen Terrorismus, "die auch Fragen des Datenschutzes berühren". Der Bundestrojaner geht Maaßen nicht weit genug. Unter anderem hätte er gerne technische Möglichkeiten zur Netzknotenüberwachung. "Wir sind ein guter Kunde der Amerikaner", sagt Maaßen. Das wolle er eigentlich nicht. "Mir wäre es lieber, wir könnten es aus eigener Kraft."

Einigen Teilnehmern dürfte Maaßen damit aus der Seele sprechen. Im Publikum sitzen auch Verfassungsschützer und Kriminalbeamte. Sie beklagen sich, dass der Gesetzgeber mit einem hohen Anspruch an sie herantritt, sie aber nicht mit den nötigen Instrumenten ausstattet.

Ein ganz anderes Verständnis von Sicherheit

In Tutzing wirkt es fast so, als sei der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz neidisch auf die Unternehmen aus der Privatwirtschaft. Auf Whatsapp, Facebook und all die anderen Netzwerke. Er empört sich darüber, dass die Bürger diesen Unternehmen ihre Daten anvertrauen. "Ich schätze das als relevante Bedrohung des Einzelnen ein. Als größer als das, was die Nachrichtendienste in Deutschland an Mitteln zur Verfügung haben."

Doch den deutschen Sicherheitsbehörden würden die Bürger vor allem mit Misstrauen begegnen. "Eine deutsche Spezialität", sagt Maaßen. Er berichtet von einem US-Bürger, der sich kürzlich bei ihm bedankt habe. Dafür, dass seine Familie hier in Deutschland sicher leben könne. Dass seine Kinder sogar ohne Aufsicht zur Schule gehen könnten. Ein ganz anderes Verständnis von Sicherheit sei das.

Aus dem Publikum kommt scharfe Kritik

Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart meldet sich zu Wort. Er stört sich an diesem Beispiel. Angesichts der umfassenden Tätigkeiten der NSA müsste doch der Schulweg in den USA sehr viel sicherer sein. Degenhart sagt: Repression und Prävention, das sei problematisch für den Freiheitsanspruch der Grundrechte. So reden Juristen. Prävention rührt an der Grundlage des Rechtsstaats, denn an die Stelle eines konkreten Verdachts in der Strafverfolgung tritt der Generalverdacht. Jeder muss sich gefallen lassen, möglicherweise überwacht zu werden.

Dass die Terrorgefahr existiert, stellt keiner der Teilnehmer dieser Tagung in Frage. Anschläge auf Public-Viewing-Veranstaltungen will freilich niemand. Aber steht diese diffuse Bedrohungslage im Verhältnis zur massenhaften Ausspähung von Daten?

Peter Schaar, der ehemalige Bundesbeauftrage für Datenschutz, kann sich bei dem Thema in Rage reden. Er hätte gerne einen Nachweis, dass die Überwachungsmaßnahmen geeignet seien, das Übel zu verhindern oder zu bekämpfen. Bei dem, was die NSA treibe, handle es sich um sehr "eingriffsintensive Maßnahmen", die sich im Nachhinein als nicht wirklich effektiv und effizient herausgestellt hätten.

Ein Lehrer sagt: "Angst ist der Tod der Freiheit. Man erzeugt Angst, um die Bürger weichzukochen." Es gebe in Deutschland mehr Tote durch Amokläufe, als Tote durch Terrorismus, in den USA würden mehr Menschen durch die eigenen Waffen sterben, als am 11. September 2001 ums Leben gekommen seien.

Range und Maaßen weisen den Vorwurf zurück. Sie seien keine "Angstdealer". Und: "Wir sind nicht die NSA." Aber deutlich wird in Tutzing auch: Sie wären es gerne, zumindest ein bisschen.

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