Randale in Schweden:Aufstand der Hoffnungslosen

Lesezeit: 2 Min.

Nach den Krawallen: Feuerwehrmänner in Husby löschen letzte Brände (Foto: dpa)

Ein Wohlfahrtsstaat wird von Krawallen erschüttert: In Schweden randalieren Einwanderer, zünden Autos an und prügeln sich mit der Polizei. Sie halten der Öffentlichkeit eines der größten Probleme des Vorzeigelandes vor Augen: Die Integration von Immigranten funktioniert viel zu schlecht.

Von Thomas Kirchner

Wie alle nordischen Länder erntet Schweden gerade mächtig Lob: für den Wohlfahrtsstaat, der niemanden links liegen lasse und allen die gleiche Chance biete, für die trotz hoher Steuern florierende Volkswirtschaft.

Aber immer, wenn schwedische Politiker sich zu internationalen Konferenzen aufmachen, um dort ihr Modell zu preisen, sehen sie auf halbem Weg zum Flughafen links die Wohnkasernen des Stockholmer Problemviertels Husby liegen. Und bekommen vielleicht ein schlechtes Gewissen.

Denn die schweren Krawalle, die in Husby begannen und sich in den vergangenen vier Tagen auf die Peripherie der schwedischen Hauptstadt ausgedehnt haben, erinnern an ein gravierendes Problem, das die Politik nicht in den Griff bekommt: Die Integration der Einwanderer - der außereuropäischen vor allem - in die Gesellschaft funktioniert nicht, sie leben in einer separaten Welt, in Ghettos, ohne Job, ohne Hoffnung. Dagegen rebellieren die Jungen, nicht zum ersten Mal.

"Ungerechtfertigte Gewalt"

Die Ausschreitungen begannen am Pfingstsonntag. Auslöser war offenbar der Tod eines 69 Jahre alten Mannes aus Husby sechs Tage zuvor, der mit einer Machete bewaffnet war und von der Polizei aus Notwehr erschossen wurde. Die Polizei sei danach mit "ungerechtfertigter Gewalt" gegen protestierende Jugendliche vorgegangen, erklärte die Organisation Megafonen, die sich um sozial Benachteiligte in den Vorstädten kümmert. Die Polizisten hätten rassistische Schimpfwörter wie "Neger" von sich gegeben und Passanten bedroht, die vermitteln wollten. Diese Vorwürfe sollen nun geklärt werden.

In den folgenden Nächten weiteten sich die Unruhen aus, mehrere Hundert zum Teil vermummte Menschen zogen randalierend durch die Straßen, zündeten Autos und Mülltonnen an und bewarfen Polizisten mit Steinen. Eine Schule und eine Polizeiwache gingen in Flammen auf. Inzwischen ist die Gewalt nicht nur auf andere ethnisch bunte Stadtteile und Vororte wie Jakobsberg im Nordwesten sowie Vårberg, Skärholmen und Norsborg übergesprungen. Auch in Malmö brannten in der Nacht zu Donnerstag drei Autos. Verschärft wird die Lage durch "Skandaltouristen": Jugendbanden, die ihren Spaß an den Ausschreitungen haben und sie zusätzlich anheizen.

Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hatte am Mittwoch zur Ruhe aufgerufen. Den Wagen eines Nachbarn anzuzünden sei kein Ausdruck von Meinungsfreiheit, sondern "Rowdytum". Schweden sei ein Land, das große Gruppen von Menschen aus anderen Staaten aufnehme. "Und ich bin stolz darauf." Er appellierte an alle Bürger, sich einzumischen und Verantwortung zu übernehmen.

Erhellte Nacht: Ein Feuerwehrmann vor einem brennenden Auto (Foto: AFP)

Tatsächlich hat sich die Lage zumindest in Husby leicht beruhigt, wo Elterngruppen und andere Organisationen den Konflikt auf der Straße zu entschärfen versuchen. Der Einsatz der Erwachsenen wirke "dämpfend", sagte ein Polizeisprecher dem Svenska Dagbladet. Die Polizei hat auch ihre Taktik geändert, sie setzt nun auf Deeskalation. Mehrere Dutzend Krawallmacher wurden festgenommen, im Durchschnitt sind sie 20 Jahre alt, einige Randalierer sind sogar erst zwölf.

Schweden nimmt noch Flüchtlinge auf

Die Wohnblöcke in Husby und anderen Problemvierteln entstanden meist im Zuge des "Millionenprogramms", mit dem die Regierung von 1965 an bezahlbare Wohnungen für alle schaffen wollte. Die Schweden zogen bald aus, zwei Drittel der Bewohner sind inzwischen ausländischen Ursprungs. Im Gegensatz zu Dänemark, das die Grenzen für Armutseinwanderer in den vergangenen Jahren dichter gemacht hat, nimmt Schweden immer noch in großem Ausmaß Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Syrien und dem Irak auf.

Das Land tut sich aber schwer mit der Eingliederung von Menschen, die mit den egalitären Werten und den komplizierten Normen der skandinavischen Gesellschaft oft nichts anfangen können, und dies umso weniger, wenn sie keinen Job haben. 2011 waren laut dem Statistikamt 16,5 Prozent der Immigranten arbeitslos gemeldet, im Vergleich zu 5,7 Prozent der in Schweden Geborenen.

Wut und Hoffnungslosigkeit entladen sich immer wieder in Krawallen: Schon 2008 hatte es im Rosengård-Viertel in Malmö gebrannt, zwei Jahre später in Rinkeby, nur ein paar Busstationen von Husby entfernt.

© SZ vom 24.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: