Bundeswehr: "Dramatische Fähigkeitslücken"

Raketenabwehrsystem: Test des "Arrow 3"-Abwehrsystems in Israel

Ein Test des "Arrow 3"-Abwehrsystems vor einigen Jahren in Israel.

(Foto: imago)

Deutschland will sich einen modernen Schutzschirm gegen Raketenangriffe anschaffen. In dieser Woche sind Bundestagsexperten deswegen in Israel unterwegs.

Von Peter Münch und Mike Szymanski, Tel Aviv, Berlin

Verteidigungspolitiker des Bundestages haben sich am Dienstag in Israel mit Raketenabwehrsystemen vertraut gemacht, die auch über Deutschland einen Schutzschirm aufspannen könnten. Konkret geht es um das israelische System Arrow 3, das zur Abwehr ballistischer Raketen auf ihrer Bahn in großen Höhen konzipiert wurde. Dabei geht es um Mittel- und Langstreckenraketen. Gegen solche Bedrohungen hat Deutschland bislang keinen adäquaten Schutz. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, sagte der Süddeutschen Zeitung, sie halte Arrow 3 für ein "interessantes" System, Deutschland soll ihrer Meinung nach "sehr offen" über die Anschaffung diskutieren. "Es geht jetzt darum, eine Fähigkeitslücke zu schließen."

Zugleich betonte sie nach einer Präsentation des Arrow-Systems auf dem israelischen Luftwaffenstützpunkt Palmachim vor der Presse, dass die deutsche Delegation nicht auf einer "Einkauftstour" sei. "Wir sind hier nicht mit einem Sack voll Geld unterwegs", sagte sie und hob hervor, dass die Reise der Verteidigungspolitiker nach Israel schon lange vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs geplant gewesen sei. Angesichts der aktuell deutlich gewordenen neuen Bedrohungslage in Europa sei jetzt allerdings Eile geboten. Doch wenn Deutschland etwas kaufen wolle, müsse dies "eingebettet sein" mit den Partnern. "Jede neue Raketenabwehr muss kompatibel sein mit dem, was wir in Europa und in der Nato haben", sagte sie. "Wir sind hier nicht allein auf einem Trip."

Geht es nach dem Willen der Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann, sollte die Beschaffung von Arrow 3 nur der Einstieg in einen Ausbau und die Modernisierung der kompletten Luftverteidigung der Bundeswehr vom Boden aus sein. Denn die Truppe ist derzeit auch kaum in der Lage, sich gegen Kampfdrohnen - die im unteren Bereich fliegen - zur Wehr zu setzen. Das Flugabwehrsystem Patriot, das die Bundeswehr im Kampf gegen Flugzeuge, Helikopter und Marschflugkörper einsetzt, ist in die Jahre gekommen und stößt bereits heute an seine Grenzen.

Vor einem Jahr hatte Amtsvorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) milliardenschwere Investitionen in die Luftverteidigung in Aussicht gestellt - allerdings mit anderen Prioritäten. Damals hatte der Krieg um die Region Bergkarabach, in dem Kampfdrohnen im großen Stil zum Einsatz kamen, eklatante Schwächen aufgezeigt. Kramp-Karrenbauer wollte deshalb vor allem in die Drohnen-Abwehr investieren.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, in dem Moskau auch modernste Raketentechnik einsetzt, hat nun den Fokus verschoben. Strack-Zimmermann erklärte, es müsse nicht mehr darüber diskutiert werden, ob Russlands Präsident Wladimir Putin technisch in der Lage und auch Willens sei, entsprechende Waffen einzusetzen. Deshalb müsse sich Deutschland darüber Gedanken machen, wie man sich vor solchen Angriffen schützen könne. Sie erwartet nun vom Verteidigungsministerium, dass es seine Pläne für eine moderne Luftverteidigung den Realitäten anpasst. "Ich gehe davon aus, dass es ein Paket schnürt", sagte Strack-Zimmermann.

Ein Milliardenprogramm

Sichtlich erfreut zeigt sich Strack-Zimmermann über die "Offenheit" der israelischen Gesprächspartner und die "Bereitschaft, das Know-how mit uns zu teilen". Die Kosten für das Arrow-3-System waren in verschiedenen Berichten mit zwei Milliarden Euro angegeben worden. Der Ausbau und die Modernisierung der Luftverteidigung für andere Höhen und Reichweiten könnte laut vertraulichen Dokumenten aus dem Ministerium mindestens weitere sechs Milliarden Euro kosten. Sollte ein Nachfolgesystem für Patriot entwickelt werden, stiegen die Kosten sogar auf mehr als 18 Milliarden.

Auch der CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte legt Wert darauf, dass Beschaffungsvorhaben dieser Bedeutung "nicht national organisiert, sondern mit den Nato-Partnern abgestimmt werden". Angesichts der Bedrohungslage müsse aber die Luftverteidigung "schnell" modernisiert werden, erklärte der Oppositionspolitiker.

Der mit nach Israel gereiste SPD-Verteidigungspolitiker Joe Weingarten plädiert dafür, "Raketensicherheit nicht nur auf Deutschland zu beziehen." Dies wäre "politisch ein falsches Signal", sagte er. "Wir wären sehr gut beraten, die Sicherheitsbedürfnisse an der Nato-Ostflanke zu beachten und die baltischen Staaten und Polen mit einzubeziehen."

In der Ampelkoalition unterstützen auch Abgeordnete der Grünen den Aufbau eines Raketenschutzschildes. Die Verteidigungsexpertin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Agnieszka Brugger sprach im Deutschlandfunk von "dramatischen Fähigkeitslücken", die geschlossen werden müssten.

Unterdessen ist Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Mittwoch in den USA eingetroffen, um Gespräche in Washington und in New York zu führen. Unter anderem will sie mit ihrem Amtskollegen Lloyd Austin über den Krieg in der Ukraine und Deutschlands Beitrag zur Nato reden. Nach SZ-Informationen will sie die amerikanische Seite darüber informieren, dass Deutschland zwei Jahre früher als geplant, nämlich schon 2025, eine komplett ausgestattete Heeresdivision, einen Großverband, aufstellen will. Zudem geht es darum, Rüstungsvorhaben, die mit dem neuen Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro finanziert werden sollen, festzuzurren. Deutschland will in Amerika F-35-Kampfjets und schwere Transporthubschrauber kaufen.

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