SPD:Widerstand gegen Scholz’ Raketenplan wächst

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Ein „Tomahawk“-Marschflugkörper: Die US-Waffe sollen künftig auch in Deutschland stationiert werden. (Foto: Imago)

Der Kanzler hält die Stationierung von gegen Russland gerichteten US-Raketen auf deutschem Boden für alternativlos. Doch das sehen immer mehr namhafte Sozialdemokraten anders.

Von Georg Ismar, Berlin

Dass Rolf Mützenich zunehmend seine Probleme mit dem Agieren seines Kanzlers hat, ist zuletzt offenkundig geworden. Der SPD-Fraktionsvorsitzende hält sich für den Bundeshaushalt 2025 weiter eine Notlage als Option offen, um die Kosten durch den Krieg in der Ukraine von der Schuldenbremse auszuklammern. So würde man mehr Spielraum für andere Investitionen haben. Vor allem aber fühlt er sich von Olaf Scholz bei der von 2026 an geplanten Stationierung von landgestützten US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland überrumpelt. Er fürchtet damit ein weiter wachsendes Eskalationsrisiko mit Russland.

Mützenich, der sich immer für Frieden und Ausgleich eingesetzt hat, ist bisher die Stütze des Kanzlers in Sachen Mehrheitsbeschaffung und Ausbügeln handwerklicher Regierungsfehler im Bundestag. Er hat nun namhafte Unterstützer auf seiner Seite. In einer Erklärung des Erhard-Eppler-Kreises, unterzeichnet unter anderem vom früheren SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans, wird betont, man sei „tief besorgt über die Schlagseite, mit der gegenwärtig über Pro und Contra einer Stationierung von US-Langstreckenraketen in Deutschland und Wege zu einem Ende des Blutvergießens in der Ukraine debattiert wird“. In dem der Süddeutschen Zeitung vorliegenden Schreiben warnen sie davor, die Gefahren einer Stationierung von Langstreckensystemen zu unterschätzen. „Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob unser dicht besiedeltes Land zum Ziel eines atomaren Erstschlags werden könnte.“

Auch in der SPD-Bundestagsfraktion wächst die Kritik

Kritik am Zustandekommen der Entscheidung und ihrer Kommunikation werde jedoch „entweder totgeschwiegen oder in einer Weise herabgesetzt, die mit dem Stil einer demokratischen Debatte nicht in Einklang steht“. Zugleich werde auch in der veröffentlichten Meinung der Eindruck erweckt, „dass nur diejenigen ‚erwachsen‘ und Experten seien, die allein auf Abschreckung mit ausschließlich in Deutschland stationierten Lenkwaffen großer Reichweite setzen“. Zudem werde das Plädoyer wie von Mützenich, auch abseits des Schlachtfelds Wege zu einem Ende der Kämpfe in der Ukraine zu suchen „als Aufruf von Träumern diskreditiert, die weiße Flagge zu hissen und dafür die Knechtschaft Putins in Kauf zu nehmen“. Das sei inakzeptabel.

Zu den Unterzeichnern gehören auch der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, und der Wissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker. „Was uns befremdet, ist das Schweigen der Führungen von SPD und SPD-Bundestagsfraktion zu der von Rolf Mützenich angestoßenen Debatte. Wir erleben tagtäglich nicht nur an der sozialdemokratischen Parteibasis, wie vielen Rolf Mützenich aus der Seele spricht“, betonen die Unterzeichner. Kanzler Scholz hat die überraschend am Rande des Nato-Gipfels verkündete bilaterale Entscheidung als eine von der SPD mitgetragene dargestellt. Er und Rolf Mützenich würden „sehr gemeinschaftlich handeln, auch in der Frage, was für die Sicherheit Deutschlands wichtig ist“, sagt Scholz.

„Das jetzt mal eben so nebenbei zu machen, ist keine gute Sache“

Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann kann am Montag auf Nachfrage aber zunächst nicht beantworten, ob das Parlament mit dieser Frage überhaupt befasst werden soll. Es ist aber eine Frage, die für einige in der SPD an die Tragweite des Nato-Doppelbeschlusses heranreicht. In der Frage verlor Kanzler Helmut Schmidt die Gefolgschaft seiner Partei. Marschflugkörper vom Typ Tomahawk, Luftabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Hyperschallwaffen, sollen wohl in Deutschland stationiert werden.

Am Abend betont dann das Bundespresseamt, dass der Bundestag per Schreiben des Verteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amtes an die verantwortlichen Vertreter aller Fraktionen in den Ausschüssen für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung am 19. Juli bereits befasst worden sei. Eine darüber hinausgehende größere Debatte oder Befassung des Bundestags ist demnach bisher offensichtlich nicht geplant.

Auch in der SPD-Bundestagsfraktion gibt es daher wachsende Kritik. „Das jetzt mal eben so nebenbei zu machen, ohne es groß zu begründen, ist keine gute Sache. Ich bin da ganz klar an der Seite von Rolf Mützenich“, sagt der Abgeordnete Ralf Stegner der SZ. „Das muss größer diskutiert werden, in der SPD, wie auch im Bundestag.“

Denn von Deutschland aus könnten dann in kürzester Zeit, ohne Vorwarnzeit, Ziele in Russland erreicht werden. „Jetzt zu sagen, wir machen einen Rüstungswettlauf, birgt viele Probleme“, so Stegner. „Und es gibt bisher schon see- und luftgestützte Fähigkeiten, Russland abzuschrecken, aber mit entsprechender Vorwarnzeit.“

Darauf hat auch Mützenich verwiesen, Scholz betont jedoch, dass dies nicht reiche, da sich Russland seit Jahren massiv über all die Rüstungskontrollvereinbarungen hinweggesetzt habe. Es gehe hier um notwendige Abschreckung, „damit es eben nicht zu einem Krieg kommt“. Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Wochenende betont, Russland werde dann „spiegelgerecht“ reagieren und sich einem früheren Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen nicht mehr verpflichtet fühlen. Der INF-Vertrag über ein Verbot dieser Waffen gilt nach der Kündigung der USA 2019 aber ohnehin nicht mehr – die USA führten russische Verstöße gegen den Vertrag als Begründung für den Schritt an.

Aber auch in der Union wird kritisiert, dass es bisher hierzu keine größere Debatte gegeben hat. „Die Kommunikation in Parlament und Öffentlichkeit durch die Bundesregierung war mangelhaft“, sagt Vizefraktionschef Johann Wadephul (CDU). Gleichwohl sei die Stationierung eine notwendige Antwort auf eine bereits bestehende Bedrohung durch von Russland in Kaliningrad stationierte Iskander-Raketen. Es sei zu hoffen, dass bei einem möglichen Wiedereinzug von Donald Trump ins Weiße Haus das nicht infrage gestellt werde.

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