Räumung vor der EZB:Kehraus bei Occupy Frankfurt

Es war eines der letzten Occupy-Camps weltweit. Zehn Monate lang zelteten die Aktivisten vor der Europäischen Zentralbank. Doch zum Schluss war mehr von Rattenplage und Hygieneproblemen die Rede als von politischen Inhalten. Jetzt hat die Polizei das Lager geräumt.

Marc Widmann, Frankfurt

Um 13.30 Uhr rückt die Staatsmacht an. Vier Dutzend Einsatzwagen mit Blaulicht rasen heran, die Beamten springen heraus, umstellen das Occupy-Zeltlager vor der Europäischen Zentralbank und bauen Gitter auf. Es geschieht so schnell, dass bei den Aktivisten im Camp kurzzeitig so etwas wie Panik ausbricht. "Schnell, schnell", ruft eine junge Belagerin in ihr Handy, "Telefonkette anwerfen!" Aber da ist es bereits zu spät, da kommt schon keiner mehr rein.

Raeumung des Occupy-Camps in Frankfurt am Main

Pro Zeltbewohner ein Einsatzwagen: Bei der Räumung mit Blaulicht waren nur noch etwa 50 Personen im Camp.

(Foto: dapd)

Jan Umsonst, der von Anfang an dabei war beim Protest im Herzen von Frankfurt, der kürzlich sogar für einige Tage in den Hungerstreik trat, sagt nur: "Absurd. So was von übertrieben." Dann packt er seinen Laptop aus und tippt einen Eintrag auf Facebook: "Das Camp wird gerade geräumt - kommt alle!"

Neben ihm verliert ein junger Mann mit Rastalocken beinahe die Nerven: "Holt' doch noch Verstärkung", brüllt er die blau uniformierten Beamten unter ihren Helmen an, "wir sind ja so gewalttätig!" Dann zeigt er auf die Bankentürme am Horizont und schreit: "Da hinten sind die Verbrecher, nicht hier!"

Es ist ein Überraschungsangriff. Als die Polizisten anrücken, da wissen die Aktivisten noch gar nichts von der Entscheidung des Frankfurter Verwaltungsgerichts, die erst Minuten alt ist: dass "die Grünanlage" vor der EZB nicht länger als "Versammlungsgelände genutzt werden" darf. Auf Deutsch: dass das berühmteste Occupy-Zeltlager der Republik, eines der letzten weltweit, der Vergangenheit angehört.

Die hygienischen Zustände sollen unhaltbar gewesen sein

So wollte es die Stadt schon lange. Von unhaltbaren hygienischen Zuständen hatte der Ordnungsdezernent von der CDU immer wieder gesprochen. In den Lokalzeitungen wurde ein Schädlingsjäger zitiert, der bekundete, unter den Zelten herrsche eine fürchterliche Rattenplage. So etwas Schlimmes habe er noch nie gesehen, er werde drei Wochen brauchen, um die Tiere zu bekämpfen. Was die Bild-Zeitung gleich zum Anlass nahm, um über Krankheiten durch Rattenurin zu berichten.

Über den inhaltlichen Protest gegen die Bankenmacht wurde jedenfalls schon länger nicht mehr geschrieben in Frankfurt. Stattdessen ging es um Unrat, der herumlag, um Drogensüchtige, Alkoholiker und Roma-Familien im Zeltlager. 30 bis 40 Menschen haben hier zuletzt noch gewohnt, schätzt Aktivist Benny. "Wir haben hier ganz viel Zeit mit Sozialarbeit verbringen müssen", sagt er, "leider sind wir von einem Protestcamp zu einem Sozialcamp übergegangen."

"Vielleicht gehen wir in die Innenstadt"

Er meint zum Beispiel diese große Gruppe Rumänen, die sich in einigen Zelten niedergelassen hat. Als die Polizisten anrücken, schauen sie verstört, hastig stopfen sie ihre Habseligkeiten in einen pinken Koffer, eine Frau trägt aufwühlt ihr winziges, zwei Wochen altes Kind umher. Was sie jetzt machen? Keine Ahnung. "Vielleicht gehen wir in die Innenstadt", sagt ein Mann.

Der Einsatzleiter, ein fröhlicher Hesse, inspiziert das Zeltlager. Eine kleine Burg aus Paletten steht da seit kurzen, davor postiert er sicherheitshalber zwei Männer, die verhindern sollen, dass Aktivisten sich darin verschanzen. Aber die Protestler verschanzen sich nicht, sie drehen die Musikanlage auf und tanzen zum Reggae-Song "Keine Macht für niemand".

Bei der ersten Räumung im Mai, als das Camp für einige Tage einer Bannmeile um die EZB weichen musste, da hatten sie noch Planschbecken mit Wandfarbe vorbereitet, sie bespritzen die Polizisten damit. Diesmal geht alles zu schnell. Es sind kaum Aktivisten da, 50 vielleicht, wenn man großzügig zählt. Frankfurt, eine linke Stadt? Lange her.

Dann wird geräumt. Vier Polizisten treten an das erste Zelt heran, darin kniet ein junger Mann mit weißer Maske auf dem Gesicht. Die Polizisten wollen seinen Ausweis sehen, sie bekommen eine kleine Ansprache. "Wir führen hier einen Stellvertreter-Kampf", sagt der Maskierte, "ich kniee hier stellvertretend für die Menschen, die geknechtet sind". Er habe extra seine Wohnung aufgegeben und seinen Job gekündigt, um hier gegen das System zu protestieren.

"Und Sie stehen für den Staat", sagt er den Polizisten, die mit neutralem Gesichtsausdruck zurückschauen. Er möge bitte seinen Besitz zusammenpacken, sagen sie, und den Platz verlassen. "Wenn ich hier bleibe, wenden Sie dann körperliche Gewalt an?", fragt der Maskierte. Ein kantiger Polizist nickt. Da packt der Aktivist seinen Laptop ein, seine Bücher, und lässt sich abführen.

Seit dem 15. Oktober 2011 zelteten die Protestler vor der EZB. Anfangs diskutierten sie noch bis Mitternacht, Tausende kamen zu ihren Demonstrationen durch die Stadt. Im Winter war es den meisten dann zu kalt, nur ein Dutzend Aktivisten harrte in den Zelten aus und plagte sich morgens mit gefrorener Milch. Mike war einer von ihnen, ein langbärtiger Frankfurter, immer gut gelaunt. Was jetzt? "Jetzt meld' ich die nächste Mahnwache an", sagt er.

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