Räumung des Lagers in Calais:Noch immer vegetieren Jugendliche im "Dschungel"

Räumung des Lagers in Calais: Auch am Freitagvormittag läuft noch ein Flüchtling durch das zerstörte Lager in Calais. Am Mittwoch hatten die französischen Behörden die Räumung für abgeschlossen erklärt.

Auch am Freitagvormittag läuft noch ein Flüchtling durch das zerstörte Lager in Calais. Am Mittwoch hatten die französischen Behörden die Räumung für abgeschlossen erklärt.

(Foto: AP)
  • In den Trümmern des Flüchtlingslagers von Calais lebten auch nach der Räumung noch Dutzende Menschen.
  • Hilfsorganisationen beklagen, dass die Lage unübersichtlich sei. Nun reagieren die französischen Behörden und bringen Minderjährige in feste Unterkünfte.
  • In Paris wächst die Zahl illegaler Flüchtlingscamps.

Von Sebastian Jannasch

Stück für Stück verschwindet der sogenannte Dschungel von Calais, ein Flüchtlingslager, das zuletzt 6400 Menschen Zuflucht bot. Bagger schieben die Reste von Hütten und Zelten zusammen. Räumfahrzeuge transportieren die Trümmer ab. Nach Aussage der Behörden sollen sich keine Menschen mehr in dem Lager befinden. Doch Hilfsorganisationen zufolge hielten sich in den vergangenen Tagen noch Dutzende Menschen auf dem Gelände auf, darunter zahlreiche unbegleitete Jugendliche. Französische Medien berichten nun, dass im Verlauf des Freitagnachmittags die verbliebenen Flüchtlinge auf dem Gelände per Bus in Aufnahmezentren gebracht werden sollen. Damit reagieren die Behörden auf scharfe Kritik von Helfern an der Situation zurückgebliebener Bewohner des "Dschungels".

"In der vergangenen Nacht ist es uns gelungen, kurzfristig 40 Minderjährige in einer Moschee unterzubringen, die sich noch auf dem Gelände befindet", sagt Valentina Bollenback von der Organisation Save the Children. "Andernfalls hätten einige von ihnen erneut neben Straßen und unter Brücken schlafen müssen." Die französischen Behörden hätten nicht für eine Unterkunft gesorgt. Im Gegenteil sei von Sicherheitskräften angekündigt worden, Flüchtlinge festzunehmen, die sich weiterhin in dem weitgehend abgebrannten und niedergewalzten Elendsquartier aufhalten. Doch die wussten offenbar gar nicht, wohin sie sollen.

Das Aufnahmezentrum für Minderjährige ist voll

Das Auffanglager am Rande des Lagers sei mittlerweile überfüllt, berichtet Samuel Hanryon, der für die Organisation Ärzte ohne Grenzen in Calais ist. Er kritisiert zudem, dass die französischen Behörden die Flüchtlinge im Unklaren über das weitere Vorgehen ließen. "Die Situation ist absolut verwirrend. Obwohl es gestern zunächst hieß, weitere Busse würden fahren, um Flüchtlinge in sichere Aufnahmezentren zu bringen, kamen am Abend keine mehr." Die Verbliebenen würden nun in ständiger Angst leben, festgenommen zu werden. Einige von ihnen, berichtet der Helfer, wollen nun erneut versuchen, aus eigener Kraft den gefährlichen und immer wieder tödlichen Weg über den Ärmelkanal anzutreten.

Seit Donnerstag können sich Flüchtlinge nicht mehr auf dem Gelände des Dschungels registrieren, um auf andere Unterkünfte verteilt zu werden. Auch haben Minderjährige den Hilfsorganisationen zufolge keine Chance, einen Antrag zu stellen, um nach Großbritannien ausreisen zu dürfen. Besonders für unbegleitete Minderjährige ist es einfacher, dort Asyl zu beantragen. Wer wegen seines Alters für dieses Verfahren in Betracht kommt, würden die Behörden teilweise nur mit einem Gesichtscheck entscheiden, berichten Hilfsorganisationen. Nach Angaben des französischen Innenministeriums sind seit Wochenbeginn gut 270 Minderjährige, die dort Angehörige haben, in Richtung Großbritannien gebracht worden.

Streit zwischen Großbritannien und Frankreich

Angesichts der aktuellen Lage forderte die britische Innenministerin Amber Rudd die französische Regierung am Donnerstagabend auf, die noch in Calais verbliebenen Minderjährigen "anständig zu schützen". Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve zeigte sich "überrascht" über die Äußerung. Die in Calais gestrandeten Flüchtlinge wollten schließlich nach Großbritannien gelangen. Minderjährige mit Verwandten dort hätten Anrecht auf eine Familienzusammenführung. Nun wünsche er, "dass Großbritannien rasch seiner Verantwortung gerecht wird und diese Minderjährigen aufnimmt".

Für die im "Dschungel" verbliebenen Flüchtlinge drohte sich die Lage weiter zu verschlimmern. Denn das Lager soll bis Montagabend endgültig abgerissen werden. Zunächst hieß von den französischen Behörden, die Verteilung weiterer Personen in Aufnahmezentren sei nicht möglich, da die Flüchtlinge, die nun noch im Camp sind, zuvor nicht in dem Lager gelebt hätten, sondern erst nach dem Start der Räumung gekommen seien. Nun berichten französische Medien aber, dass am frühen Freitagnachmittag 50 minderjährige Flüchtlinge doch in ein Aufnahmezentrum gebracht wurden. Weitere 50 bis 70 junge Flüchtlinge sollen im Verlauf des Tages ebenfalls in sicheren Unterbringungen unterkommen können.

Derweil nehmen illegale Flüchtlingscamps auf offener Straße in Paris wieder zu, wie Helfer berichten. Ob das direkt mit der Räumung des "Dschungels" von Calais zusammenhängt, ist unklar. Wohnungsbauministern Emmanuelle Cosse sagte im Sender Public Sénat: "Es gibt keine massive Ankunft in Paris aus Calais." Ein Polizeivertreter sagte dagegen, dass sich viele Flüchtlinge aus Calais auf den Weg in die französische Hauptstadt gemacht hätten.

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