Süddeutsche Zeitung

Raed Saleh:"Khans Wahl ist ein starkes Signal nach Europa"

"Ein Stoppschild für alle, die denken, dass sie Europa spalten können, in dem sie Gift in die Gesellschaft sprühen." Berlins SPD-Fraktionsvorsitzender Raed Saleh im Gespräch über Londons neuen Bürgermeister.

Interview von Lars Langenau

Raed Saleh, 38, wurde im Westjordanland geboren und kam mit fünf Jahren nach Berlin. Heute ist der bekennende Muslim Vorsitzender der SPD-Fraktion in Berlin. Vor zwei Jahren unterlag er dem heutigen Berliner Bürgermeister Michael Müller in einer Basisbefragung unter SPD-Mitgliedern um die Nachfolge von Klaus Wowereit.

Herr Saleh, wie bewerten Sie die Wahl von Sadiq Khan in London?

Es ist gerade in diesen Zeiten ein gutes Zeichen. Seine Wahl wirft die Frage auf, was eine Gesellschaft zusammen hält und was zu Europa gehört. Und ich verstehe seine Wahl als ein Zeichen für die Versöhnung der Kulturen. Das ist meines Erachtens auch die Aufgabe unserer Generation. Die Generation zuvor hatte die Versöhnung zwischen Ost und West zur Aufgabe - und nun sind wir dran, dies über Kulturen, Traditionen und Religionen hinweg zu schaffen.

Ist Khan gewählt worden, weil er Muslim ist oder obwohl er Muslim ist?

An erster Stelle stehen der Mensch und seine Leistung. Mich beeindruckt, dass Khan trotz der Widerstände auch gegen seine Religion, die Menschen davon überzeugen konnte, dass er London am besten repräsentiert. Die Londoner haben ihn als einen der ihren gewählt, als einen, der da groß geworden ist, als Briten, aber auch als Muslim. Das gehört auch zu einem Individuum dazu und man kann es nicht trennen. Vielleicht muss man aber auch sagen: Da kommt jemand aus der Arbeiterklasse, ist ein Kind dieser Stadt - und ist zufällig Muslim. Jedenfalls ist seine Wahl ein starkes Signal nach Europa hinein. Und ein Stoppschild für alle, die denken, dass sie Europa spalten können, in dem sie Gift in die Gesellschaft sprühen.

Sind die Briten weiter als wir?

Es ist beeindruckend, welche Signalwirkung nun über die Grenzen Londons hinweg ausgeht. Wir erleben gerade von rechtspopulistischen Parteien, wie versucht wird, die Gesellschaft zu spalten, Feindbilder zu konstruieren und Verschwörungstheorien zu verbreiten. In den vergangenen Monaten haben wir immer wieder gehört, warum der Islam nicht vereinbar sein soll mit der Zivilgesellschaft in Europa. Die Rechtspopulisten haben immer wieder das Anderssein in den Vordergrund gestellt und nun zeigt sich, dass das nicht goutiert wird. Dass die Wahl eines Menschen mit muslimischen Glauben auch Teil der europäischen Identität sein kann.

Ist es denn wirklich überhaupt eine Meldung, dass Khan bekennender Muslim ist?

Ja, weil alles was neu ist, eine Meldung ist. Das war so, als mit Angela Merkel die erste Frau Kanzler wurde, und als mit Klaus Wowereit in Berlin der erste bekennende Homosexuelle Bürgermeister wurde. Es ist wünschenswert, wenn das alles zur Normalität wird und wir erkennen, dass Vielfalt zu Deutschland gehört. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam zu definieren, wie wir zusammenleben wollen. Dazu brauchen wir einen breiten Versöhnungsprozess in Europa und in Deutschland. Und in London scheint der gerade angestoßen worden zu sein. Das ist eine gute Sache.

Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" entwirft das Bild eines islamistischen Gottesstaates in Frankreich in naher Zukunft. Manch einer könnte sich durch die Fiktion an die Realität erinnert fühlen. Wie sehen Sie das?

Das zeigt es ganz sicher nicht, sondern vielmehr, dass man auch in Europa seinen Weg machen kann mit dieser Religion. Dass es eben keinen Widerspruch zwischen Demokratie und dem Islam als Religion geben muss. Meines Erachtens ist dieser Widerspruch gerade in London aufgelöst worden. Überall hatte man den Eindruck, dass die rechten Parteien im Aufwind sind, sei es in Ungarn, Polen oder Frankreich mit Le Pen. Andererseits erlebten wir auch eine starke Linke in Spanien, Griechenland und Italien. Und in Österreich spitzt sich die Situation auch gerade stark zu mit einem FPÖ-Mann und einem multikulturellen Grünen. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten stehen sich da zwei Gesellschaftsmodelle zur Abstimmung gegenüber.

Nicht nur in Frankfurt am Main, München und Berlin kommenden bald starke Generationen der Kinder von Migranten ins Wahlalter. Wie reagieren die Parteien darauf?

Es ist zu einer Überlebensfrage der deutschen Parteien geworden, diese Menschen einzubinden. Aber letztendlich geht es doch um die Frage, wie wir die Gegensätze von Arm und Reich überwinden können. Ich selbst bin in einem Berliner Viertel großgeworden, das die Boulevardpresse immer als "Armenhaus Berlins" bezeichnete. Hier lebten zufällig sehr viele Migranten und ihre Familien, weil der Wohnraum eben billig war. Doch wenn man diesen Menschen keinen Zukunftsglauben schenken kann und sie zu Dauerverlieren gehören, dann wird es schwierig. Wir müssen also die sozialen Gegensätze überwinden.

Was kann die SPD aus Khans Sieg in London lernen?

Ich muss meiner Partei keine Ratschläge geben, aber grundsätzlich ist der Weg zur Normalität ein guter.

Khan wurde persönlich angegriffen, ihm wurden Verbindungen zu radikalen Muslimen unterstellt. Erleben Sie auch solche persönlichen Angriffe und Vorbehalte?

In meiner Position muss man Gegenwind auch aus dieser Richtung aushalten können, das gehört in der politischen Auseinandersetzung dazu. Und letztendlich stärken einen solche Angriffe.

Arbeiterkind, Großstädter, Sozialdemokrat. Wo ist der Unterschied zwischen Khan und Saleh?

Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.

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