Süddeutsche Zeitung

Radioaktiver Müll:Ton, Steine, Salze

Endlager sollen eigentlich für die Ewigkeit halten - in Deutschland zumindest für die nächsten 500 Jahre.

Von Julian Rodemann

Auch wenn mittlerweile das Schutzmaterial verbessert und sogar der atomare Zerfall beschleunigt werden kann - an Endlagern für Atommüll führt kein Weg vorbei. Doch wie sicher sind sie? Die Antwort steckt tief im Boden. Wenn im Jahr 2031, wie es das Standortauswahlgesetz vorsieht, ein Endlager für den deutschen Atommüll feststehen wird, soll der radioaktive Abfall dort mindestens für eine Million Jahre sicher sein. Ein enormer Anspruch. Eine Klausel im Gesetz legt indes fest, dass der Atommüll zurückgeholt werden kann - bis zu 500 Jahre nach dem Verschluss des Lagers. So soll es kommenden Generationen möglich sein, neue Technologien zu nutzen. Denn die Forschung zu radioaktivem Abfall steht keinesfalls still.

Erst im vergangenen Jahr präsentierten Wissenschaftler im Fachjournal Scientific Reports neue Materialtests, mit deren Hilfe die sogenannten technischen und geotechnischen Barrieren bei der Endlagerung verbessert werden könnten. Auch im Schweizer Felslabor Grimsel testen Geologen diese Materialien. Sie werden extra dafür hergestellt, Atommüll möglichst sicher zu verwahren. Zudem wird ständig weiter an den Gesteinsformationen geforscht. In Deutschland sind das Salzstöcke und Tonsteinformationen sowie Granitvorkommen. "Es gibt kein ideales Wirtsgestein", sagte der Geophysiker Hans-Joachim Kümpel schon vor Jahren in einer Sitzung der Endlagerkommission des Bundestages.

Steinsalz hat den Vorteil, dass es praktisch undurchlässig gegenüber Gasen und Flüssigkeiten sowie sehr wärmeleitfähig ist. Es eignet sich daher besonders für wärmeentwickelnden Abfall. Tonstein hingegen leitet Wärme deutlich schlechter ab und ist zudem nicht so stabil wie Steinsalz, Hohlräume müssten gestützt werden. Allerdings löst sich Tonstein kaum in Wasser, Steinsalz hingegen schon. Granitstein wiederum ist ebenfalls kaum wasserlöslich, dafür deutlich spröder als Ton- und Salzstein. Welche Gegenden Deutschlands aus wissenschaftlicher Sicht für ein Endlager nun in Frage kommen, hängt letztendlich von der genauen geologischen Zusammensetzung an Ort und Stelle ab. Ausschließen konnten Geologen Regionen mit erhöhter seismischer oder vulkanischer Aktivität. Erdbebenzonen gibt es vor allem im Südwesten der Republik, schlafende Vulkane zum Beispiel in der Eifel. Auch Regionen mit Altbergbau und jungem Grundwasser sind laut Standortauswahlgesetz außen vor und wurden von der BGE gar nicht erst in die nähere Auswahl gezogen.

Kein Wissenschaftler kann garantieren, dass ein Endlager die Menschheit eine Million Jahre lang vor radioaktiver Strahlung schützt. Das Kalkül hinter den Berechnungen der Geologen ist stets: Wenn ein Hohlraum in der Vergangenheit stabil war, wird er es wahrscheinlich auch in Zukunft bleiben - doch hundertprozentig sicher ist das nicht. Um die Risiken zu verringern, erforschen Physiker seit einiger Zeit Verfahren, mit denen die Halbwertszeit des Atommülls verringert werden kann. In sogenannten Transmutationsanlagen wird der radioaktive Müll mit Neutronen beschossen, um ihn zu spalten. So lässt sich der atomare Abfall in Isotope mit deutlich kürzerer Lebensdauer umwandeln. Eine große, industrielle Anlage dieser Art gibt es jedoch noch nicht, die Technik gilt als aufwendig und teuer - und würde das Problem nicht grundsätzlich lösen. Denn auch wenn der Müll deutlich schneller zerfällt, müsste er immer noch Tausende Jahre lang sicher gelagert werden.

An einem ganz anderen Problem arbeiten Forscher in der Atomsemiotik. Sie tüfteln an Symbolen, deren Sinn auch in 10 000 Jahren noch verstanden werden könnte. Schließlich sollte die Nachwelt adäquat gewarnt werden, stieße sie zufällig auf gelb-schwarze Fässer in Hunderten Metern Tiefe. Ein Vorschlag ist schon seit einer ganzen Weile auf dem Tisch: Eine Kommission im Auftrag des US-Energieministeriums empfahl in den 1990er-Jahren, ein Gestrüpp aus monumentalen Granitstacheln über den Endlagern zu errichten und Warnschilder in sieben Sprachen aufzustellen.

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SZ vom 29.09.2020
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