Radikalisierung:Wenn Worten Taten folgen

Zugriff, bevor es Tote und Verletzte gibt: Die Behörden haben öfter Anschläge von Neonazis gerade noch verhindert.

Von Lena Kampf

Seit der Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 hat es immer wieder rechtsterroristische Bestrebungen gegeben. Dass die Bundesanwaltschaft - wie im Fall "Revolution Chemnitz" - meist frühzeitig zugriff, hat wohl Schlimmeres verhindert. So stelle sich schon die Frage, welche Anschläge erfolgt wären, wenn die Mitglieder nicht festgenommen worden wären, warnte Thomas Fresemann, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Dresden, bei der Verkündung seines Urteils gegen die Gruppe Freital Anfang März 2018.

Wie die nun angeklagte mutmaßliche Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" fanden sich gewaltbereite Rechtsextreme in den vergangenen Jahren zunächst oft in Chatgruppen zusammen. Der Generalbundesanwalt nennt das Phänomen intern "chatbasierter Terrorismus". Ein Ermittler aus Karlsruhe sprach kürzlich bei einer Veranstaltung von der "Kraft der Radikalisierung", die auch Menschen einbeziehe, die zunächst keine Anbindung an klassische Neonazi-Strukturen hätten und nicht unbedingt über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügten.

Auch im Fall Lübcke werden sich die Behörden die Kontakte des Verdächtigen genau ansehen

2015 protestierten Tausende in Freital bei Dresden gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. In einem verschlüsselten Chat fanden sich sieben Männer und eine Frau zusammen, um gegen "Parasiten" und "Bimbos" zu hetzen. Die Mitglieder der "Gruppe Freital" redeten über Anschläge, es ging um Syrer, die man "am nächsten Lichtmast aufknüpfen" müsse. Im November 2015 zündeten sie Sprengsätze an einer Asylunterkunft; nur weil ein Bewohner die Zündschnur bemerkt hatte, wurde wohl niemand getötet. Sie legten auch eine Autobombe unter den Wagen eines Linken-Politikers und griffen ein Wohnprojekt an. Im Prozess gegen die Gruppe hieß es in der Urteilsbegründung, sie habe die innere Sicherheit in Deutschland getroffen, es sollte Angst geschürt, Ausländer und Andersdenkende sollten vertrieben werden.

Im Fall der "Oldschool Society" (OSS) war es eine teilweise offene Facebookgruppe, in der darüber gesprochen wurde, dass man "Türken ausbluten" und "Zecken rösten" wolle. Das Logo der Gruppe zeigte einen Totenschädel mit zwei blutigen Metzgermessern. Als sich die Mitglieder Messer, Schlagringe und hochexplosiven Sprengstoff besorgten und im Mai 2015 eine "Aktion" in der sächsischen Stadt Borna planten, wurden sie festgenommen. 2017 wurden vier Mitglieder vor dem Oberlandesgericht München wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung verurteilt.

Die Chatgruppe habe den Stammtisch ersetzt, sagt der Karlsruher Ermittler. Auf die Pläne von Gruppen wie Freital, OSS und jetzt "Revolution Chemnitz" stößt die Karlsruher Behörde meist durch Zufallsfunde von Chats auf Mobiltelefonen, die in anderen Ermittlungsverfahren sichergestellt werden. So war es auch im Fall der Gruppe "Nordkreuz". Auf sie kamen die Ermittler über den 2016 festgenommenen Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich als Flüchtling ausgegeben hatte und unter dem Verdacht festgenommen worden war, einen Terroranschlag zu planen. Auch im Fall des erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke werden sich die Ermittler die Kontakte des unter Mordverdacht festgenommenen Stephan E. sehr genau anschauen.

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