Süddeutsche Zeitung

Radikale Islamisten:Staffelläufer des Heiligen Kriegs

Tschetschenien, Afghanistan, Bosnien, jetzt Syrien: Immer mehr junge Männer reisen von Land zu Land, um im weltweiten Dschihad zu kämpfen. Einer Studie zufolge soll ein Zehntel der Aufständischen in Syrien aus dem Ausland stammen. Sie gehören oft zu den Radikalsten der Radikalen.

Von Tomas Avenarius, Kairo, und Frederik Obermaier

Er selbst ist jetzt zu alt für den Heiligen Krieg, aber sein Lebensweg bleibt beispielhaft: Nasr al-Bahri hat in Bosnien gekämpft, in Afghanistan, Tschetschenien, Somalia - ein Staffelläufer im weltweiten Dschihad. Er war Leibwächter von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden, von dessen Lehre er sich zwar nach außen hin inzwischen abgewandt hat. In seinem Herzen wird er das, was er getan hat, aber weiter für richtig halten: Der Heilige Krieg ist, so sagen die Orthodoxen und Radikalen unter den Muslimen, die Pflicht eines Gläubigen. Und auch wenn Bin Laden inzwischen tot ist, sind Tausende junge Männer weiter bereit, für die "Befreiung" eines islamischen Landes zu sterben - diesmal in Syrien.

Und die Ausländer kommen in immer größerer Zahl. Auch aus Europa, auch aus Deutschland. In der Levante sollen inzwischen mehr muslimische Internationalisten kämpfen als in den Achtzigerjahren in Afghanistan, dem ersten großen Dschihad der jüngeren Zeit. Experten vom International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) gehen in einer aktuellen Studie von bis zu 11.000 ausländischen Kämpfern in Syrien aus. Die ICSR-Studie analysiert, dass mittlerweile ein Zehntel der circa 100.000 Aufständischen, die gegen das Assad-Regime kämpfen, keine Syrer sind.

Es sind Männer aus mehr als 70 verschiedenen Ländern: aus der islamischen Welt, aus Saudi-Arabien, Jordanien, Jemen, Ägypten, Nordafrika, der Türkei, aus dem Kaukasus. An ihrer Seite stehen Muslime aus Südostasien, aber eben immer häufiger auch aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien.

Der Anstieg europäischer Gotteskrieger ist besonders auffällig: Die Zahl der Westeuropäer hat sich gegenüber früheren Untersuchungen verdreifacht. Etwa 240 Dschihadisten aus Deutschland sollen unter den bis zu 1800 Europäern sein, die in den vergangenen drei Jahren in der Levante gekämpft haben oder dort gestorben sind. Bei Muslimen aus den arabischen Staaten kann die Attraktivität des syrischen Dschihad wenig verwundern. Wie Bin Ladens früherer Leibwächter sind sie der Meinung, dass den Palästinensern und den Muslimen historisches Unrecht geschehen ist durch die Gründung Israels, durch den US-Einmarsch im Irak, durch die internationale Koalition in Afghanistan, durch den Krieg der Russen im Kaukasus. In der gesamten muslimischen Welt ist diese Sicht der Dinge mehrheitsfähig.

Nicht umsonst kommt die größte Gruppe der Dschihadis in Syrien aus dem Nachbarland Jordanien. In den Flüchtlingslagern an der Grenze sehen und hören sie, was Assads Krieg mit den Menschen macht. Die, die das syrische Gemetzel nicht aus der Nähe verfolgen, finden ihr ideologisches Futter im Internet, auf Arabisch, Englisch, Deutsch, Französisch. Auf Dschihadisten-Webseiten und in Chaträumen radikalisieren Anwerber gezielt junge Männer und Frauen mit einer gefälligen Mischung aus Religion, Moral und Politik. Auch die Kontakte für die Reise ins Kriegsgebiet sind dort zu finden. Der Jemenit Bahri hatte seinerzeit Politologie studiert. Doch die Worte Bin Ladens hatten höheres Gewicht bei der Formung seines Weltbildes: "In drei Tagen erklärte der Scheich mir die Welt."

Warum Syrien? Der Bürgerkrieg wird zunehmend religiös geprägt: Auf der Seite des Regimes kämpfen Schiiten, seien es die Alawiten der Assad-Familie oder die von ihm angeheuerten Kämpfer der libanesischen Hisbollah, der iranischen Revolutionsgraden oder der Schiiten-Miliz aus dem Irak. Die Rebellen hingegen sind Sunniten, sie geraten ins Hintertreffen: "Das könnte Auslöser dafür sein, dass Sunniten den Konflikt zunehmend als einen Krieg der Religionsgruppen betrachten, in dem die Sunniten zusammenstehen müssen, um den Vormarsch der Schiiten aufzuhalten", heißt es in der aktuellen ICSR-Studie.

Solidarität mit den bedrohten Glaubensbrüdern im jahrhundertealten Streit der beiden islamischen Glaubensgruppen, das ist nach Meinung der ICSR-Experten der Grund dafür, dass der Kampf in Syrien für Sunniten aus aller Welt attraktiv ist. Das passt zur Ideologie der radikalen Sunniten-Prediger im Internet, für die Schiiten Ketzer sind, die den Tod verdienen. Dabei stärken die Internationalisten die Radikalsten unter den Radikalen in Syrien selbst: ICSR-Direktor Peter Neumann sagt, dass die ausländischen Militanten sich fast automatisch den ultra-orthodoxen Gruppen unter den Rebellen anschließen, der al-Qaida nahestehenden Al-Nusra-Front oder dem "Islamischen Staat im Irak und in al-Sham" (ISIS). Diese kämpfen nicht nur gegen Assad, sie schießen auch für die Gründung eines Kalifatstaats in Syrien.

Großsyrien war in der frühen Phase des Islam Sitz der Omaijaden. Die frühmittelalterliche Dynastie hat eine der erfolgreichsten Phasen des islamischen Weltreichs geprägt. Damals war die Religion des Propheten Mohammed auf dem Vormarsch, eroberte den Nahen Osten und Nordafrika. Für die heutigen Islamisten hat dies Vorbildcharakter. Neben der Ideologie gibt es einen weiteren, praktischen Grund für die Anziehungskraft der radikalen Gruppen: "Sie haben die beste Reputation und die größte Kampfkraft. Und sie behandeln ihre Rekruten am besten", so das ICSR. Wenn die ausländischen Militanten ihren Dschihad überleben, bringen sie neben ihrer Ideologie jede Menge Erfahrung im Schießen und Bombenlegen sowie Kontakte zu anderen Militanten mit nach Hause. So werden die Netzwerke in den Heimatstaaten zwangsläufig enger, es steigt also die Gefahr von Terrorangriffen in anderen Teilen der Welt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1845410
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.12.2013/mike
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.